WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Bühne und Konzert
  4. Opern von Jacques Offenbach und Giacomo Meyerbeer in Berlin

Bühne und Konzert Oper in Berlin

Die Deutschen können halt kein Französisch

Freier Feuilletonmitarbeiter
Ein Friedhof der Schnapsflaschen als starkes Auftaktbild: Uwe Schönbeck als delirierendes Alkoholwrack in Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ Ein Friedhof der Schnapsflaschen als starkes Auftaktbild: Uwe Schönbeck als delirierendes Alkoholwrack in Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“
Ein Friedhof der Schnapsflaschen als starkes Auftaktbild: Uwe Schönbeck als delirierendes Alkoholwrack in Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“
Quelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin
Die Berliner Opernhäuser machen sich stark für Giacomo Meyerbeers letzte Oper „Vasco da Gama“ und Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“. Zwei Fragmente. Ein ziemlich brüchiges Erlebnis.

Fest gemauert in der Erde, vollendet, in geschlossener Werkgestalt – sakrosankt. So präsentiert sich die Oper gern. Das unangreifbar hehre Kunstwerk.

Das war sie nie. Sondern lange eine Gattung mit einem immer neuem Katalog, darin eingebettet gern das offene Opus, aus theaterpraktischen, modischen und sängereitlen Beweggründen verändert, zurechtgestutzt, verfälscht. Oder gar nicht erst fertiggestellt, zu Teilen verloren gegangen oder als Fragment, mit Varianten oder Lücken auch so mitgeschleift, von Monteverdi bis Schönberg, Mozart bis Mussorgsky.

Zwei solche, noch dazu französische Torsi hat jetzt das vergangene, zum 25. Einheitsjubiläum vor allem aus touristischen Erwägungen voll gepackte Opernpremierenwochenende in Berlin neu auf den Prüfstand gestellt. Die Staatsoper hat zudem einfach nur ihre „Meistersinger“-Neuinszenierung mit Schwarz-Rot-Gold penetrant repräsentativ aufgehübscht, ist das kolossale Wagner-Werk doch stets einfach das deutsche Komödienwerk: mächtige vier Stunden und zwanzig Minuten lang tönend, so wie es seit 1868 so gut wie nie als Corpus infrage gestellt wurde und wird.

Die Heldin stirbt durch einen giftbringenden Baum

Giacomo Meyerbeer, Wagners älterer, unfreiwilliger Widersacher, konnte hingegen seine letzte Oper „Vasco da Gama“ nicht mehr in definitiver Gestalt auf der Bühne erleben. Sie wurde erst 1865, ein Jahr nach seinem Tod, auf die Bühne gebracht – unter dem griffigeren, aber verfälschenden Titel „Die Afrikanerin“ und von fremder Hand aus diversen möglichen Variationen auf Normalmaß gestutzt.

Und auch wenn sich dieses Werk von der ursprünglichen, von Meyerbeer zwei Jahrzehnte vorher mitgeprägten Form der Grand Opéra mehr hin ins Lyrische, Exotische bewegt, so ist es doch ein Musiktheater, welches die grandiose Form, den gewaltigen Bogen, das Schaugepränge zur Entfaltung und Wirkung braucht.

Beginn eines langjährigen Meyerbeer-Zyklus’

Mehr als dreieinhalb Stunden müssen es schon sein, damit nicht nur das Gift des todbringenden Manzanillobaums auf die fremde Fürstin Sélica wirkt, die ihren geliebten Entdecker wieder mit seiner portugiesischen Geliebten Ines Richtung Unsterblichkeit ziehen lassen muss, sondern damit auch das opulente Opus beim Publikum sein spezifisches Parfüm entfalten kann.

Das durfte der dufte „Vasco da Gama“ erstmals – und szenisch wie musikalisch überwältigend – in Form einer kritischen Partiturausgabe 2013 in Chemnitz; jetzt eröffnete die Deutsche Oper Berlin mit einer geringfügig, vor allem um Tanzeinlagen aufführungspraktisch gekürzten Version einen ambitionierten, über mehrere Spielzeiten reichenden Meyerbeer-Zyklus.

