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Im Reich der Karten
Von Thomas Molke
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Fotos von Thilo Beu Sergej Prokofjew hat es zunächst nicht leicht gehabt, als er sich nach der Oktoberrevolution in den Vereinigten Staaten niederließ. Erst als er in Chicago den Dirigenten Campanini kennenlernte, schien sich das Blatt zu wenden. Dieser war nämlich sofort Feuer und Flamme, als Prokofjew ihm sein neuestes Opernprojekt, Die Liebe zu den drei Orangen, vorstellte, und setzte durch, dass das Stück noch in der Saison 1919/1920 herauskommen sollte. Doch mitten in der Probenarbeit starb Campanini, und die Theaterleitung beschloss, die Uraufführung auf die nächste Saison zu verschieben. Damit war aber wiederum Prokofjew nicht einverstanden, da das Theater nicht bereit war, ihm eine Entschädigung für das verlorene Jahr zu zahlen, so dass die Uraufführung auch in der Spielzeit 1920/1921 nicht stattfinden konnte. Erst als die amerikanische Sängerin Mary Garden die Leitung der Chicagoer Oper übernahm, konnten die Wogen geglättet werden. Das Werk ging am 30. Dezember 1921 mit großem Erfolg über die Bühne und trat einen Siegeszug um die ganze Welt an. Heute zählt Prokofjews in französischer Sprache komponierte Oper zumindest in Westeuropa zu seinen bekanntesten Werken und hat sich, obwohl musikalisch eigentlich nur der große Marsch im zweiten Akt eingängig ist, einen festen Platz im Repertoire der Opernhäuser erworben. Truffaldino (Albrecht Kludszuweit, rechts) versorgt den leidenden Prinzen (Alexey Sayapin, links). Die Geschichte geht auf eine Fabel aus der Märchensammlung Pentameron von Giambattista Basile aus dem 17. Jahrhundert zurück. Carlo Gozzi griff diese Geschichte ein Jahrhundert später auf und schuf daraus seine Komödie Die Liebe zu den drei Pomeranzen. Während er als Metaebene ein Streitgespräch mit seinem literarischen Kontrahenten Carlo Goldoni einführt, der im Gegensatz zu Gozzi statt der Commedia dell' arte einen natürlicheren Zugang zum Theaterspiel fordert, geht Wsewolod E. Meyerhold zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch einen Schritt weiter, indem er die Positionen von Gozzi und Goldoni von einem Tragiker und einem Komiker diskutieren lässt. Aus den drei Pomeranzen werden die drei Orangen. Da für Meyerhold der Kern des Stückes in der Auseinandersetzung um den "wahren Theaterstil" bestand, brachte er auch in den Jahren 1914 bis 1916 eine gleichnamige Theaterzeitschrift heraus, wodurch wiederum Prokofjew auf den Stoff aufmerksam wurde und die Idee entwickelte, die Geschichte als Oper zu vertonen. Im Prolog geht Prokofjew dabei sogar noch einen Schritt weiter und lässt nun die Tragischen, Komischen, Lyrischen und Hohlköpfe über das zu zeigende Bühnenstück streiten. Durchsetzen können sich am Ende die Lächerlichen mit der Liebe zu den drei Orangen. Fata Morgana (Teiya Kasahara, links) verflucht den Prinzen wegen seiner Schadenfreude (in der Mitte: Truffaldino (Albrecht Kludszuweit), hinten: Clarisse (An De Ridder) und Leander (Heiko Trinsinger), rechts: Mitglieder des Chors). Der Prinz eines nicht näher bestimmten Königreiches leidet an einer schweren Depression. Alle Versuche, ihn zum Lachen zu bringen, scheitern, bis die Fee Fata Morgana stolpert und der Prinz über die Schadenfreude sein Lachen zurückgewinnt. Die Fee ist darüber natürlich empört und verflucht den Prinzen. Er ist fortan von drei Orangen besessen. Diese muss er zunächst mit seinem Diener Truffaldino bei einer gefährlichen Köchin stehlen. Erschöpft flieht er mit den Orangen in die Wüste. Dort entpuppen sich die Orangen als verzauberte Prinzessinnen. Die ersten beiden verdursten, weil Truffaldino nicht schnell genug Wasser besorgen kann. Nur Ninetta kann vom Prinzen gerettet werden. Doch mit einer Nadel wird sie von der Fee Fata Morgana in eine riesige Ratte verwandelt, und Smeraldina nimmt ihren Platz ein. In letzter Sekunde kann der Zauberer Tschelio Ninetta zurückverwandeln und verhindert so, dass der Prinz Smeraldina heiraten muss. Der Prinz (Alexey Sayapin, links) schläft, während Truffaldino (Albrecht Kludszuweit, Mitte) verzweifelt versucht, die beiden Orangen-Prinzessinnen Linetta (Marie-Helen Joël, rechts) und Nicoletta (Christine Hackelöer, links) zu retten. Das Regie-Team um Laurent Pelly nimmt das Kartenspiel, dem schon in Gozzis Geschichte eine besondere Bedeutung zukommt, zum Anlass, die Spielkarten zu einem Leitmotiv des Stückes zu machen. So kreiert Bühnenbildnerin Chantal Thomas beeindruckende Räume, die nur aus überdimensionalen Spielkarten zusammengesetzt sind. Im Palast des Königs Treff thront