"Mefistofele" von Arrigo Boito mit René Pape neu inszeniert im Nationaltheater

Gott ist tot, der Teufel schwächelt: Arrigo Boitos Oper „Mefistofele“ mit René Pape und Joseph Calleja im Nationaltheater
| Robert Braunmüller
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Gott ist tot. Das behauptet jedenfalls der Teufel. Zum Beweis zeigt er uns im Nationaltheater einen Film: Zum letzten Mal wandelte das Prinzip des Guten in Gestalt von John Lennon unter uns. Aber der wurde in New York erschossen. Dann kreisen Passagierflugzeuge über dem neuen World Trade Center in New York. The Evil is Always and Everywhere. Und ein bisschen sexy ist es auch, zumindest für jene, die einen Hauch von Sadomaso schätzen.

Roland Schwabs Inszenierung von „Mefistofele“ beginnt stark. Die Fanfaren des Prologs im Himmel kommen von einer alten Schallplatte. Wenn Knabenchöre zum pompösen Gotteslob rufen, steigt die Video-Kamera in den untersten Höllenkreis der Bühnenmaschinerie, wo gefoltert wird und menschliche Überreste entsorgt werden.

Wenigstens auf der Bühne wird ordentlich gezündelt

Schwab zeigt das nur in Andeutungen. Aber es ist ein gangbarer Weg, Grauen über den Umweg der Fantasie des Zuschauers auf die Bühne zu bringen. Als Osterspaziergang dieser Faust-Oper von Arrigo Boito entfesselt die Inszenierung ein Oktoberfestpandämonium. Und der zweite Akt schließt mit einer wilden, von bürgerlichen Kreisen besuchten Techno-Party.

Da glückt dem Regisseur zu einer wilden Chor-Fuge ein starkes Bild, obwohl eigentlich nur ein paar Podien auf- und abfahren und der Chor mit den Armen wackelt (Bühne: Piero Vinciguerra). Aber die wilden Feuerstöße machen echt was her, und wer weiß, wie schwer man so etwas bei der Branddirektion genehmigt bekommt, verneigt sich mit Respekt – selbst wenn man in der Pause von den Rängen hört, dass es von dort aus längst nicht so aufregend aussieht wie aus dem Parkett.

Ein Knicks gebührt auch den beiden Haupt-Herren. René Pape spielt den Mefistofele unglaublich gockelhaft. Aber verkneift sich die vokalen Grimassen berühmter Vorgänger wie Fjodor Schaljapin oder Boris Christoff. Er singt ganz klar – ein nobler Basso cantante der italienischen  Schule. Joseph Calleja prunkt mit strahlendem Schönklang. Dass er als Darsteller immer ein wenig unbeteiligt wirkt, hat Schwab sehr geschickt benutzt, um den Faust in eine Art Jedermann umzudeuten.

Schwieriger ist es, Kristine Opolais zu mögen. Ihr Sopran flackert und flackert. Die Inszenierung deutet Margherita auffallend mondän – als psychisch angeknackste Ehefrau Fausts aus den besten Kreisen. Die Wahnsinnsszene am Tatort ihres Doppelmords an Kind und Mutter gelingt der Sängerin zwar eindrucksvoll, aber auch nicht wirklich bewegend.

Omer Meir Wellber lässt es krachen

Die 1875 in ihrer Zweitfassung in Bologna uraufgeführte Oper ist ein seltsamer Solitär: Es gibt vier wirklich einmalig schöne Arien und eine Menge Füllmaterial. So richtig italienisch klingt nichts. Omer Meir Wellber lässt die Musik mit dem Bayerischen Staatsorchester lodern wie das Höllenfeuer. Wie alle Barenboim-Schüler liebt er die Extreme. Wellber holt aufregend grelle Farben und Details der Instrumentierung heraus. Famos, wie er Fortissimos aufzieht und das Becken gruselig knallen lässt.

Im Parkett rückt einem die Musik wie Heavy Metal auf den Leib. Diese Intensität macht Wackler in den Chorszenen wett und passt gut zur „Sympathy for the Devil“ des Regisseurs. Aber die Gefahr der Übertreibung ist nicht fern. Sondern ganz nah,
Dass Mefistofele den ohnehin schon kaputten Faust noch kaputt machen will, nun ja. Es erwartet auch niemand, dass am Ende wirklich das Flugzeug ins World Trade Center fliegt. Aber nach der Pause gibt es gar keinen Standpunkt mehr. Das sinister Böse verflüchtigt sich in Konvention. Der Teufel tänzelt höhnisch zum emphatischen Duett zwischen Faust und Elena (Karine Babajanyan), das die Regie in die Gerontopsychiatrie verlegt hat.

Lesen Sie auch das Interview mit dem Regisseur Roland Schwab

Am Ende sollte Mefistofele protestierend gegen das Verklärungspathos anpfeifen. So gebietet es zwar nicht jede Notenausgabe, aber die Aufführungstradition. Hier zappelt er nur ein bisschen. Gott ist mausetot, aber der Teufel offenbar ziemlich scheintot. Eine frohe Botschaft? Die Theaterwelt ist langweiliger geworden.

Nationaltheater, wieder am 29.10, 1., 6., 10. und 15. 11.; Live-Übertragung am 15. 11. auf www.staatsoper.tv

 

 

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