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Was Katharina Wagners Tristan so besonders macht

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Die Zeit ist außer Kraft, die Dimensionen lösen sich auf. Liebe kann nur im Tod Erfüllung finden Die Zeit ist außer Kraft, die Dimensionen lösen sich auf. Liebe kann nur im Tod Erfüllung finden
Die Zeit ist außer Kraft, die Dimensionen lösen sich auf. Liebe kann nur im Tod Erfüllung finden
Quelle: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath
Christian Thielemann und Katharina Wagner brillieren in Bayreuth mit der Neuproduktion „Tristan und Isolde“. Die Oper wird zu einer bewusstseinserweiternden Hörgeschichte im Kopf: Abstrakt, diskursiv.

Das Ende – es ist eine Überraschung. Auf der Bühne, wie auch dann bei der Applausabordnung. Doch genau dieses Ende ist konsequent in seiner nihilistischen Strenge wie seiner unmittelbaren Rezeption.

Auf der Szene nämlich hat König Marke, ein verbitterter Potentat, Isolde von ihrem verblichenen Liebhaber weggezogen, sie keinen verklärten Liebestod sterben lassen und sie fies mit sich in das ewige Dunkel geschleppt. Mein Weib! Und hinterher wurde Katharina Wagner mit ihrem Inszenierungsteam mit freundlichem, offenem Beifall empfangen. Nur Christian Thielemann, neuer Bayreuther Musikchef, musste einige Buhs einstecken. Sicher nicht für seine makellos feine Dirigierarbeit in seinem ersten „Tristan“ seit 2003 in Wien.

Denn was er bei der diesjährigen Festspielpremiere auf dem Grünen Hügel hat hören lassen, wurde schon im ersten A-f-Intervall im Vorspiel als Richtung spürbar. Hier wird ahnungsvoll Spannung aufgebaut, bis zum heillos-unaufgelösten Tristan-Akkord f-h-dis-gis, über den ganzen Bücher geschrieben wurden und der hier trotzdem nicht überpointiert Klanggestalt annimmt. Es fließt, wunderschön, schon hier wird Handlung transportiert.

Thielemann deutet dieses auch 150 Jahre nach der Uraufführung unfassbare, unübertroffene Stück als trotzdem emphatischer Erzähler gänzlich unromantisch, ohne sein emotional aufwühlendes, auch manipulierendes Stop-and-Go aus hitzigen Accelerandi und knallig ausgekosteten Rubati.

Eine zartbittere Melancholie totaler Resignation

Dieser „Tristan“ wird so auch zur bewusstseinserweiternden Hörgeschichte im Kopf. Musik und Szene ergänzen sich in ihrem Aufmerksamkeitsanspruch. Das herrlich dezente, doch immer sich Klangraum verschaffende Festspielorchester scheint von den hier so bedeutenden Oboen- und Englischhornstimmen, dem dunklen Hörnerchor wie eingeschalt, bebt und atmet in faszinierender, nie hitziger, gar dämonisch-destruktiver Klangmagie. Das ist so intellektuell wie intuitiv. Man lauscht einer zartbitteren Melancholie der totalen Resignation.

Von Anfang an erzählt auch die Szene nichts anderes. Hebt sich der Raffvorhang, schauen wir auf Frank Philipp Schlössmanns und Matthias Lipperts Treppenlabyrinth. Dreistöckig, klaustrophobisch, irremachend. Und irgendwo auf ein imaginäres Dreieck zulaufend.

Isolde (Evelyn Herlitzius) verliert sich in Katharina Wagners "Tristan"-Inszenierung in einem dreidimensionalen Labyrinth aus grauen Treppen und Gängen
Isolde (Evelyn Herlitzius) verliert sich in Katharina Wagners "Tristan"-Inszenierung in einem dreidimensionalen Labyrinth aus grauen Treppen und Gängen
Quelle: dpa

Gefängnis, Hirninneres. Piranesi und Escher. Kein keltisches Schiff also, das den von der verliebten Isolde geheilten Tristan zurück nach Cornwall bringt, auf dass er diese seinem König Marke als Braut zuführe. Und dann diese Dunkelheit! Die muss man erst mal leuchten können. Reinhard Traub kann es. Dafür gleich schon mal drei Sterne für seine 100 Schattierungen von Wagner-Grau.