ein riesiger Kreuz König im Hintergrund, während das Kartensymbol "Kreuz" auch auf dem weißen Thron angebracht ist. Das Bett des Prinzen, in dem er im ersten Akt sein Leid beklagt, besteht aus übereinander gestapelten Kartenpackungen. Smeraldinas Kostüm übernimmt die Struktur der Spielkarten, so dass sie sich im zweiten Bild des ersten Aktes wunderbar vor den Spielkarten tarnen kann, wenn sie die Intrige zwischen dem Kanzler Leander und der Nichte des Königs, Clarisse, belauscht. Nach dem Fluch Fata Morganas stürzt ein Kartenhaus auf der Bühne zusammen. Auch in der Wüste tauchen die Spielkarten wieder auf, dieses Mal in leicht eingerollter Form als Wüstensand. Wenn Fata Morgana zu Beginn des vierten Aktes über den Prinzen zu triumphieren scheint, werden aus dem Schnürboden zahlreiche Kreuzkarten aus dem Schnürboden herabgelassen, wobei der feuerrote Vorhang, der durch die Kreuzsymbole leuchtet, wunderbar mit Fata Morganas Kostüm korrespondiert. Auch das Farbspiel der übrigen Kostüme, für die Pelly verantwortlich zeichnet, überzeugt mit der Licht-Regie von Joël Adam ebenso wie das Bühnenbild. Happy End für den Prinzen (Alexey Sayapin) und die dritte Orange, Prinzessin Ninetta (Christina Clark, Mitte) (rechts: Clarisse (An De Ridder), im Hintergrund: Chor) Optisch beeindruckend gelingt auch das erste Bild im dritten Akt, wenn der Zauberer Tschelio den Teufel Farfarello herbeiruft, um zu erfahren, wohin es den Prinzen und Truffaldino verschlagen hat. Der Teufel erscheint nur als Videoprojektion auf einem feuerroten Tuch, das durch die wehenden Bewegungen wie ein Flammenmeer wirkt. Schade ist nur, dass der Bass von Georgios Iatrou als Farfarello nicht die Schwärze besitzt, dieses Bild auch akustisch zu unterstützen. Trotz der Verstärkung klingt seine Stimme in dieser Sequenz nicht bedrohlich und dunkel genug. Ansonsten ist die Aufführung musikalisch und darstellerisch ein riesiger Spaß. Alexey Sayapin mimt den Prinzen wunderbar leidend und verweigert ihm darstellerisch jeglichen Heldenmut. Selbst wenn er der Köchin die Orangen stiehlt, bleibt er ein "Weichei". Alexander Kludszuweit ist als Truffaldino das genaue Gegenteil. Mit großer Komik spielt er sich in die Herzen der Zuschauer und kommentiert mit großer Spielfreude den letzten Akt Popcorn essend aus dem Publikum. Tijl Faveyts verleiht dem König mit markantem Bass die nötige Autorität, wirkt in seinem aufwendigen Königsmantel allerdings wie eine Kopie einer Spielkarte. Heiko Trinsinger legt den Kanzler Leander gekonnt schmierig an. Mit An De Ridder als intrigante Clarisse steht ihm eine überzeugende Sängerdarstellerin zur Seite. Baurzhan Anderzhanov als Köchin Ein Höhepunkt des Abends ist der relativ kurze Auftritt von Baurzhan Anderzhanov als Köchin. Mit enormem Spielwitz und brummendem Bass gelingt es ihm, bei dieser Figur die Balance zwischen Bedrohlichkeit und Lächerlichkeit zu halten. Mit lieblichem Sopran überzeugt Christina Clark als Orangen-Prinzessin Ninetta. Große Momente haben auch Bart Driessen als Tschelio und Teiya Kasahara als böse Fee Fata Morgana. Driessen begeistert durch markanten Bass und magisches Spiel, Kasahara spielt die dunklen Seiten der Fee diabolisch aus. Gut in Szene gesetzt ist dabei auch das Kartenspiel zwischen den beiden, in dem sie um die Gunst ihrer Schützlinge spielen. Der von Patrick Jaskolka einstudierte Opern- und Extrachor bewältigen ihre Aufgabe gesanglich und darstellerisch hervorragend. In Tragische, Komische, Lyrische und Hohlköpfe unterteilt, treten sie teilweise aus dem Publikum auf und liefern sich einen heftigen Kampf um die Wahl des richtigen Stückes. Yannis Pouspourikas arbeitet mit den Essener Philharmonikern Prokofjews Klangfarben differenziert heraus, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt. FAZIT Prokofjews Musik mag in dieser Oper Geschmacksache sein. Dem Regie-Team gelingt jedoch eine kurzweilige und komödiantische Umsetzung, so dass man auch auf seine Kosten kommt, wenn man zur Musik keinen direkten Zugang findet. 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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung und Kostüme Szenische Einstudierung Bühne Choreographie Choreographische Einstudierung Choreinstudierung Licht Dramaturgie
Essener Philharmoniker
Opernchor
und Extrachor Statisterie des Aalto-Theaters
Solisten
König Treff Der Prinz, sein Sohn Clarisse,
seine Nichte Leander, Kanzler Truffaldino,
Spaßmacher
Pantalon, Günstling des Königs Fata
Morgana Tschelio
Linetta
Nicoletta
Ninetta
Die Köchin
Farfarello, ein Teufel
Smeraldina
Der Zeremonienmeister
Der Herold
Tänzer
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