Oper, Oper über alles

Pünktlich zu den deutschen Vereinigungs-Feiern eröffneten die Berliner Opernhäuser die Saison mit drei Premieren, an denen sich das Selbstverständnis der Bühnen exemplarisch ablesen liess.

Julia Spinola, Berlin
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Deutsche Einigkeit auf luftiger Festwiese: Richard Wagners «Meistersinger von Nürnberg» in der Berliner Staatsoper. (Bild: Bernd Uhlig)

Deutsche Einigkeit auf luftiger Festwiese: Richard Wagners «Meistersinger von Nürnberg» in der Berliner Staatsoper. (Bild: Bernd Uhlig)

Fünfzehn Stunden Oper an drei aufeinanderfolgenden Tagen boten diese drei hoch ambitionierten Premieren, und auch wenn im Einzelnen nicht alles auf angestrebtem Niveau gelang, stellte die ästhetische Bandbreite, die hier geboten wurde, doch wieder einmal die – regelmässig erörterte – Existenzberechtigung der drei Berliner Opernhäuser unter Beweis. Daniel Barenboims Staatsoper machte ihrem Namen alle Ehre und feierte den Tag der Deutschen Einheit mit einer gar staatstragenden Inszenierung der «deutschesten» aller Opern, mit Richard Wagners «Meistersingern». Der Traum vom integralen, nur sich selbst genügenden, eine unantastbare ästhetische Einheit zelebrierenden Kunstwerk birgt hier zugleich den chauvinistischen Albtraum einer weltbeherrschenden Überlegenheit der deutschen Kunst gegenüber jenem «welschen Tand» – den an diesen Tagen ausgerechnet die beiden anderen Berliner Opernhäuser mit Lust präsentierten.

«Welscher Tand»?

Die Deutsche Oper setzte mit «Vasco da Gama» den Auftakt zu einer Rehabilitierung Giacomo Meyerbeers, des meistgehassten Vorbilds Wagners. Und an der Komischen Oper experimentierte der Bilderstürmer Barrie Kosky mit Jacques Offenbachs abgründiger Erfolgsoper «Hoffmanns Erzählungen». In beiden Fällen hat man es mit unabgeschlossenen Torsi zu tun, die erst postum zur Uraufführung kamen.

Meyerbeers Opernkoloss «Vasco da Gama» wurde 1865, ein Jahr nach seinem Tod, unter dem irreführenden Titel «Die Afrikanerin» erstmals gespielt, in einer reduzierten Fassung, die das grandios Exzessive, ja Hollywoodartige, das zu der von Meyerbeer geprägten Form der Grand Opéra nun einmal gehört, eindämmte; die rekonstruierte Urfassung wurde erst 2013 in Chemnitz gezeigt. Die Deutsche Oper brachte nun, ebenfalls nach der kritischen Ausgabe, eine geringfügig auf viereinhalb Stunden gekürzte Version des Spektakels um den zwischen Entdeckerdrang und Ruhmsucht, aber auch zwischen zwei ungleichen Frauen zerrissenen Weltumsegler Vasco da Gama auf die Bühne.

Welche Charakterisierungskraft in den aparten melodischen Schönheiten und Exotismen der Partitur steckt, machte das Orchester der Deutschen Oper unter Enrique Mazzola hörbar, der das impressionistische Parfum der Indien-Szenen ebenso einfing wie den Pomp der kolonialistischen Staatsaktionen und den Bruitismus der Kampf- und Tumultszenen. Startenor Roberto Alagna beeindruckte in der Titelpartie – trotz Indisposition – mit betörend schillerndem, wenn auch nuancenarmem Timbre: als ein Che-Guevara-artiger Charismatiker. Nino Machaidze mit leicht metallischem, strahlkräftigem Sopran als Irène und Sophie Koch als differenzierter agierende indische Sklavin Sélica waren ebenbürtige Partnerinnen.

Als Star des Abends entpuppte sich jedoch Ensemblemitglied Markus Brück als Osmin-verwandter Bösewicht Nélusco mit balsamisch klangschönem, charaktervollem Bariton. Vera Nemirovas Inszenierung lavierte allzu unentschlossen zwischen statischem Ausstattungstheater und halbherzigen Aktualisierungsversuchen mit papiernen Flüchtlingsbooten und IS-Piraten. Statt sich dem erstbesten Regietheater-Einfall auszuliefern, hätte man sich lieber konsequent der Dekorations- und Bildersucht des Genres hingeben sollen.

