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Bühne und Konzert Händel-Festspiele

Perückenalarm in Karlsruhe

Alte Germanen im Händel-Reifrock: in der Mitte Layla Claire (Tusnelda) und Max Emanuel Cencic (Arminio) sowie Statisten Alte Germanen im Händel-Reifrock: in der Mitte Layla Claire (Tusnelda) und Max Emanuel Cencic (Arminio) sowie Statisten
Alte Germanen im Händel-Reifrock: in der Mitte Layla Claire (Tusnelda) und Max Emanuel Cencic (Arminio) sowie Statisten
Quelle: Falk von Traubenberg/Staatstheater Karlsruhe
Der längst auch erfolgreich als Unternehmer im Opernbusiness tätige Countertenor Max Emanuel Cencic hat sich komplett an die Händelfestspiele verkauft: als singender „Arminio“ und als Regisseur.

War Hermann der Cherusker ein Kastrat? Was nationalistische Anhänger des Germanenherzogs später schwer auf die Palme gebracht hätte, war im Barock keinerlei Problem. Georg Friedrich Händel nahm „Arminio“ und seinen Kampf gegen die Römer 1737 zum Anlass für ein musikalisches Hermannsdenkmal. Der beschnittene Held sang wie ein Kanarienvogel.

Diese selten gespielte Barockoper – „Arminio“ – ist derzeit umjubelte Hauptattraktion der Karlsruher Händelfestspiele. Und das nicht, weil Hermann die Schlacht am Teutoburger Wald im dritten Akt mit halbwegs ohrenschonendem Getöse siegreich hinter sich bringt, sondern weil Max Emanuel Cencic die hohe Heldenpartie so bravourös bewältigt. Gesang ist schließlich schöner als Geschütz.

Überhaupt hätten die Librettisten der Barockoper wohl sogar noch den Ersten Weltkrieg in ein höfisches Liebesgeplänkel mit Happy End umgeschrieben. Der harmonische Schluss war Pflicht – genau umgekehrt zur romantischen Todesoper des Belcanto. So auch hier: Wichtig ist nicht die Korrektheit der Historie, sondern ihre Anpassung ans emotionale Auf und Ab von Schmerz und Liebe, Verzweiflung und Hoffnung und schlussendlichem Triumph der Guten.

Hürde aus Koloraturen und Entsagung

Es ist zwar anders als im richtigen Leben, aber ein bisschen wie bei einem Sportwettkampf: Schaffen es die Helden, auch noch über diese Hürde aus Koloraturen und Entsagung zu hüpfen? Klar, sie schaffe’s! Nur mit dieser unpsychologischen Perspektive kommen Händels Bravourarien trefflich herüber. Und Helmut Stürmers wundervoll zwielichtige Ausstattung einer barocken Kriegsszenerie mit Bratenröcken und Puderperücken, Vorderladern und Guillotinen gab den passenden Rahmen für die uneindeutig funkelnde Vokalpracht.

Ein arienloser Händel-Moment
Ein arienloser Händel-Moment
Quelle: Falk von Traubenberg/Staatstheater Karlsruhe

Wenn die Musik alle Ungerechtigkeit mordender Soldateska, folternder Offiziere und zynischer Feldherrn zum ritterlichen Individualschmerz stilisiert, kann ein kluges Bühnenbild das mit gekonnten optischen Brüchen konterkarieren. So schieben sich mal Goyas gepeinigte Kriegsgesichter in die Drehbühnenszenerie, mal tauchen grauneblige Industrielandschaften hinter archaisch aufgespießten Schrumpfköpfen auf. Nein, gemütlich ist dieser Parforceritt durch archaisch-germanische Frühzeit nicht. Aber packend.

