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Vom Engel der Weihnacht
Von Thomas Molke /
Fotos von Anke Sundermeier Stage Picture
Was wäre wohl passiert, wenn Adelheid Wette ihren Bruder Engelbert Humperdinck im April 1890 nicht darum gebeten hätte, ein paar Lieder zu komponieren, die sie als kleines Märchen zum Geburtstag ihres Mannes im Familienkreis aufführen wollte? Hätte Humperdinck die künstlerische und private Krise, in die ihn der Tod seines Vorbildes Richard Wagner 1883 gestürzt hatte, auch ohne die Komposition von Hänsel und Gretel überwunden, zu der ihn die Familie bereits Pfingsten 1890 drängte, nachdem die Aufführung des Märchens mit vier Musiknummern im Hause Wette ein großer Erfolg geworden war? Diese Fragen wird man wohl nicht beantworten können. Auf diese Weise hatte Humperdinck jedenfalls endlich wieder ein Ziel vor Augen und schuf aus dem ursprünglich als Singspiel angelegten Werk eine durchkomponierte Oper, die schon kurz nach der Uraufführung in Weimar die ganze Welt erobern sollte und auch heute noch aus der Vorweihnachtszeit im Theaterbetrieb ebenso wenig wegzudenken ist wie Tschaikowskis Nussknacker. In Dortmund hat man in diesem Jahr neben dem Handlungsballett Nussknacker auch Humperdincks Oper auf den Spielplan gestellt, um in beiden Genres junges Publikum ins Haus zu locken. Was die rezensierte dritte Aufführung am Freitag betrifft, lässt sich bestätigen, dass dieses Konzept auch aufgeht. Im gut gefüllten Opernhaus sieht man zahlreiche jüngere Besucher, die an der Inszenierung ihre große Freude zu haben scheinen. Hänsel (Ileana Mateescu) und Gretel (Julia Amos) haben sich im Wald verlaufen. Dem Regie-Team um Erik Petersen gelingt es, die Märchenoper im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaft auf die Bühne zu bringen, was sowohl für das fantasievolle Bühnenbild als auch für die märchenhaften Kostüme von Tatjana Ivschina gilt. So wirkt der Wald im zweiten Bild mit den aus den Schnürboden herabhängenden Bäumen und dem moosbedeckten Boden wie ein verwunschener Ort. Sehr eindrucksvoll sind hierbei auch die Statisten, die zunächst als braun-grüne Felsen getarnt auf der Bühne liegen, bevor sie sich plötzlich wie Waldgeister erheben und beim Abendsegen um die beiden Kinder gruppieren. Das Irrlicht, das Hänsel beim Einbrechen der Dunkelheit wahrnimmt, schwirrt als Lichtkegel durch den Zuschauerraum, um auch das Publikum in die Atmosphäre dieses Waldes eintauchen zu lassen. Weihnachtlich wird es dann, wenn die Engel nach dem Abendsegen auftreten. Während aus dem Schnürboden ein belaubtes Netz herabgelassen wird, in dem Hänsel und Gretel sich schlafen legen, erscheinen acht Engel in weißen Kostümen mit glitzernden Lampen, die wie leuchtende Figuren an einem Weihnachtsbaum aussehen. Auch der Sandmann entspricht eher einem Weihnachtsengel. Doch die Engel stellen sich nicht nur wie im Abendsegen beschrieben um die schlafenden Kinder auf, sondern verlassen anschließend die Bühne und schreiten dann während der Pause durch den Zuschauerraum. Hänsel (Ileana Mateescu) und Gretel (Julia Amos) kommen zu einem Lebkuchenhaus. Einfallsreich ist auch das dritte Bild nach der Pause. Nachdem Hänsel und Gretel am nächsten Morgen im Wald aufgewacht sind, treffen sie auf einem Berg zunächst auf ein kleines Lebkuchenhaus. Eine Wendeltreppe führt gewissermaßen in den Berg hinein, in dem sich dann die Wohnung der Rosina Leckermaul befindet. Diese wirkt mit ihren zahlreichen Torten und Kuchen zunächst noch sehr verlockend. Doch dann wird die Bühne emporgefahren, und unter der heimeligen Wohnung wird eine kalt geflieste Küche mit einem regelrechten Schlachttisch sichtbar. Auf der linken Seite befindet sich