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„Tristan“ versöhnt Katharina Wagner mit den Fans

HANDOUT - «Tristan und Isolde», Probenfoto von 2015, 2. Aufzug: Evelyn Herlitzius (Isolde). Die Oper in der Inszenierung von Katharina Wagner feiert am 25.07.2015 bei den Bayreuther Festspielen 2015 in Bayreuth (Bayern) Eröffnungspremiere. dpa ACHTUNG: Honorarfreie Verwendung nur mit vollständiger Urhebernennung Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa. Verwendung im Internet nur bei max. Größe 800 x 800 Pixel +++(c) dpa - Bildfunk+++ HANDOUT - «Tristan und Isolde», Probenfoto von 2015, 2. Aufzug: Evelyn Herlitzius (Isolde). Die Oper in der Inszenierung von Katharina Wagner feiert am 25.07.2015 bei den Bayreuther Festspielen 2015 in Bayreuth (Bayern) Eröffnungspremiere. dpa ACHTUNG: Honorarfreie Verwendung nur mit vollständiger Urhebernennung Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/dpa. Verwendung im Internet nur bei max. Größe 800 x 800 Pixel +++(c) dpa - Bildfunk+++
Isolde (Evelyn Herlitzius) verliert sich in Katharina Wagners "Tristan"-Inszenierung in einem dreidimensionalen Labyrinth aus grauen Treppen und Gängen
Quelle: dpa
Lange musste Katharina Wagner auf solche Anerkennung warten. Mit ihrem „Tristan“ hat sie nun aber auch den letzten Wagnerianer überzeugt. Obwohl sie mit einer goldenen Regel der Oper gebrochen hat.

Es ist kurz vor dem Höhepunkt des Abends, als die beiden Hauptdarsteller die goldene Regel der Oper brechen. Eigentlich sollen sich Sänger ja so selten wie möglich vom Publikum abwenden, am besten nie. Sonst drohen ihre Stimmen von der Kulisse verschluckt zu werden. Doch jetzt, es ist der zweite Akt, ausgerechnet vor dem berühmten Liebesduett, „O sink hernieder, Nacht der Liebe“, drehen sich Tristan und Isolde um und zeigen den zweitausend Premierengästen, darunter Angela Merkel, all den Schönen und Mächtigen und Reichen in ihren Smokings und Abendroben ihre Rücken.

Auf dieser Bühne, die die Menschen seit ihrer Erbauung stets gnadenloser Beobachtung ausgeliefert hat, versuchen diese beiden Liebenden, sich zu entziehen, und sei es nur für die Dauer einer Arie. „Gib Vergessen, dass ich lebe“, singen sie, „löse von der Welt mich los!“ Die Zuschauer werden zu Zaungästen degradiert. Tristan und Isolde gehören ihnen nicht. Sie gehören sich selbst. Es ist ein typischer Katharina-Wagner-Moment.

Das Werk zu befreien von all den Erwartungen, Gewohnheiten, Ansprüchen, die sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte auf dem Grünen Hügel abgelagert haben, es wieder in die Eigenständigkeit zu entlassen, das ist Katharina Wagners Projekt, seit sie 2008 die Leitung der Bayreuther Festspiele übernommen hat. Und auf merkwürdige Art kommen ihr die Werke ihres Urgroßvaters dabei immer wieder entgegen.

Das gilt auch für die Oper „Tristan und Isolde“, die sie jetzt, acht Jahre nach ihrer bisher letzten Regiearbeit auf dem Hügel, neu inszeniert hat. Hier geht es ja ständig nur um Weltabschied und Verflüchtigung, um Abstreifen aller Fesseln, die Flucht in die Freiheit. Und um gefährliche Feinde, die den Freigeistern dabei im Wege stehen.

Katharina Wagner musste auf diese Anerkennung lange warten

Feinde hat Katharina Wagner eigentlich selber auch genug unter den Wagner-Fans. Und doch scheint es ihr am Samstagabend bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele gelungen zu sein, viele davon mit sich zu versöhnen. Mit einer Produktion, die musikalisch kaum eine Steigerung zulässt. Und die szenisch wenngleich nicht revolutionär, aber doch konsequent und sehr stimmungsvoll ist. Das Ergebnis: Anders als bei ihrer „Meistersinger“-Inszenierung von 2007 wurde die Regisseurin diesmal bei der Premiere kräftig bejubelt, fast gänzlich Buh-frei. Eine Anerkennung, auf die sie lange warten musste.

Als hätte die für ihre weitreichenden Möglichkeiten berühmte Bayreuther Bühnentechnik diesmal sogar das Wetter zu beeinflussen vermocht, stürmt und braust es vor Beginn so heftig, wie sich Isolde das für eine ordentliche Seefahrt gewünscht hätte („Hört meinen Willen, zagende Winde! Heran zu Kampf und Wettergetös!“). Bei Katharina Wagner sieht man auf der Bühne dann allerdings weder Meer noch Schiff, stattdessen ein dreidimensionales Labyrinth aus grauen Treppen und Gängen.