Leb wohl, mein Blütenreich: Im indischen XXL-Doppelbett glüht der Kitsch mit Sophie Koch und Roberto Alagna in Giacomo Meyerbeers „Vasco da Gama“
Leb wohl, mein Blütenreich: Im indischen XXL-Doppelbett glüht der Kitsch mit Sophie Koch und Roberto Alagna in Giacomo Meyerbeers „Vasco da Gama“
Quelle: Bettina Stoess/Deutsche Oper

Die Komische Oper hingegen problematisiert eine Ikone der eigenen Geschichte, indem sie Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ von jenem Felsensteinsockel kippte, auf dem selbst der Gründungsprinzipal noch 1958 an der Fälschungsgeschichte dieses 1881 ebenfalls postum uraufgeführten Werkes mitgedichtet hatte. Denn was noch unsere Eltern als angeblich geschlossene „phantastische Oper“ kannten, erwies sich durch eine Heerschar von mutwilligen Bearbeitern, verstreute Noten und eifersüchtig klitternde Forscher als schlimmster Zettelkasten und Resterampe überhaupt.

Und Hausherr Barrie Kosky, gern als Bilderstürmer unterwegs, präsentiert jetzt erst recht die amourösen Hirngespinste des frühromantischen Schriftstellers E. T. A. Hoffmann, wie sie sich angeblich in seinen Werken widerspiegeln, als fragmentarisches und düster-kausalitätsfreies Gestammel eines schmierigen Promillefreaks, auf den sich jeder im Publikum selbst seinen hochprozentigen Reim machen musste.

Sabberndes Künstlerwrack auf schwankendem Boden

Anzeige

Das ist vom ersten, bannenden Bild eines sabbernden Künstlerwracks zwischen einem Friedhof der Schnapsflaschen auf schwankendem Bühnenboden bis zu einem letzten, aus dem längst zugenagelten Sarg geheulten Mozart-Duett teilweise so brillant theatralisch anzusehen wie für den Ignoranten hermetisch unerklärlich. Kosky schert sich nicht um Logik und Erhellung, er haut sich als Autor/Regisseur aus dem Original-Offenbach heraus, was ihm taugt. Rezitative, Aktanfänge und Finali, alles, was ihn stört und aufhält, hackt er einfach weg; durch die fehlende finale Gliederung fühlt er sich legitimiert.

So entsteht kein Stück, nur ein wüster, bald kaum mehr zu dechiffrierender Haufen von Assoziationsketten und Einfallswust, angereichert um zusätzliche Sprechtexte aus der Hoffmann-Novelle „Don Juan“. Das ist unterhaltsam, wenn der Olympia-Akt als sinistre Puppenmacherrevue inklusive Chorus Line vorbeischillert, mit der famos wandlungsfähigen Nicole Chevalier in allen vier Frauenrollen als aus einem frivolen Kasperletheaterschrank trillernd grimassenschneidender Sopranautomat.

Das ist surreal gruselig im Antonia-Akt mit einer überehrgeizigen Primadonna, die sich rauf und runter fahrend von ihrer sich vervielfachenden Familie ödipal zu Tode geigen lassen muss. Und das ist öde additiv im Vorspiel und im Giulietta-Akt, wo Sinniges und Sinnloses sich verquirlen, wo die drei aufgebotenen Hoffmänner, der virtuos krächzende Schauspieler Uwe Schönbeck, der versatile Bariton Dominik Köninger (weil die Rolle ursprünglich mal für dieses Stimmfach gedacht war) und der wimmernde Tenor Edgaras Montvidas nur als Stichwortgeber in aus dem Ruder laufenden Interpretationsmustern um ihr szenisches Überleben paddeln.

Olympia im Koloraturschrank: Nicole Chevalier
Olympia im Koloraturschrank: Nicole Chevalier
Quelle: Monika Rittershaus/Komische Oper Berlin

Da kann sich Dimitry Ivashchenko als ungewohnt passiver Universalbösewicht ganz auf seinen gewichtigen Knarzbassbariton verlassen, Peter Renz in den Bufforollen sollte aber sein Französisch nachbessern. Stefan Blunier am Pult hätte durchaus merken können, dass man diese oszillierend farbensprühende Partitur nicht im Einheitsforte teutonisch grob herunterrumsen muss. Und vielleicht fällt Kosky beim nächsten Mal für seine gewohnt überaktiven Chorsolisten auch mal was anderes ein als immer nur halbnackt mit dem Hintern wackelnde Kerle im Rock – auch wenn hier natürlich nur alle dem delirierenden Dichter ein Weib in wechselnder Gestalt vorgaukeln sollen.

