Opernpremiere:Herr Satan sehr adrett

"Mefistofele" von Arrigo Boito wird zum ersten Mal an der Bayerischen Staatsoper in München inszeniert, mit René Pape in der Titelrolle. Arrigo Boito blieb dramaturgisch und bis in die Verse hinein bei Goethes Drama.

Von Wolfgang Schreiber

Eine Aufführung des dämonieverdächtigen "Mefistofele" von Arrigo Boito, noch nie an der Bayerischen Staatsoper gezeigt, könnte zur Spielzeiteröffnung lohnend sein - wenn Bild und Regie die tragischen Traumsituationen ums Trio infernal Faust-Mephisto-Margherita und die chorischen Eruptionen unverblümt erzählen würden. Wenn die drei Hauptfiguren genug Stimmcharakter und farbige Präsenz besäßen, um Faszination zu erzeugen. Historische Erinnerung: Als Toscanini 1901 die Oper an der Scala dirigierte, holte er sich dafür die Größten - Fjodor Schaljapin sang den Mephisto und Enrico Caruso den Faust.

Jedenfalls eine schwierige Unternehmung. Denn Arrigo Boito, der deutschen Musikkultur halbwegs hörig, blieb dramaturgisch und bis in die Verse hinein (hier in der Übertitelung) bei Goethes Drama - anders als in Gounods populärer Faust-Oper, die das Gretchen-Schicksal lyrisch verschönert; anders als Berlioz mit seiner "Dramatischen Legende"; anders als Busoni später, der sich mit philosophischem Geist dem alten Puppenspiel zuwendet.

Der 1842 geborene Paduaner Boito komponierte "Mefistofele" nicht nach Art der Belcanto-Oper, auch nicht in der melodischen Dramatik Verdis, sondern in Richtung des Theatersymphonikers Wagner. Wofür Italien Unverständnis zeigte. Ein Außenseiter, in Deutschland kaum bekannt in seiner abenteuerlichen Berufsmischung: Komponist und Schriftsteller, Librettoschreiber und Übersetzer. Boito nimmt an den Freiheitskriegen gegen die Italien-Besetzer teil. Und der 25-Jährige komponiert "Mefistofele", dessen Erstversion an der Scala Misserfolg erntet. Die gestraffte Neufassung ist dann erfolgreich, sie wird auch im Nationaltheater in München gespielt.

Dass Boito Verdi zu "Othello" und "Falstaff" antrieb, sichert ihm einen Ehrenplatz in der Musik

Arrigo Boito ist vor allem derjenige, der den alten Giuseppe Verdi vehement dazu antreibt, sich noch einmal in Shakespeare zu vertiefen, den "Othello" und dann den "Falstaff" zu komponieren. Er schreibt für Verdi die großartigen Libretti - allein das reicht schon für einen Ehrenplatz in der Musikgeschichte. Wie nebenbei übersetzt er "Rienzi", später auch den "Freischütz" und "Tristan und Isolde" ins Italienische.

Boitos Nähe zur deutschen Opernkunst in "Mefistofele" bedeutet: Statt vieler attraktiver Arien schreibt er ausdrucksstark massige, emotional zerrissene Chöre, wie im Prolog und in der Walpurgisnacht, vor allem einen deklamatorischen, orchestral fundierten Solo-Gesang. Schon das Orchestervorspiel signalisiert den wilden Geist, das faustische Streben. Und der junge Omer Meir Wellber lässt das Bayerische Staatsorchester mit grellen Tuttischlägen toben, schreiende Bläsersignale ins Große und Weite gehen, dazu zarte Harfen- und Flötenfiguren feingefügt zumischen. Dann rast der fast halbstündige "Prolog im Himmel" los, wo mystische Chorherrschaften anstelle Gottes mit dem elegant und zynisch wirkenden Mephisto sich wegen Faust anlegen. Ein starkes Entrée für eine Oper, die sich an Goethes erstem "Faust"-Teil und der Helena-Episode aus dem zweiten orientiert.

Von Beginn an macht die Regie Roland Schwabs klar, dass hier die Erzählung durch assoziative Bildspielereien aufgemöbelt werden soll, auch der unsinnigeren Art und Weise. Auf der vorwiegend düsteren Szene von Piero Vinciguerra, die von einem bühnenhoch klobigen Eisenstangengerüst beherrscht wird, erscheint der modern in tiefes Blau gekleidete Herr Mephisto René Papes gleich mit einer ziemlich abwegigen Aktion: Er legt einem im Vordergrund postierten, die ganze Aufführung störenden Riesengrammofon mit Trichter eine Schallplatte auf, sofort hebt der Orchesterklang an. Am Ende - auch ein wirrer Kreis muss sich schließen - zerbricht Mephisto die Platte. Oper aus! Ironische Reminiszenz? Die Platte als Metapher des "alten Huts" Oper? Scherz, tiefere Bedeutung? Man erfährt's nicht.

René Pape hat erklärt, es gehe in "Mefistofele" nicht um den Streit Böse gegen Gut, für ihn sei Mephisto gar nicht der Böse, vielmehr "einfach ein starker Charakter . . . er hält uns den Spiegel vor". So fehlt der alerten Figur das Dunkle, Unheimliche. Papes Bass klingt, auch in der herrischen Pfiff-Canzone "Son lo spirito, che nega", mehr verschattet als auftrumpfend viril.

In dieser Inszenierung fehlt das Dunkle, Unheimliche, das zum Teufel gehört

Faust wird von Joseph Calleja mit geschmeidiger Tenorkraft, die Arie "Dai campi, dai prati" mit lyrischen Zwischentönen gesungen, szenisch wird er leider desavouiert: Er steht meist steif, wie unbeteiligt auf der Bühne. Die Margherita in Kristine Opolais' etwas sprödem Sopran entfaltet den leidvollen Tragödienausdruck erst in der Kindsmordklage "L'altra notte" im dritten Akt. Von Fausts Verführung keine Spur. Als Helena glänzt Karine Babajanyans Sopran mit heroischen Spitzentönen. Kleinere Partien sind mit Heike Grötzinger (Marta) und Andrea Borghini (Wagner) gut besetzt. Hexen der Walpurgisnacht: ein punkiger Mob, der zerzaust hin- und herrast. Die "Griechen" der Klassischen Walpurgisnacht: in Putzfrauenkleidern (Kostüm: Renée Listerdal) edel sich Langweilende, nur im Chorgesang Auftrumpfende (Einstudierung: Sören Eckhoff).

Oper ist durch die Kunstmusik viel weniger geeignet als das Schauspiel, einen Aktualitätsbezug herzustellen zur Welt, in der wir leben. Zu erwarten, "Mefistofele" etwa könne dazu beitragen, gegenwärtige Sachverhalte oder Stimmungen ins Spiel und auf die Bühne zu bringen, wäre voreilig. Gleichwohl hat Roland Schwab der Versuchung nachgegeben, Gegenwart hereinzuholen, scheinbar selbstkritisch, im Ergebnis aber banal und aufdringlich. So wird irgendwann das Publikum, auch das Orchester mit Dirigent, aufs Korn genommen, durch eine Kamera live auf dem Großmonitor bloßgestellt, ein Gag ohne Linie und dramatische Konsequenz. Bildideen, den Lebenden den Spiegel vorzuhalten, sind vielleicht das Schwerste, gerade in der Oper.

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