Tristan muss Isolde als Gemahlin für seinen König Marke nach Kornwall begleiten. Einer alten Sitte zufolge sollten sich bei so einer Fahrt Brautführer und Braut nicht persönlich begegnen. Warum, ist in dieser Inszenierung gut zu sehen. Als die beiden ihre Anstandsherren und -damen endlich abgeschüttelt haben, fallen sie gleich so wild übereinander her, dass der laut Libretto eigentlich zunächst einzunehmende Liebestrank gar nicht erst angerührt beziehungsweise gemeinsam verschüttet wird.

Dass bei dem ständigen Dämmerlicht niemand über eine Stufe stolpert, liegt wahrscheinlich daran, dass sich im ersten Akt sowieso kaum jemand bewegt. Die Sänger stehen viel herum, das erleichtert ihre extrem schwierigen Aufgaben bei diesem schweren Stück, nicht allerdings die der Zuschauer, denen bei der Schwüle im Festspielhaus anfangs ein bisschen mehr Bühnenaction zum Wachbleiben sicher gut getan hätte.

Tristan jagt schwebenden Isolde-Traumbildern

Aber dann, im zweiten Akt, nimmt das Geschehen Fahrt auf, wenn die Beleuchtung auch schummrig bleibt. Das heimliche Liebespaar ist mittlerweile am Königshof eingetroffen und nutzt die vorübergehende Abwesenheit des Hausherrn, um sich heimlich zu vergnügen. Die Unmöglichkeit ihrer Verbindung ist allerdings auch noch von der letzten Reihe im Parkett aus zu erkennen: Sie sind eingeschlossen von hohen, grauen, drohenden Mauern (Bühne: Frank Philipp Schlößmann, Matthias Lippert), auf deren Umläufen königliche Wachen mit Scheinwerfern patrouillieren. Hier und dort ragen Stahlringe aus der nackten Wand, die als Sprossen dienen und aus dem Gefängnis führen könnten. Doch sie erweisen sich als zu zerbrechlich, um das Gewicht eines Heldentenors auszuhalten. Es gibt kein Entrinnen, Tristan und Isolde wissen es – und werden denn auch am Ende von Marke in Flagranti erwischt.

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Der wiederum ist die auffälligste Umdeutung der Regie. Marke kennt man bisher als unschlüssigen, glücklosen Herrscher, der Tristan und Isolde am liebsten sofort miteinander verbunden hätte, wenn er nur früh genug in alles eingeweiht worden wäre. Katharina Wagner nimmt ihm das nicht ab – und macht aus der Figur einen herrischen Brutalo, der seinem senfgelben Hut und dem üppigen Pelzbesatz seines Mantels (Kostüme: Thomas Kaiser) mehr Achtung entgegenbringt als seiner Verlobten – und der einem Häscher persönlich das Messer reicht, das Tristan zur Strecke bringen wird.

Tödlich verwundet irrt Tristan im dritten Akt durch die praktisch leere und nun gänzlich schwarze Bühne und jagt schwebenden Isolde-Traumbildern hinterher, die wie aus dem nichts auftauchen und wieder verschwinden – der schönste optische Effekt der Produktion. Als der Held schließlich tot am Boden liegt, darf Isolde an seiner Bahre noch ihre berühmte Abschiedsarie singen, dann zerrt sie Marke mit sich hinter die Bühne. Der Liebestod, das Zusammenbrechen Isoldes über dem Leichnam ihres Geliebten, fällt aus. Katharina Wagner mag vieles sein. Sentimental ist sie nicht.

Thielemann sorgt für eine impressionistische Tondichtung

Dafür haben sie und ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier es geschafft, diesen „Tristan“ bis in die kleinste Nebenrolle hervorragend zu besetzen. Evelyn Herlitzius meistert die Isolde-Partie mit einer makellosen Kraft und Ausdauer, wobei die charakteristische Spröde ihrer Stimme die Ecken und Kanten ihrer Figur besonders herausstellt. Ihr zur Seite steht mit Stephen Gould ein Sänger mit weicherem Timbre, das im Liebesduett und bei seinem Weltabschied im dritten Akt besonders zur Geltung kommt. Georg Zeppenfeld erfüllt als Marke kräftig den Raum, braucht dabei aber nie zu forcieren, sondern bleibt stets elegant und sanglich.

Im Graben schließlich macht Christian Thielemann mit dem Festspielorchester aus dem „Tristan“ eine impressionistische Tondichtung. Kein Tempo bleibt starr und steif, kein Takt klingt wie der andere, ständig staucht oder beschleunigt es sich, bleibt das Geschehen geschmeidig und flexibel, und ein paar wuchtige Ausbrüche gestattet er sich auch.

Umso überraschender fällt der Schlussapplaus aus. Nicht nur, dass das Regieteam gefeiert wird – an sich schon eine Rarität. Aber nach dem Jubel für alle Sänger, besonders für Stephen Gould, muss sich Christian Thielemann trotz seiner Glanzleistung neben den vorherrschenden Bravos auch vereinzelten Buhrufe gefallen lassen. Das gab es wohl noch nie für ihn in Bayreuth.

Mag sein, dass ihm manche die Gerüchte um ein Zerwürfnis zwischen ihm und Eva Wagner-Pasquier zur Last legten. Mag aber auch sein, dass Richard Wagner wieder einmal recht behalten sollte. Der schrieb einst über seinen „Tristan“: „Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten! Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen.“

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