Vorsichtig segelt der Tenor um jede Höhenklippe

Dem wird jeder Ehrgeiz und Nachruhm versagt, weil natürlich auch die Apotheose der Muse (als Mozart-Mickerling: Karolina Gumos) gestrichen ist, dafür treibt solcher auch in Vera Nemirovas holzschnittgrober Meyerbeer-Deutung an der Deutschen Oper Vasco da Gama als Che-Guevara-Doppelgänger in den ewigen Welteroberungsdrang. Nur kann Startenor Roberto Alagna dem nur begrenzt Rechnung tragen.

Zu fragil klingt die indisponierte, aber immer noch ihr berückend schönes Timbre offenbarende, um jede Höhenklippe vorsichtig herumsegelnde Stimme. Zu oft muss er sich auf sein flächendeckendes Charisma verlassen. Und zu oft ist spürbar, wie anspruchsvoll, mit wie viel heute kaum mehr vorhandener Nuancierung und stilistischem Einfühlungsvermögen die fünf tragenden Rollen dieses Opernschwergewichts zu stemmen sind.

Tadelfrei bewältigt das nur der zwischen Xenophobie und devoter Herrinnenzuneigung zerrissene, gleichermaßen klar und balsamisch schön, trotzdem charaktervoll und sprachlich korrekt singende Markus Brück: Glückwunsch jedem Opernhaus, das so einen Spitzenbariton zum Ensemble zählt.

Verwöhntes Portugiesen-Gör: Nino Machaidze als Inès
Verwöhntes Portugiesen-Gör: Nino Machaidze als Inès
Quelle: Bettina Stoess/Deutsche Oper
Anzeige

Seth Carico als flach gezeichneter Herrenmensch Don Pedro zieht sich als optisch fescher Admiral vokal eher flau aus der Meyerbeer-Affäre. Die Ines der Nino Machaidze gibt als zur fordernden Braut reifende Tochter in der Matrosenbluse der vorgestanzten Rolle Glamour, aber auch die leicht säuerliche Mittellagenschärfe ihres früh verblühenden Soprans.

Sophie Koch bewältigt die hypertrophe, sich in einer zwanzigminütigen Todesszene divenhaft aushauchende Partie der Sélica höchst achtbar. Man wünschte ihr freilich voluminöseren Mezzoklang, mehr lockende Farben und eine größere Schattierungspalette. Merke: Bei Meyerbeer ist gut einfach noch nicht genug.

Deutsch-dialektische Regietheatertunnelsicht

Das gilt auch für Vera Nemirovas intelligente, aber aus ihrer so deutsch-dialektischen Regietheatertunnelsicht nur schwer abweichen könnende Inszenierung. Die ist zu einfach, zu schwarz-weiß, trägt das schlechte Gewissen eines heute eigentlich politisch unkorrekten Ethnokitschverdachts dauernd ostentativ spazieren. Deshalb finden sich auf Jens Kilians versatiler Bühne mit übergroßen Papierschiffen, einer aus dem Boden hochklappenden Weltkartenhalbscheibe sowie sechs gewölbten Segeln, Tempel, Gefängnis, Schlafzimmer und lavalampenpulsierendem Liebesweltenraum mit Blumenbett vorstellen sollenden Kreiselementen Flüchtlinge, Zwangstaufen, von MG-Salven niedergemähte Portugiesen und talibanartige Inder mit albernen Stampftänzen.

Die Regie ist oft ratlos, wie sie mit der breiten Tableauanlage, dem stehenden Bilderreigen dieser monströsen Oper um fanatischen Fremdenhass umgehen soll. Dabei macht es ihr Enrique Mazzola im Graben souverän vor: ruhig ausschwingend, mit liebevollem Blick insbesondere für die Holzbläserdetails, sich immer wieder dramatisch verdichtend. So bekommt Meyerbeer mählich eine epische Klangaura, die Offenbachs kaum mehr durchschaubarem Scherbenhaufen à la Kosky leider verweigert wird. Deutschland und französische Oper: Das war noch nie eine einfache Geschichte.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema