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Flüchtlingsdrama im romantischen Gewand
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung
Es ist das Stück der Stunde - da hat der neue Essener Dramaturg Christian Schröder ja nicht unrecht. The Greek Passion ist eine Flüchtlingstragödie und insofern brandaktuell. Auf dem Essener Spielplan dürfte das Werk freilich eher stehen, weil der tschechische Generalmusikdirektor Tomaš Netopil das tschechische Repertoire pflegen möchte, und die zwischen 1954 und 1959 in zwei ziemlich unterschiedlichen Fassungen entstandene Oper (in Essen wird die konventionellere zweite gespielt) ist tatsächlich der Entdeckung wert - trotz mancher Probleme. Komponist Bohuslav Martinů erstellte das Libretto (in englischer Sprache; ursprünglich war die Oper für das Londoner Opernhaus Covent Garden gedacht) selbst nach einem Roman von Nikos Katzantzakis, und darin geht es um eine griechische Dorfgemeinschaft, die in den 1920er-Jahren ein Passionsspiel aufführt - und die Darsteller identifizieren sich immer stärker mit ihren Rollen. Gleichzeitig kommt ein Tross von Flüchtlingen an, die vor den türkischen Besatzern aus ihrem Dorf vertrieben wurden. Obwohl ebenfalls Griechen, wird ihnen die Aufnahme verweigert. Der Hirte Manolios, im Passionsspiel der Christus-Darsteller, setzt sich mehr und mehr für sie ein und wird schließlich aus der Dorfgemeinschaft exkommuniziert und vom Darsteller des Judas getötet. Im Passionsspiel sind sie für Christus und Maria Magdalena vorgesehen, und der Liebesbeziehung, die sich da anbahnen könnte, entsagen sie: Manolios (Jeffrey Dowd) und Katerina (Jessica Muirhead)
Martinů, selbst nach der Machtübernahme der Kommunisten aus der tschechoslowakischen Heimat geflohen, setzt kirchentonale Passagen neben einen spätromantischen Orchestersatz, der zwar immer wieder von dissonanten oder bitonalen Passagen durchsetzt ist, aber ziemlich viel Wohlklang verbreitet. Tomaš Netopil und die Essener Philharmoniker spielen berückend schön - aber vielleicht bekäme es der Musik ganz gut, wenn sie härter, rauer interpretiert würde. Bei aller Schönheit gelingt es Netopil vor allem in den ersten beiden Akten nicht recht, die verschiedenen Stilebenen zu verbinden, sondern er setzt sie blockhaft und kleinteilig nebeneinander, mildert durch den samtenen, letztendlich romantisch rückwärts gerichteten Klang aber auch eine collagenhafte "moderne" Wirkung ab. Die großflächigere zweite Hälfte gelingt überzeugender, auch weil sich hier die Akzente stärker vom kleinteiligen Erzählen in ein großes Passionsgeschehen verschieben. Nicht ganz unproblematisch ist in diesem Zusammenhang der Text, dessen humanitäre Botschaft ein religiöses Pathos vorgeschaltet ist, das zwar Mittel zum künstlerischen Zweck sein mag, aber stellenweise arg süßlich geraten ist. Alle Zweifel an der Qualität der Griechischen Passion kann die Aufführung nicht ausräumen. Bilder, die auf die aktuelle Flüchtlingskatastrophe anspielen: Katerina mit Flüchtlingskind
Das liegt auch an der zunächst ziemlich behäbigen Regie von Jíří Heřman, der eine Mischung aus realistischer Erzählweise im historischen Gewand und symbolischer Deutung zeigt. Die Personenführung bleibt konventionell, und vor allem in den ersten beiden Akten, in denen Heřman viel Handlung abarbeiten muss. (Fast altmodisch, wenn er dabei gelegentlich den Zuschauerraum einbezieht - so etwas hat Dietrich Hilsdorf vor einem Vierteljahrhundert an gleicher Stelle weitaus radikaler und virtuoser gemacht.) Erst im zweiten Teil gelingen Bilder, die sich einprägen. Ein Zaun, der die Flüchtlinge von der reichen Dorfgemeinschaft trennt; Kinderleichen - das schafft natürlich sofort Assoziationen zur tagesaktuellen politischen Situation. Unklar bleibt dagegen, warum sich die gewaltige Mauer auf der Bühne ab und zu öffnet. Sollen das Momente der Utopie sein? Nicht nur da verliert sich die Regie ins Dekorative. Deutlich immerhin das Finale: Wenn bei Martinů die Flüchtlinge weiter ziehen, lässt Heřman sie tot zu Boden fallen. Wem wir keine Rettung bieten, so die Botschaft, der wird umkommen. Große Bilder, bitteres Ene: Christus-Manolios ist von der Dorfgemeinschaft getötet worden.
The Greek Passion ist eine Choroper, und Chor und Extrachor (Einstudierung: Patrick Jaskolka) sowie Kinderchor (Einstudierung: Alexander Eberle) singen klangschön und präzise. Als Manolios überzeugt Jeffrey Dowd, sonst für die großen Heldentenorpartien zuständig, mit Beweglichkeit und Kraft. Wirklich schön war die Stimme noch nie, aber er gestaltet die Rolle ausdrucksstark und gibt der Figur auch das richtige Maß an Jugendlichkeit. Jessica Muirhead, neu im Essener Ensemble, singt die Witwe Katerina, Prostituierte des Dorfes und im Passionsspiel für die Maria Magdalena vorgesehen. Sie hat große opernhafte Momente (da komponiert Martinů vergleichsweise konventionell), im Forte mit metallischer Schärfe durchsetzt, aber mit Espressivo und Intensität. Michael Smallwood gibt einen präsenten Händler Yannakos (Petrus). Almas Svilpa liegen die mit Wucht und Kraft gesungenen dunklen Seiten des Priesters Grigoris, Wortführer gegen die Flüchtlinge, mehr als die sonoren Passagen in den oratorisch angelegten Chorszenen, Baurzhan Anderzhanov ist als Priester der Flüchtlingsgruppe solide. Aus den kleinen Partien ragen Bart Driessen als alter sterbender Mann mit punktgenauer Präsenz und Christina Clark als Verlobte von Manolios (die sich aber von diesem abwendet und einen anderen heiratet), deren sehr leichter Sopran hier ausgezeichnet passt, heraus.
Manches gerät szenisch wie musikalisch allzu gefällig in dieser hörenswerten, aber nicht ganz unproblematischen Oper, die am Ende aber mit ihrer humanitären Botschaft berührt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Priester Grigoris
Patriarcheas
Ladas
Michelis
Kostandis
Yannakos
Manolios
Panait
Nikolios
Die Witwe Katerina
Lenio
Ein altes Weib
Priester Fotis
Ein alter Mann
Andonis
Despinio
Akkordeonspieler
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