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Mefistofele: R. Pape (Mefistofele), Chor der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
Mefistofele: R. Pape (Mefistofele), Chor der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
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Wohl „ganz gesellschaftskritisch“ gemeint

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Faust triumphiert im Bühnenbildtheater – Münchens Staatsoper bietet Arrigo Boitos „Mefistofele“ erstmals szenisch. Wolf-Dieter Peter war dabei.

„König einer friedvollen Welt, eines grenzenlosen Landes, will ich einem glücklichen Volk das Leben geben“ lässt Arrigo Boito 1875 seinen alten Faust kurz vor seinem Tod singen - ein atemverschlagender Entwurf mitten in diese unsere Wochen hinein. Da wäre zu wünschen, dass ein hellwacher Regisseur wie viele seiner Kollegen derzeit auf deutschen Bühnen reagiert - auch wenn die Werkstätten längst entsprechend seinem länger feststehenden Konzept arbeiten.

Für dieses Konzept hat sich Regisseur Roland Schwab von Piero Vinciguerra im nachtschwarzen Bühnenraum links und rechts hohe Gitterhalbrunde bauen lassen. Sie formen einen düster nackten (Zeit-?)Tunnel, ein Raumschiffteil(?), eine Endzeit-Hölle(?) – leider vor allem aber ein szenisches Korsett, in dem die schlaglichtartig wechselnden Schauplätze Boitos aus Goethes „Faust I“ und „Faust II“ jeweils durch Requisiten und herumliegenden Müll hineininszeniert werden müssen: von Mefistofele und seiner – hinzu erfundenen - schräg-wüsten Horrortruppe. Prompt muss Schwab dafür viel aufwenden: Musik vom Trichter-Grammophon, vielfache Sesselumstellungen, abstrus kommentierendes Gerekel, ein wichtigtuerischer Zusatzscheinwerferträger, ordinär sexy Rumgetue der Girls, einen brennenden Rendezvous-Tisch zwischen Faust und Margherita, ein Easy-Rider-Motorrad samt Windmaschine für den Aufbruch Fausts und Mefistofeles zu ihren Lebensabenteuern vor vorbeirasender Video-Kulisse – und natürlich wiederholt Video: wie Mefistofeles Filmvorführung parallel zum Vorspiel samt John Lennon, New Yorks Skyline und einem kurvenden Flieger als „9/11“-Anspielung, auch mal ein totes Kind im Umfeld Margheritas, dann Mefistofele mit Handscheinwerfer und Live-Kamera, der bei seinem hämischen Urteil über die Menschen ins Publikum leuchtend filmt, dies auf einer Leinwand im Hintergrund zeigt - was wohl „ganz gesellschaftskritisch“ gemeint ist.

Im Kontrast zu all diesem Bühnenbildtheater hat Schwab dann seine Protagonisten hanebüchen wenig geführt – die Sänger stehen viel an der Rampe und singen schön ins Parkett. Nicht verschwiegen sei, dass für die heutzutage heikle Orgie der Walpurgisnacht Schwab und die hervorragend funktionierende Technik der Staatsoper dann alle Licht-, Feuer-, Fackel- und Hydraulik-Möglichkeiten auf- und abfahren sowie strahlen und spielen lassen – das ergibt ein fulminantes Finale des ersten Teils. Doch dem steht dann die fade Idee gegenüber, die Arkadien-Szene mit Helenas dramatischer Beschwörung von Trojas Untergang und ihr schwelgerisches Liebesduett mit Faust in einem Altenpflegeheim spielen zu lassen. Der Buhsturm am Ende fiel dafür zu schwach aus.

Denn so unterschätzt Boitos Musikdramatik hierzulande ist, so klangschön fiel die Aufwertung aus. Da sind als erstes die von Sören Eckhoff und Stellario Fagone herrlich einstudierten und dann auch so singenden Chöre zu loben – in ihrer von Boito betörend komponierten „Ave“-Phrase leuchtete wenigstens klanglich etwas Utopie auf. Die mehrfachen Koordinationsprobleme zwischen Bühne und Orchester wird der sonst hoch engagiert und zupackend dramatisch dirigierende Omer Weir Wellber wohl in den Folgeaufführungen in den Griff kriegen. Leider gab es, über die guten Nebenrollen hinaus, auch Licht und Schatten bei den drei zentralen Solisten. Für die Titelrolle brachte René Pape zwar eine blendende Bühnenerscheinung mit, doch seiner gut geführten Stimme fehlte die Schwärze eines „Basso profondo“ und die strömende Fülle des „Basso cantante“, zu vieles klang zu hell und wurde zu wenig differenziert eingefärbt – Ergebnis: ein blasser Aufrührer und Verführer im nachtblauen Anzug. Kristine Opolais klang als schüchterne Margherita mal „früh-alt“, mal scharf ohne jede Süße; erst in der Dramatik der Kerkerszene überzeugte ihr vokales Temperament. Wie ein Hund an einer Kette hereingeschleift, wurde Joseph Callejas Faust dann banal heutig eingekleidet – dafür sang er aber beeindruckende Diminuendi in den schwierigen Abwärtslinien, mezzavoce-Lyrik und mit leuchtender Höhe – seine Erlösung war vokal legitimiert und wurde zurecht mit den stärksten Bravo-Stürmen belohnt. Doch Boitos Werk hätte mehr als den letztlich leer wirkenden Aufwand verdient.

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