Neue Oper Wien: Die dreifache Judith

Judith ∣ SchnittBlende
Judith ∣ SchnittBlende(c) Neue Oper Wien
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Tanzoper „Judith ∣ SchnittBlende“: Reflexionen über Stärke, Erinnerung und soziale Normen.

Ja, Wien Modern steht wieder vor der Tür, aber die Wiener Szene zeitgenössischen Musiktheaters muss und kann auch abseits des von Konzerten dominierten Festivals immer wieder seine Spielformen finden – und seine Orte. Allein dieser Tage laufen zwei Uraufführungsproduktionen parallel: Noch bis Dienstag zeigt das Sirene-Operntheater im Großen Festsaal der Universität „Sisifos“, ein Werk über die Perpetuierung des Krieges – eigentlich ein naheliegendes Thema für den wiederholungsaffinen Komponisten Bernhard Lang.

Die Neue Oper Wien hingegen gibt in der Mumok-Hofstallung im Museumsquartier noch bis Sonntag die Tanzoper „Judith ∣ SchnittBlende“. Darin verknüpft die 1977 geborene Komponistin Judith Unterpertinger (Juun) private und allgemeine Assoziationen zu drei Frauen namens Judith und klopft damit natürlich auch weibliche Rollenklischees ab. Da ist zunächst die biblische Figur, die Holofernes enthauptet hat – im Denken der Komponistin oszillierend zwischen der Kindheitserinnerung an Gustav Klimts ästhetisiert-laszive Darstellung nach vollbrachter Tat und der harten Schlächterarbeit, wie sie etwa die Barockmalerin Artemisia Gentileschi dargestellt hat. Dann Juun selbst – oder besser: Aspekte ihrer eigenen Persönlichkeit sowie Lebenssituation. Und, vielleicht gar als Zentrum, die Großmutter Judith Unterpertinger, die an Alzheimer litt und 2010 gestorben ist. Drei Instrumente und drei Frauenstimmen sind im Einsatz, aber nicht etwa fein säuberlich getrennt und den drei Judiths zugeordnet. Statt dessen nähern die Gestalten sich unterschiedlich einander an, scheinen manchmal eins zu werden, fächern sich dann wieder auf in dem wenig mehr als eine Stunde dauernden knappen Werk. Eine Tänzerin (Martina Haager) und ihr filmisches, manchmal multiples Alter Ego (Video: Catherine Ludwig) ergeben eine weitere Klammer, auch die Sängerinnen, dominiert von Anna Maria Pammer, sind choreografisch ins Geschehen eingebunden.

Schattenspiele durch Paravents

Die von Juun und Katharina Weinhuber gemeinsam erarbeitete Inszenierung hat im wahrsten Sinne zwei Seiten: Das Publikum blickt aus gegenüberliegenden Blöcken auf die Szenerie aus Paravents, die zum Teil das Geschehen auf der anderen Seite als Schattenspiel durchscheinen lassen. Die Musik basiert auf von der Komponistin aussortierten, weiterentwickelten und in ihrem Sinne verwendeten Improvisationen der Mitwirkenden sowie wenigen bewussten Zitaten. Die eindringlichsten Momente entstehen in Magdalena Knapp-Menzels Libretto bei den Zwängen der zeitgenössischen Judith („schön charmant weiblich / musst du darfst du“), in der Musik aber, wenn jenseits geräuschvoll-alternativer Spieltechniken die Klangcharaktere von Fagott, Viola da Gamba und Clavichord kenntlich werden. Nicht alles schien ganz aufzugehen, insgesamt aber: ein Abend von zartherber Poesie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2015)

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