Weil – ganz seltener Fall – hier der Regisseur mit dem Titelhelden identisch ist, fand der Theatermacher Cencic allzeit den richtigen Rhythmus, um die langen, doch niemals langweiligen Da-Capo-Arien dramaturgisch zu beschleunigen: Seine Helden und -innen können beim Singen wandern, gefesselt werden, Schnaps aus der Pulle picheln und sogar recht unterhaltsamen Sex haben. Aber nichts ist hier billiger Effekt, immer haben die antiken Größen für ihre Glanzpartien auch Zeit für ein eindrückliches Close-Up an der Bühnenrampe.

Wohltönende Hermannschlacht

Händels wundersam belebte Partitur kommt fast ohne überlange Rezitative aus und rettete 1737 sein klammes Theaterunternehmen trotzdem nicht vor dem drohenden Konkurs; der überarbeitete Komponist musste nach einem Schlaganfall gar zur – Gott sei dank erfolgreichen – Wasserkur nach Bad Aachen pilgern und konzentrierte sich später lieber aufs schonendere Genre des Oratoriums. Doch den manchmal fast swingenden, oft träumerisch verwehten Melodien der wohltönenden Hermannschlacht ist der marode Maestro überhaupt nicht anzumerken.

Gesungen wurde in Karlsruhe ohnehin durchweg prächtig. Vor allem die kanadische Sopranistin Layla Claire gestaltete ihre Tusnelda keineswegs als germanisches Flintenweib, sondern als todessehnsüchtige Liebende, die von ihrer kriegerischen Umwelt waidwund gesungen wird.

Während es Klangkörper mit Originalinstrumenten wie Theorbe, Cembalo, Barocktrompete oder Naturhorn im subventionierten Musikbetrieb der romantischen Riesenharfenorchester nie über den Status musikalischer Tagelöhner hinaus geschafft haben, ist das Karlsruher Staatstheater nicht genug zu loben, heuer sogar gleich zwei Händelopern mit zwei unterschiedlichen Barockorchestern herauszubringen.

Rauer, rhythmischer Kawuppdich

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Kaum bekannt in Deutschland, gab die griechische „Armonia Atenea“ unter George Petrou mit sattem Sound in den Bässen und rauem, rhythmischem Kawuppdich eine großartige Visitenkarte fürs Genre ab. Es ist – naturgemäß vergeblich – zu hoffen, dass von den unzählbaren Rettungsmilliarden Richtung Athen ein paar siebenstellige Peanuts für diese famosen Musiker abgezweigt werden könnte. Aber verdient hätten sie das Geld allemal.

Nicht ohne meine Barockperücke!
Nicht ohne meine Barockperücke!
Quelle: Falk von Traubenberg/Staatstheater Karlsruhe

Jedenfalls war der abschließende Applaus für Petrous und Cencics Gesamtkunstwerk fast so hartnäckig und nachhallend wie die römische Invasion im Teutoburger Land. Barockoper, zumal so professionell und unterhaltsam präsentiert, hat inzwischen ihre eingefleischten Fans; sie werden sogar immer mehr. Während viele Häuser sich vergeblich nach neuem Publikum umsehen, lebt diese Nische auf – wenn auch nicht gerade üppig alimentiert.

Immerhin brachten Kassel und Schwetzingen zuletzt Händels ebenbürtigen Zeitgenossen Leonardo Vinci mit aufgestocktem Orchester aus eigenen Mitteln prima auf und über die Bühne. Doch wo in Germanien hat man sonst noch die Möglichkeit, fernab von allem Repertoire solch halb vergessene Meisterwerke von Spezialisten serviert zu bekommen?

Bleibt vorm dichten Vorhang nur die Frage offen, ob die Römer wohl vor Bewunderung die Waffen freiwillig gestreckt hätten, wenn der echte Hermann auch nur halb so schön gesungen hätte. Oder wäre ohne Arminios Starrsinn das neblige Deutschland heute schön wie Italien, und jedermann könnte italienische Libretti auswendig trällern? Doch es war leider wie immer in unserer Nationalhistorie: In der Schlacht siegten die Verkehrten; die Oper wurde viel zu spät nachgeliefert.

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