Hier wehen viele Flaggen: Zum Tag der Deutschen Einheit wird Wagners Werk zu einer Nationaloper stilisiert. Das geht nicht immer auf.

Die Staatsoper eröffnet ihre neue Saison mit einem Festakt. Das echte Publikum im Saal schaut auf ein Publikum, das auf der Bühne sitzt, und umgekehrt. Auf der Bühne sieht es aus wie im Saal, nur hängt dort eine riesige deutsche Fahne. Es herrscht feierliche Stimmung im Schiller-Theater. Aufgeführt wird die Ouvertüre zu Wagners Oper „Die Meistersinger“.

Wagnerdirigent Hans Richter nannte die Musik einmal ein „Stahlbad in C-Dur“. An diesem Abend aber dirigiert Daniel Barenboim. Er lässt sich weniger auf alles Staatstragende, Pompöse ein. Die Ouvertüre, mit der die Premiere am Sonnabend gegen 20.30 Uhr beginnt, verspricht Leidenschaft, Verspieltheit und einen Hauch Melancholie.

Eine Premiere in zwei Tagen

Barenboim und seine Regisseurin Andrea Moses haben sich tatsächlich vorgenommen, zum 25-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung eine Art Nationaloper auf die Bühne zu bringen. ­Moses hatte im Vorfeld gesagt, die „Meistersinger“ seien neben Webers „Freischütz“ die zweite deutsche Nationaloper.

Und Barenboim versicherte, man müsse Wagner von der Nazi-Missbrauchsgeschichte trennen. Die Nazis werden in dieser Wiedervereinigungsoper einfach vernachlässigt. Es tut der Premiere, die wegen der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit einmalig auf zwei Tage verteilt wurde, gut.

Nürnberg ist überall, auch in Berlin

Es gibt einiges zu lachen in dieser Premiere. Andrea Moses betont, wenn es sich anbietet, das Komödiantische, die Leichtigkeit, und sie ist eine Meisterin der Personenregie. Gleich anfangs verwandelt sich der Festsaal in die Katharinenkirche. Der Geistliche sieht aus, als sei er dem Mittelalter entsprungen, vermutlich der Reformator selbst.

Schließlich naht ja auch das große Reformationsjubiläum. Die Kirchbesucher wirken eher, als würden sie im Anschluss noch Champagner im KaDeWe trinken wollen. Nürnberg ist überall, auch in Bonn oder Berlin.

Fans von Hertha BSC und Union sind auch dabei

Das Ganze spielt in einer Zeit, in der es Leuchtreklame und Laptops gibt und die Lehrbuben der Meistersinger aussehen wie die Beatles im Smoking. Andrea Moses gelingt es, Bilder zusammenzubringen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören.

Es ist ein historisch-bunter Bilderreigen. Am Ende des zweiten Akts, in der großen nächtlichen Prügelszene, finden schließlich alle Beteiligten auf der Straße zusammen. Die Reichen und die Armen, die Etablierten und die Punks. Fans von Hertha BSC treffen auf Union-Fans.

Vogt brilliert – als Vogt

In der Katharinenkirche traf zuvor der Fremde auf Eva, die Tochter des Goldschmieds Pogner. Er will sie, und sie will ihn. Er erfährt, dass er sie bekommt, wenn er am Tag darauf das Wettsingen gewinnt. Sie ist der Preis. Der Fremde wirkt verunsichert. Aber in Ritter Walther von Stolzing schlummert ein genialer Künstler, einer, der die festgefahrene Musikwelt verändern kann. So wollte es der geniale Wagner. Der verarmte Junker singt um seine Bürger- und Meisterrechte und vor allem um Eva.

Klaus Florian Vogt tut es auf wunderbare Weise. Mit tenoraler Strahlkraft und aller Direktheit, die dieser Heldenfigur den nötigen Schneid verleihen. Vogt tut das, was er auf brillante Weise immer tut, er gibt den Klaus Florian Vogt. Dafür wird er am Ende bejubelt. Spitzentenöre haben es in mancher Hinsicht leichter. Die Eva von Julia Kleiter verzichtet auf das allzu Mädchenhafte. Das Lyrische ihres vibrato-starken Soprans gerät bei ihr immer wieder in Zugzwang.

Wer hier bei den Meistern sitzt, hat es geschafft

Ein wundersames Typenkabinett lässt die Regisseurin auflaufen. Die alten Meister tragen ihre Namen wie etablierte Markenzeichen vor sich her. Der reiche Pogner, den Bassist Kwangchul Youn in sonorer Stattlichkeit vorführt, weiß sich in erlauchter Runde. Wer in dieser Runde mitredet, hat’s geschafft. Barenboim hat sich eine rundum stattliche Meisterschar verpflichtet, man kann nur staunen.

Graham Clark singt den Kürschner Kunz Vogelgesang, Siegfried Jerusalem den Zinngießer Balthasar Zorn, Reiner Goldberg den Gewürzkrämer Ulrich Eisslinger, Olaf Bär den Kupferschmied Hans Foltz. Stephan Rügamer weiß dem Lehrbuben David viel jungenhafte Leichtigkeit mit auf den Weg zu geben. Einer, von dem man weiß, dass er irgendwann in die erlauchte Runde gehört.

Keiner Figur wird weh getan

Die Schusterwerkstatt des Hans Sachs entpuppt sich im dritten Akt, der am Sonntag um 12 Uhr beginnt, als bürgerliche Gelehrtenstube. Es ist seine Firmenzentrale. Später tragen darin der alterszornige Sachs und der jungspornige Stolzing ihre Eifersucht um Eva aus, in dem Raum schreibt Sachs schließlich Stolzings Traumlied auf. Es wird von Beckmesser gestohlen.

Markus Werba singt den bekanntesten Erbsenzähler der Operngeschichte. Stadtschreiber Beckmesser hat etwas Exaltiertes und steckt voller Unsicherheit. Werba singt ihm die tragische Unvollkommenheit auf den Leib. Darüber kann man staunen und herzhaft lachen, ohne sich gehässig zu fühlen. Das ist ein Plus dieser Inszenierung, dass keiner Figur wehgetan wird.

Warum auch immer, das Publikum jubelt

Die Festwiese mit viel Schwarz-Rot-Gold findet schließlich vorm Berliner Stadtschloss statt. Es ragt im Hintergrund düster mächtig auf. Im Programmheft findet sich noch ein Statement des 1996 verstorbenen Architekturkritikers Julius Posener, der sich gegen den Wiederaufbau ausgesprochen hatte. Die Zeit ist über alle Einwände hinweggegangen. In der Oper kommt es hingegen, wie es kommen muss. Beckmesser scheitert mit seinem Gesang, Stolzing gewinnt.

Aber der Testosteron-gesteuerte Wagnertenor greift nur nach der schicken Eva und weist die Meisterwürde zurück. Sachs singt ihm daraufhin die berühmte Mahnrede, die deutschen Meister ja nicht zu vergessen. Stolzing wird bekehrt. Am Ende verschwindet das Stadtschloss und eine grüne Wiese nebst Wolken taucht auf. Warum auch immer: Das Publikum jubelt. Am Sonntag gegen 14.15 Uhr sind „Die Meistersinger“ vollbracht.

Staatsoper im Schillertheater, Bismarckstr. 110. Tel.: 20354555. Nächste Termine: 7., 11., 15., 18. und 22. Oktober