Identität aus dem Zettelkasten

Wie weit entfernt Offenbachs artifiziell zersplitterte Bilderwelt von der deutschen Romantik mit ihrer Suche nach «echtem» Gefühl ist, machte Kosky in einer grellen, für seine Verhältnisse ungewohnt ätzenden, ja abgründigen Inszenierung deutlich. Die Fassungsfrage dieses ebenfalls postum uraufgeführten Werks ist noch vertrackter als bei Meyerbeer. Letztlich gibt es einen grossen Zettelkasten überlieferter Partiturteile, aus denen sich jeder seine eigenen Hoffmann-Geschichten zusammenbauen muss. Kosky dreht die Schraube noch um eine Drehung weiter, indem er die Frage nach der Tragfähigkeit von Identitätskonzepten zum Motor des Abends macht. Statt einem bringt er gleich drei «Hoffmänner» auf die Bühne.

Die ersten beiden Akte werden, einem frühen Entwurf Offenbachs entsprechend, von einem Bariton gesungen. Dominik Köninger zeigt, dass dies musikalisch durchaus aufgeht, zumal in der Ballade von Klein-Zack, deren verschiedene Strophen er mit unterschiedlichsten, je charakteristischen Timbres einfärbt. Nicht ganz so facettenreich gelingt die Darstellung der drei grossen Frauenpartien durch Nicole Chevalier, die zwar eine virtuos koloraturensichere Olympia ist, aber als Antonia und Giulietta etwas farblos wirkt. Neben dem Tenor-Hoffmann – stimmlich blasser: Edgaras Montvidas – gibt es dann auch noch einen Schauspieler, der mit gesprochenen Texten (aus E. T. A. Hoffmanns Erzählungen «Don Juan» und «Rat Krespel») zur Zentralfigur in Koskys Inszenierung wird.

So verlockend die Idee erscheint, das Geschehen als bizarres Hirngespinst einer überreizten Dichterphantasie zu inszenieren, die sich ihre angebeteten Frauengestalten und die gefürchteten Widersacher in immer neuen, letztlich fatalen Metamorphosen selbst erschafft – letztlich überzeugt sie auf der von Katrin Lea Tag entworfenen Bühne nicht. Ob es nun an Koskys Konzeption lag, dass die gesprochenen Partien auf die Dauer redundant wirkten, oder aber an der unsäglichen Darstellung des affektiert nuschelnden und zischelnden Schauspielers Uwe Schönbeck, der den Hoffmann in eine widerwärtige Karikatur verwandelte – es ist schwer zu sagen. Letztlich nahm man die gesprochenen Passagen als überflüssige Erklärungen wahr zu einem Bühnengeschehen, das in seiner schrillen und streckenweise, wie so oft bei Kosky, irre komischen Drastik besser für sich hätte sprechen sollen. Offenbachs Musik aber triumphierte dank dem unter Stefan Blunier fabelhaft prägnant, farbig und pointenreich spielenden Orchester der Komischen Oper.

Komödie über Deutschland

Während man also an der Komischen und an der Deutschen Oper für zwei lohnende Experimente ein partielles Scheitern riskierte, erwies sich die handwerklich wie musikalisch runde, ja geradezu gediegene «Meistersinger»-Produktion von Andrea Moses und Barenboim überraschend als schwächster der drei Abende. Moses brilliert als Regisseurin mit einer detailreichen Personenregie und mit dem Geschick, aus dem oft viel zu schwer (und ernst) genommenen Stück die Komödie herauszukitzeln.

Wie jedoch dem Anlass gemäss, aber ohne schlüssigen Bezug zum Stück, in dem es doch zuallererst um eine Selbstthematisierung des künstlerischen Schaffens geht – wie hier also die einst von den Nationalsozialisten missbrauchte «Reichsoper» zurechtgebogen werden soll auf eine repräsentative bundesrepublikanische Wiedervereinigungs-Oper, das hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack. Deutschlandfahnen, wohin man nur blickt, die Meister als erfolgreiche Grossunternehmer, deren Namen als Logos auf den Sponsorenwänden von Fussballvereinen prangen – mehr Deutschland als in dieser Inszenierung konnte man an diesem Feier-Wochenende wohl nicht einmal am Brandenburger Tor erleben. Schade nur um die grandiose sängerische Besetzung und die fabelhafte musikalische Durchleuchtung der Partitur durch Daniel Barenboim.