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Tristan und Isolde in Bayreuth: Abstraktion von Beginn an

Foto: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath/ DPA

"Tristan und Isolde" in Bayreuth Labyrinth der Leidenschaft

Die Hauptdarstellerin schmiss kurz vor der Premiere hin, es gab Schwierigkeiten bei der Produktion. Für Katharina Wagner stand mit ihrer Inszenierung von "Tristan und Isolde" eine Menge auf dem Spiel. Ihr Mut hat sich gelohnt.

Die Begegnung mit sich selbst kann nicht nur unangenehm, sondern tödlich sein. Wie in der grenzenlosen Liebe von Tristan und Isolde. Um diese Begegnung geht es in Katharina Wagners neuer Inszenierung, die die Liebe überprüft und befragt. Wenn eine Liebe überirdisch sein soll, was genau ist dann diese Liebe?

Im berühmten Liebesduett des zweiten Aufzugs von Richard Wagners wohl schwierigster Oper blicken die beiden Protagonisten tief in sich hinein, sie stehen mit dem Rücken zum Publikum und sehen für diese Reise ins Innere einen schemenhaften Film über sich selbst.

Sie sind darin Schattenwesen wie in einem Horrorfilm, die sich mehr und mehr verjüngen und am Ende verschwinden. "Sink hernieder, Nacht der Liebe", sagt der Text - aber ebenso ist es ein Abgesang. Und es ist der Höhepunkt dieser Bayreuther Version 2015, die zu Recht mit überwiegendem Jubel vom Publikum aufgenommen wurde. Dabei war der Abend durchaus nicht ohne Schwächen.

Nacht der Liebe als Horrorfilm

Am Anfang schien die bekannte Reise von Tristan als Brautwerber für seinen König Marke ein optisch seltsam verfremdetes Unternehmen zu sein. Das Bühnenteam, Frank Philipp Schlössmann und Mathias Lippert, hatte sich eine in überwiegend dunkles Licht getauchte Treppen- und Gitterkonstruktion über die gesamte Bühne ausgedacht, in deren Labyrinth sich die Leidenschaft von Isolde und Tristan langsam Bahn und Pfad brechen sollte.

Eine Abstraktion von Beginn an, ein Diskurs, mit dem Katharina Wagner die Oper analysieren, aber nicht zertrümmern wollte. Eine Gratwanderung wurde es, voller Behutsamkeit, aber auch voller Untiefen. Statische, eher dekorative als dramaturgisch griffige Personenregie führte Tristan und Isolde sauber vor, was dem Gesang und der Musik allerdings allen denkbaren Raum gewährte.

Dirigent Thielemann in Top-Form

Schließlich stand am Pult Christian Thielemann, schon immer Katharina Wagners Vertrauter auf dem Grünen Hügel und seit Kurzem neu inthronisierter Musikdirektor, der jetzt federführend für Sänger- und Dirigentenauswahl sein soll. Und Thielemann, ausgewiesener Wagner-Spezialist, dirigierte seinen "Tristan" von Beginn an mit einer akribischen Eleganz, die derzeit wohl niemand toppen kann.

Die rasende Dezenz, mit der er gleichzeitig die Sänger bediente, die war von einem Perfektionswillen getragen, mit dem er es wohl auch dem Wagner-Konkurrenten Kirill Petrenko zeigen wollte, der ihm schließlich nicht nur den Chefposten bei den Berliner Philharmonikern weggeschnappt, sondern parallel auch einen allseits extrem gelobten "Ring des Nibelungen" in Bayreuth dirigiert hat. Allerdings in diesem Jahr zum letzten Mal.

Und weil kurz vor der "Tristan"-Premiere die eigentlich als Isolde geplante Anja Kampe ihre Partie als Isolde hinschmiss, musste Evelyn Herlitzius für sie kurzfristig einspringen, was zu enormen Komplikationen bei der Produktion führte. "Wir sind erst bei der Premiere wirklich fertig", sagte Geschäftsführer Heinz-Dieter Sense noch einen Tag zuvor. Es gelang aber dann doch.

Evelyn Herlitzius als perfekte Isolde

Evelyn Herlitzius ließ von den Unwägbarkeiten in der Premiere nichts spüren. Sie sang ihre Isolde mit strahlenden Präzision, Inbrunst und Feeling bis zum Schluss, was ihr am Ende fast mehr Premieren-Applaus als Stephen Goulds Tristan einbrachte. Und Gould hatte seinen Tristan so souverän beherrscht an diesem Abend, wie es bei dieser mörderisch schweren Partie über die gesamte Distanz eben nur möglich ist. Volle Punktzahl.

Was er allein im anstrengenden dritten Aufzug leistete, beeindruckte durch Kraft ebenso wie durch Feinarbeit. Nachdem ihn Melot (solide und ausdrucksvoll: Raimund Nolte) wegen des Verrates an König Marke im hier stark reduzierten Duell schwer verletzt hatte, liegt Tristan am rechten Bühnenrand, bewacht von seinem Freund Kurwenal und letzten Getreuen.

Die fiebrigen Visionen, von denen er während seines Todeskampfes heimgesucht wird, hat sich Regisseurin Wagner als bedrohliche Hologramm-Erscheinungen Isoldes programmieren lassen, die auf wechselnden Ebenen Tristans Vorstellungen von ihr reflektieren. Freundliche und bedrohliche, zärtliche und rohe, immer irreal und zerfallend.

Am Ende besingt Isolde diesen noch im Niedergang heroischen Kampf ("Mild und leise, wie er lächelt"), doch sie lässt sich von König Marke, für den sie ehemals bestimmt war, von ihrem toten Tristan ins Dunkel fortziehen. Die ewige, größte Liebe, auch nur eine Illusion?

Die Frage stellt Katharina Wagners Inszenierung am Ende und beantwortet sie gleich mit. Wenn auch so vage, wie das trübe Licht der gesamten Inszenierung. Einzig, wenn König Marke auftrat, wurde es grell: Der König, den Bassist Georg Zeppenfeld mit Volumen und Klarheit sang, der Respekt bot und verzeihen konnte, hellte die Düsternis zeitweilig auf.

Jubel im Publikum

Gesanglich vermochten dies neben dem tollen Tristan/Isolde-Duo auch die Gefährtin Brangäne, intensiv sinnlich und beinahe quirlig gesungen und gespielt von Christa Mayer, sowie der grundsolide und volltönende Kurwenal, den Iain Paterson gab.

Allein das Zusammenspiel dieser vier gelang Regisseurin Wagner ausgezeichnet in all der Bühnen-Dunkelheit, dass sie sich dafür ruhig einen sicher freundlichen Schlussapplaus hätte abholen können. Sie traute sich aber nicht, trat nur zusammen mit dem Chor kurz auf die Bühne.

Schade auch für ihr Bühnen-, Kostüm- und Lichtteam. So wurden alle anderen vom Premierenpublikum bejubelt, nur die Regie kniff. Seltsam, denn dieser "Tristan" könnte Katharina Wagner noch auf Jahre guttun.

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Foto: Armin Weigel/ dpa