der Herd, in dem die Hexe auch Hänsel und Gretel zu Lebkuchen verarbeiten will. Der Käfig, in den Hänsel gesperrt wird, besteht aus zahlreichen Besen. An der Rückwand befinden sich mehrere Kühlschranktüren, hinter denen die Hexe mal ihre Lebensmittel aufbewahrt und die mal als geheime Tür zum Verlassen des Raumes fungieren. Wenn die Hexe am Ende im Ofen stirbt, platzen aus diesen "Kühlschränken" die ganzen verzauberten Kinder hervor, die sich mit braun bemalten Gesichtern allmählich vom Lebkuchen zurückverwandeln. Gretel (hier: Tamara Weimerich) in den Fängen der Hexe Rosina Leckermaul (Ks. Hannes Brock) Im Gegensatz zum zweiten und dritten Bild sind Petersens Regie-Einfälle beim ersten Bild nicht durchgängig nachvollziehbar. Zunächst legt er die Mutter als sehr ambivalente Person an, die im Orchestervorspiel äußerst gütig mit ihren Kindern den letzten Laib Brot teilt, bevor sie sich als Lehrerin für die Kinder des Dorfes betätigt. Wenn sie später nach ihrem Bettelgang ins Haus zurückkehrt, wirkt sie wie ausgewechselt. Natürlich ist sie darüber frustriert, dass sie mit leeren Händen wiederkehrt, vielleicht auch verärgert, weil die beiden Kinder nicht die ihnen aufgetragenen Arbeiten erledigt haben. Aber die heftige Reaktion widerspricht ihrem milden Auftreten zum Beginn des Stückes. Auch wird nicht ganz nachvollziehbar, wieso Petersen bei der Rückkehr des Vaters einen Szenenwechsel vornimmt und sich Vater und Mutter plötzlich mitten in der Stadt befinden, wo der Vater erfolgreich seine Besen verkauft hat. Zwar gibt es der Regie die Möglichkeit, auch die Dorfbewohner in aufwendigen Kostümen auftreten zu lassen, aber das Entsetzen über den Verlust der Kinder geht dabei ein bisschen verloren, auch wenn man die Hexe kurz nach Peters schauriger Erzählung in gespenstischem Gewand über die Bühne fliegen sieht. Musikalisch und darstellerisch überzeugt das Dortmunder Ensemble an diesem Abend auf ganzer Linie. Auch wenn die Solisten recht textverständlich sind, dürfte die Übertitelung gerade für die jüngeren Besucher hilfreich sein. Martina Dike legt die Mutter stimmlich bewusst schrill an und lässt sie mit scharfem Mezzo sehr unsympathisch erscheinen. Martin Kronthaler hält als Vater mit gemütlichem Bariton dagegen. Ks. Hannes Brock gestaltet die Hexe als regelrechte Drag-Queen, bei der es gut nachvollziehbar ist, dass sie den Kindern ein bisschen unheimlich ist. Mit großem komödiantischem Talent begeistert er beim Hexenritt im dritten Bild. Tamara Weimerich überzeugt als Sandmann und Taumann mit jugendlichem Sopran und anmutigem Spiel. Besonders niedlich sind die Seifenblasen, die aus dem Rock des Taumanns emporsteigen. Ileana Mateescu und Julia Amos geben musikalisch und darstellerisch ein wunderbares Geschwisterpaar ab. Amos begeistert als Gretel mit kräftigem Sopran und anmutigem Spiel, während Mateescu die Hosenrolle des Hänsel mit jungenhaftem Charme ein wenig tapsig anlegt. Ihr Mezzo klingt wohl-timbriert und geht vor allem im harmonischen Einklang mit Amos' Sopran beim Abendsegen unter die Haut. Philipp Armbruster arbeitet mit den Dortmunder Philharmonikern die dramatische Struktur der Musik sorgfältig heraus, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt. FAZIT Diese Inszenierung von Hänsel und Gretel ist absolut familientauglich und eine gelungene Einstimmung auf die Vorweihnachtszeit.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Choreographie Licht Choreinstudierung Kinderchor Dramaturgie
Opern-Kinderchor der Statisterie des Theaters Dortmund Dortmunder Philharmoniker
Solisten *rezensierte Aufführung
Hänsel Gretel
Hexe
Mutter
Vater
Sandmann / Taumann
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