Es hellt auf. Vier Gestalten sind auszumachen: Isolde oben, auf einem Steg in der Mitte, der später als Brücke auf- und niederfährt, Tristan recht unten, Brangäne links, Kurwenal ganz oben. Sie kauern isoliert, vereinsamt. Das hohe Paar in simplen blauen Gewändern, die beiden Vertrauten in Grünbraun. Das ist schon keine Realität mehr, irgendein Jenseits.

Abstrakt, dekonstruiert, diskursiv

Hier beginnt keine Geschichte, hier geht sie weiter. Brangäne, die patente, mit Mezzo ohne Pastoso-Gebibber singende Christa Meyer und der Kurwenal des vokal ebenso handfesten, schnell fassbaren Iain Paterson müssen später die dann wild aufeinander Zustürmenden festhalten und trennen. Isolde wütet und tobt, noch mehr als sonst, ist verletzte Frau, begehrende Geliebte, Zauderin, Zauberin, Medea, Megäre.

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Mit ihrem altmodischen Dutt, unter dem es umso heftiger brodelt, ist die erst vor vier Wochen dazugestoßene Evelyn Herlitzius trotzdem beweglich und bedrohlich. Die keift und faucht, jagt die kleine, robuste Langstreckenläufer-Stimme in Sopranschärfen und scheut auch fräsende Momente nicht.

Quelle: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Ihr Tristan Stephen Gould lässt es balsamisch fließen, noch hält er sich in Reserve, ist auch als Charakter nicht greifbar. Sie will ihn, auch wenn sie anderes behauptet. Aber er? Auf und ab geht es über die Stufen, die klappen weg, ganze Raumteile werden disloziert. Das Duo umkreist sich und steht sich schließlich gegenüber. Natürlich ist die Liebe noch da.

Aber lebt sie noch? Jedenfalls braucht es keinen Trank, weder einen amourösen noch einen zum Sterben. In einer feinen Chorografie der Körper finden sich die Hände, wandert die hinfällige, rosarot befüllte Schicksalsphiole hin und her, wird schließlich von beiden parallel angefasst, gehalten – und ausgeschüttet. Dann wandern die flinken Hände der Herlitzius über den breiten Gould-Rücken, schließlich zerfetzen beide vollends Isoldes Brautschleicher, den diese vorher zerrissen hat. Und die arme Brangäne muss es hinterher flicken. Was nicht gelingen kann. Dieses Paar kommt deutlich von der Liebe gezeichnet an Cornwalls Küste an.

Katharina Wagner, die seit 2011 nichts mehr inszeniert hat, für ihre ideenübervollen wie politisch bösen Bayreuther „Meistersinger“ 2007 Küsse und Prügel einfangen musste und jetzt als alleinige Festspielchefin bis 2020 noch gnadenloser im Auge jedes Beifalls- wie Shitstorms steht, ist da ein spannendes Rätselarrangement gelungen.

Abstrakt, dekonstruiert, diskursiv. Weniger aktionistisch als früher, besser die Sprünge von einem Einfall zum nächsten mit subtilerer psychologisierender Personenregie füllend. Leider kann sie dieses Versprechen in den beiden folgenden Akten dieser schon von Wagner in minimalistischer Beckett-Vorwegnahme zur „Handlung in drei Aufzügen“ neutralisierten Opernungeheuerlichkeit nicht halten. Obwohl sie sich größte Mühe gibt, einleuchtende Deutungen offenbart und sich sehr bewusst jedem Hoffnungsschimmer verweigert. Sie zeigt nur eine abgründige Nacht der Liebe.

Die Dimensionen lösen sich auf

Der zweite Akt bringt ferne Jagdhörnersignale – und einen szenischen Paukenschlag. Wir haben nicht gesehen, wie Marke die beiden aneinander Verlorenen und Verfallenen empfangen hat. Offenbar ungnädig, alles erkennend. Denn jetzt lässt er sie in seine Folterkammer werfen. Kein blauer, verheißungsvoller Dämmer, kein erotisches Sehren und Sehnen.

