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Don Carlo ist kein politisches Stück?
Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel
Nicht das Politische an Don Carlo interessiert Guy Joosten, sondern er konzentriert sich in seiner Neuinszenierung von Verdis Oper auf das "Familiendrama" - und blendet damit genau den Aspekt aus, der dieses wunderbare Werk ausmacht. Und verbaut sich damit natürlich auch die Möglichkeit, sein Potential für das Abarbeiten aktueller Fragestellungen auszuschöpfen und eine Neuproduktion zur Diskussion zu stellen, die nicht an der Oberfläche bleibt, sondern aufwühlt und zum Nachdenken anregt. Sind Posa (Laimonas Pautienius) und Carlo (Gianluca Terranova) wirklich Freunde?
Carlo liegt in der ersten Szene neben dem toten Karl V. aufgebahrt, es dauert nicht lange, bis er zu zucken anfängt, denn das ist Guy Joosten wichtig, den Infanten (historisch wohl korrekt) als körperlich und geistig beeinträchtigten Habsburgernachkommen zu zeichnen - eine Idee, die sich bereits nach ein paar Minuten verbraucht hat, ebenso wie man Ebolis Augenklappe natürlich von historischen Bildern (und altmodischen Inszenierungen) kennt, ohne dass dieses Detail viel zur Figurenzeichnung beitragen würde, auch nicht, wenn die Interpretin sie sich - sehr vorhersehbar - im "O don fatale" abreißt; bis dahin muss sie sich reichlich konventionell als lüsterne Salonschlange und adelige Schwester Carmens präsentieren. Prinzessin Eboli (Ramona Zaharia) singt das Lied vom Schleier.
Ärgerlicher ist, wie der Regisseur das Geschehen banalisiert: Man beobachtet das Königspaar im Schlafzimmer, Carlo vergewaltigt Elisabetta beinahe, Posa wirft sich im Gespräch mit Philipp lässig aufs Bett (fehlt nur, dass die beiden sich gegenseitig ein Feierabendbier reichen), der sehr agile Großinquisitor winkt dem König am Ende des Duetts locker zu, Elisabetta winkt den Infanten zu sich aufs Bett, als würde eine Mutter unserer Tage dem bockigen Fünfjährigen den Platz neben sich auf der Bank am Spielplatz schmackhaft machen wollen, der sterbende Posa klopft Carlo während der letzten wegbrechenden Töne kameradschaftlich auf die Schulter, Elisabetta und Carlo liegen am Ende für einen kurzen Moment auf dem Grab, bevor Filippo seinen Sohn in den Armen seiner "Mutter" erschießt, eine Interpretation der Ereignisse, die im Programmheft als eher unwahrscheinlich entlarvt wird. Provozierend im eigentlichen Sinne sind solche Einfälle indes nicht, sondern einfach nur überflüssig und nicht sehr gescheit. König Philipp (Adrian Sâmpetrean) verliert die Beherrschung gegenüber seiner Frau (Olesya Golovneva).
Psychologische Feinzeichnung der Figuren? Fehlanzeige, stattdessen viel altmodisches Herumstehen, allerdings nicht an der Rampe, was akustisch günstiger wäre, sondern gern ziemlich weit hinten in dem klobigen, fürs Singen nicht vorteilhaften Bühnenraum von Alfons Flores und Sarah Bernardy (vor allem wenn man auf fast allen Positionen eher leichtere Stimmen aufbietet), dem Palazzo dei Diamanti in Ferrara nachempfunden und immer neue Konstellationen von Wänden bietend, die in manchen Szenen transparent sind und den Blick freigeben auf das Geschehen in weiteren Räumen, in denen sich gern Betten und ein paar quadratische, goldbesprühte Möbel befinden. In diesem Bühnenbild, in denen man auch ein paar Dutzend andere Opern präsentieren könnte, beobachten argwöhnische Menschen sich gegenseitig, schleichen sich in Mönchskutten gehüllt in die Szenen, wie überhaupt permanent Mönche auf- und abmarschieren - was für eine schlichte Illustration der Macht der Kirche, die sich offenbar nicht auch noch eliminieren ließ. Die pseudo-historisierenden Kostüme von Eva Krämer sind opulent und wertig, auch der Einfall, den Protagonisten sozusagen ein repräsentatives Kostüm für öffentliche Szenen und ein privateres darunter zu schneidern, ist keine schlechte Idee, aber eine, die auch nicht konsequent und prägnant aufgegriffen wird, sondern ein unverbundenes Detail unter vielen in einer einfach nicht sehr packenden, langatmigen Inszenierung bleibt. Diskutabel ist immer auch die Entscheidung für die vieraktige Fassung von 1884: Gerade wenn man sich (nur) für die Beziehungen zwischen den Figuren interessiert, wäre es keine schlechte Idee gewesen, den auch musikalisch kostbaren ersten Akt hinzuzunehmen. Zeit dazu hätte man gehabt, denn, einem merkwürdigen Trend dieser Tage folgend, hatte Joosten das Autodafé brutal zusammengestrichen, das ja nur ablenkt von den privaten Szenen - welche Ignoranz, welche Anmaßung! Auch musikalisch bleibt diese Produktion mittelmäßig: Die Düsseldorfer Symphoniker spielen unter Leitung von Gastdirigent Andriy Yurkevych (warum eigentlich, Don Carlo ist nun wirklich ein GMD-Stück) zwar streckenweise sehr schön und glutvoll, aber auch gern zu laut, zu glatt, zu gefällig, was dem Werk so gar nicht gerecht wird. Manche Passage klingt geradezu süßlich, wo Schroffheit und Tiefgang gefordert wären, rhythmische Prägnanz auch, stringente Tempi, eine klare künstlerische Konzeption eben, die nicht nur an der Oberfläche bleibt. Immerhin, diese Beliebigkeit passt hervorragend zu dem, was man auf der Bühne sieht. Und gerade in einer so schwachen Produktion fällt noch mehr auf, wenn auch die Darsteller wenig Erfahrung besitzen, nicht die Ausstrahlung ganz großer Interpreten haben, die ihnen anvertrauten Rollen nicht wirklich durchdringen. Der Kontakt zwischen Bühne und Graben funktionierte zudem auch nicht immer reibungslos, Sänger und Orchester waren in manchen Momenten einfach nicht richtig zusammen. Der Großinquisitor (Sami Luttinen) liest König Philipp (Adrian Sâmpetrean) die Leviten.