Quelle: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Wieder ein Dreieck, schwarz, überhalbhoch, von wo Markes Mannen Suchscheinwerfer gleißen lassen, sseltsame Reifen an den Wänden, die bei der kleinsten Berührung herabkrachen, sich zu Gittern zusammenschieben, Brangäne und Kurwenal, ebenfalls hier eingesperrt, absondern. Das Paar, gepeinigt von dem Punktlicht, sucht Schutz unter einem Deckenzelt, tröstet sich mit Leuchtsternen, die Tristan auspackt und Isolde aufhängt. Ein trügerisches Kinderidyll, ihnen wohlbewusst. Christian Thielemann bringt das Orchester in Wallung, es übernimmt als dritte Stimme. „Sink hernieder, Nacht der Liebe“ schafft glänzendes Dunkel, das fahrradständerähnliche Konstrukt im Vordergrund klappt hoch. Sie sehen es nicht, schauen welt- und publikumsabgewandt bewegungslos auf ein Videovision, in dem sie durch ihr Dasein rückwärtslaufen, als Kinder enden.

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Die Zeit ist außer Kraft, die Dimensionen lösen sich auf. Liebe kann nur im Tod Erfüllung finden. Sie schlitzen sich an den schartigen Stahlstäben die Adern auf. Dafür kommt jetzt Marke, ein autoritärer Herrscher: der schlanke, dafür vollstimmige, mit vehement menschlichem Bass jedes Textdetail famos auskostende Georg Zeppenfeld in cadmiumgelbem Lederfellmantel. Der schafft an, kümmert sich nicht, kommuniziert kaum. Isolde liegt am Boden gekrümmt, Tristan wird auf einen Wink hin von Melot (Raimund Nolte) abgestochen. Das ist als Who’s-done-it inszeniert, doch der Regie gebricht es an Konsequenz und Differenzierung, Herumstehen, Unausgegorenes ist zu erkennen.

Der dritte Akt – ein Meisterstück der Bühnentechnik

Das schädigt schließlich den dritten Akt, der als Leerstelle, schwärzer als Schwarz, unauslotbar in seinen Dimensionen ein bühnentechnisches Meisterstück ist: wenn hier die Isolden-Visionen des erst tot daliegenden, von seinem Personal auf Burg Kareol, jetzt auch Hirt (Tansel Akzeybek) und Steuermann (Kay Stiefermann), betreut und betrauert, dann erstaunlich vitalen Tristan aus dem Dunkel in schwebenden wie stehenden Dreieckskämmerchen herausleuchten. Stephen Gould, insgesamt grandios, stößt hier an darstellerische Grenzen, vokal beeindruckt er mit seinen baritonal dunklen, endlosen Reserven, aber er berührt zu wenig. Und inhaltlich rutscht das ab, pendelt zwischen konfus und banal.

Isolde-Doubles blutig, zusammenfallend, den Kopf verlierend, herabstürzend, sich abwendend, das ist Mumenschanz, der sich abnutzt. Wer sieht das überhaupt? Der nach einem völligen Blackout, nur von Evelyn Herlitzius’ jetzt – wie auch schon vorher – zu gellender, zu vibratogeschädigter Stimme durchdrungen, wieder tote Tristan? Die Überlebenden? Gibt es die? Es folgt viel Verlegenheitsgefummel mit Schwert, Lilien, Totentuch und -bahre. Bis zur bösartigen Schlusswendung. Die schaudern macht und tieftraurig, nur die Musik löst sich harmonisch tröstlich auf.

An diesem Jubiläums-„Tristan“ muss noch vehement weitergearbeitet werden. Aber dafür waren die Bayreuther Festspiele einmal erfunden worden. Es liegt jetzt allein in Katharina Wagners Hand, ob sich diese ungewöhnliche, mutige, dann einbrechende, musikalisch als schwarzer Diamant funkelnde Produktion optimieren lässt. Das Potential ist da.

Bayreuth und die kleine Schrecksekunde mit Merkel

In Bayreuth eröffneten die 104. Bayreuther Filmfestspiele. Angela Merkel kam in Begleitung mit ihrem Ehemann Joachim Sauer. Die Kanzlerin sorgte dabei für eine Schrecksekunde.

Quelle: Reuters

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