Groß war der Jubel über den unerschrocken attackierenden Gianluca Terranova in der Titelpartie, und in der Tat hat sein nicht zu heller, etwas kehliger Tenor durchaus Spintoqualitäten, aber man wurde den Eindruck nicht los, dass er die Stimme künstlich abdunkelte und größer erscheinen lassen wollte als sie ist. Immerhin, es gab auch einige durchaus verinnerlichte Töne, und der Verve seines Singens konnte man sich kaum entziehen (ein wenig fühlte ich mich an Rollando Villazons Carlo in Amsterdam vor vielen Jahren erinnert, dem die sehr beherzte, aber nicht immer vorsichtige Herangehensweise an die anspruchsvolle Partie auch nicht gut getan hat). Eher blass im Ton blieb Laimonas Pautienius als Posa, auch fehlt es seiner wahrlich nicht riesigen Stimme an technischem Finish, um Feinheiten wie Triller oder Melismen auszuführen, und am Ende seiner Todesszene war man sich nicht sicher, ob die wegbrechenden Töne gewollt waren oder zeigten, dass ihn die Partie noch überfordert. Elisabetta (Olesya Golovneva) gibt sich ihrer Verzweiflung hin.
Zu der Interpretin der Elisabetta, habe ich mich angesichts ihrer Luisa Miller in Duisburg dezidiert geäußert: "Olesya Golovneva ist eine charismatische Darstellerin, der man das unschuldige Mädchen sofort abnimmt, aber ihr leichter, beweglicher, luftiger Sopran entwickelt allein in der Höhe und im Forte eine gewisse Durchschlagskraft, verfügt aber in der Mittellage und Tiefe über viel zu wenig Substanz". Die Königin steht hinsichtlich ihres vokalen Charakters Rollen wie Forza-Leonora, Amelia oder Aida näher als Gilda, und so bleibt Olesya Golovneva der Partie vieles schuldig, ist kaum zu hören, wenn noch jemand anderes singt oder beherztere Töne aus dem Graben dringen - was nutzen da ein paar leuchtende (dann aber auch wieder eher uncharmant laute) Töne über dem System, ein paar berührende Phrasen in der großen Arie? Ramona Zaharia hatte keine größeren Schwierigkeiten mit den virtuosen Anforderungen ihrer ersten Szene, ihr dunkler, rassig-forscher Mezzo verfehlte seine Wirkung auch im Terzett mit Carlo und Rodrigo nicht, aber am Ende des "O don fatale" reichte die Kraft dann nicht mehr ganz, die letzten Töne gerieten arg knapp. Auch Adrian Sâmpetrean hinterließ wahrlich keinen schlechten Eindruck als optisch sehr attraktiver Filippo, aber auch seinem Singen fehlte es bei aller Schönheit des Tons und Phrasierungseleganz an Tiefgang, an Zwischentönen, an Brechungen, die der Figur die Vielschichtigkeit geben, die sie braucht. Vokal war ihm da der erfahrene Sami Luttinen überlegen, der die Gebrauchsspuren auf seinem verlässlichen Bass in ein überzeugendes Portrait des Kirchenmannes einzubringen verstand, der aber von der Regie mehr Hilfe gebraucht hätte. Anna Tsartsidze war mit frischem, attraktivem Sopran eine präsente Tebalda (richtig, Joosten greift auch hier ein, ohne dass es seine Regie spannender machen würde), Torben Jürgens sang den Frate ordentlich (vor 15 Jahren übrigens war Sami Luttinen noch in dieser Rolle zu erleben), entfaltete aber wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen nicht die Intensität und Autorität, die es braucht, um gerade in einer schwachen Inszenierung den Abend zu retten. Der von Volker Michalski betreute, erweiterte Chor ist in dieser Produktion merkwürdig an den Rand und in den hinteren Teil der Bühne gedrängt, hinterließ aber auch akustisch keinen schlechten, aber eben auch keinen größeren Jubel auslösenden Eindruck beim Rezensenten.
Nein, ein großer Wurf ist dieser neue Don Carlo ganz sicher nicht. Der nicht enden wollende Beifall des Premierenpublikums war da wohl mehr ein Indikator dafür, dass dieses Werk auch in mittelmäßigen Aufführungen seine Wirkung nicht verfehlt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Mitarbeit Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Violoncello-Solo Solisten
Filippo II.
Don Carlo
Rodrigo di Posa
Il Grande Inquisitore
Elisabetta di Valois
Principessa di Eboli
Tebaldo
Un frate
Il Conte di Lerma
La Contessa d'Aremberg
Voce dal cielo
Flandrische Deputierte
Michael Daub Gereon Grundmann Paul Jadach James Martin Justus Seeger
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