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Sängerhochfest an der Bayerischen Staatsoper

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Wehe, wenn mein Mann davon erfährt: Amelia (Anja Harteros) trifft sich mit Riccardo (Piotr Beczala).
Wehe, wenn mein Mann davon erfährt: Amelia (Anja Harteros) trifft sich mit Riccardo (Piotr Beczala). © Wilfried Hösl

München - Anja Harteros gab in Verdis „Un ballo in maschera“ an der Bayerischen Staatsoper ihr Rollendebüt als Amelia. Lesen Sie hier unsere Premierenkritik:

Die Reiferen werden sich erinnern. Ernst Stankovski hat das Quiz moderiert, später Günther Schramm. „Erkennen Sie die Melodie?“, einst Fernsehlagerfeuer für Klassikfans, wäre nun reif für die Variation. „Erkennen Sie die Regie?“: Münchens neuer „Un ballo in maschera“ bietet da wunderbares Anschauungsmaterial mit der Vestibültreppe nebst horizontal gespiegeltem Interieur. Eine Portion Claus Guth (Bayreuths „Fliegender Holländer“ und Salzburgs „Figaro“), eine Prise Stefan Herheim (Bayreuths „Parsifal“ mit dem zentralen Wunderbett), ein Häppchen aus der Bayerischen Staatsoper (die „Arabella“-Stufenlandschaft) plus gut abgehangene Konzeptkunst – wenn es psychologisch sei soll, wird die Hauptfigur ja gern in den Albtraum geschickt.

Kann man den "Maskenball" besser hören als hier?

Doch bevor man die Nummer der Plagiatspolizei tippt: Entscheidend ist bei dieser Premiere nicht das attraktive Regie-Passepartout für den Repertoire-Alltag, sondern das Sängerhochfest, zu dem da geladen wurde. Ob man „Un ballo in maschera“ besser hören kann? Vor allem ist dieser Verdi teilweise aufreizend anders besetzt. Im Unterschied zu den Kolleginnen wirft Okka von der Damerau als Ulrica gerade nicht die Mezzo-Orgel an, sondern singt die Partie, mit weich geformten, nie grimassierten, bestechend ausgeglichenen Phrasen. Mehr als eine Wahrsagerin ist diese Frau mit Loreley-Mähne, sondern eine Spielmacherin, die ungesehen eingreift und am Ende (den toten?) Riccardo in den ersten Stock bittet. Sofia Fomina ist als Oscar, der sein weibliches Outing erlebt, weniger spitze Soubrette, sondern agiert auf sehr lyrischer Koloraturbasis. George Petean droht als Renato nicht ständig mit dem Bariton-Geschütz. Als vokal (zu) kleinformatig könnte man das empfinden – oder eben als feinere, wiewohl kraftvolle Schraffierung einer kniffligen Partie. Und auch wenn Renatos Ehe bis zur tödlichen Konsequenz zerrüttet ist: Diese Amelia passt (zumindest stimmlich) zu ihrem Gatten.

Anja Harteros leistet sich bei ihrem Rollendebüt im ersten Teil noch winzige Verspannungen. Doch dann ist sie vollkommen frei, gebietet nicht nur über ihre typischen flötengleichen Pianissimi, sondern auch über weiträumige, großtönige, perfekt abgefangene Bögen. Singen ist bei ihr weniger artifizielle Kunst, sondern immer aus dem Wort, auch aus der Körperspannung entwickelt, erst recht in der Reaktion auf die Partner. Amelias Szene mit Renato, bei dem beide auf der Kante des Kingsize-Bettes ihre Beziehung zusammenstürzen lassen, wird dabei, ganz ohne Psycho-Kram, zum intensivsten Moment des Abends.

Riccardo ist ein Richard-Tauber-Wiedergänger

Umso mehr tritt aus diesem Umfeld der Riccardo von Piotr Beczala heraus. Ein Richard-Tauber-Wiedergänger, erst im blauen Seidenmorgenrock, dann im Frack und mit schief sitzendem Zylinder. Doch statt „Gern hab’ ich die Frau’n geküsst“ hört man Verdi zwischen verschwenderischer Grandezza und raffiniert kontrollierter Emphase. Kaum ein anderer Kollege macht Beczala dieses Grenzgangtänzeln nach. Erstaunlich, welche Festigkeit seine genuin lyrische Stimme gewonnen hat, keine Sekunde gibt es, in der man bangen muss. Gerade an Beczalas Gesang lässt sich abhören, welch Werk des Übergangs Verdis „Maskenball“ eigentlich ist: hier die Wurzeln in einer Epoche, die dem Florett und dem Zierrat huldigte, dort der Energieschub, der zum italienischen Pendant des Musikdramas führte.

Zubin Mehta hat nur Ohren für Letzteres. Saftig, glutvoll spielt das Bayerische Staatsorchester, aber oft auch bräsig. Das Flatterhafte, Satirische, ja Operettige der Partitur wird dem gemütlichen Umtata geopfert. Manche Eruptionen tönen nach Messa da Requiem, dafür glücken zuweilen, in Amelias zweiter Arie etwa, Momente jenseitiger Schönheit. Doch meist dirigiert Mehta so, als versuche er, mit einem Zehntonner Slalom zu fahren. Eine luxuriöse Themaverfehlung.

Preisverdächtige Kostüme

Immerhin auf dem Weg zur Themenanalyse ist Regisseur Johannes Erath. Mit Heike Scheele (Bühne) und Gesine Völlm, die preisverdächtige Kostüme schneidern ließ, verlegt er den „Maskenball“ in die Zwanzigerjahre, in eine sexuell heißlaufende, auch gewalt- und intrigenverliebte Ära. Zentraler Verhandlungsort ist Riccardos Bett, das (für obere Ränge nicht sichtbar) an die Decke gespiegelt wird. Sein Tod ist von Anfang an präsent, auch die suizidale Laune Amelias. Ob Rückblende oder Albtraum Riccardos oder Opernversion des Kinohits „Ghost“, das lässt Erath offen. Den Stilpluralismus Verdis beantwortet Erath mit kleinen Ausflügen in Revue und Puppenspiel. Es gibt, dank der Überblendung mancher Szenen vor und hinter der Rundgardine, pyschologisch unterfütterten Mehrwert. Und das Ende Riccardos, wenn die Tenöre nach dem Mord noch mal zum Schlussmonolog ranmüssen, wird sogar mit einem kleinen Doppelgänger-Coup gelöst.

Beim Spiel mit Wirklichkeit und Surrealem ist vieles freilich nicht zu Ende gedacht, auch bleiben die Perspektivwechsel unlogisch. Erath fehlt da, trotz aller klugen Gedanken, die Schärfung im Kleinen bei gleichzeitigem Blick fürs große Ganze à la Christof Loy. Mit ein paar Buhs wurde der Debütant abgefertigt. Wichtiger war den Fans, der überlange Jubel bewies es, ohnehin anderes.

Weitere Aufführungen:

9., 19., 23. und 8.3. sowie 1.4.; Telefon 089/ 2185-1920; Arte überträgt die Vorstellung am 18.3. ab 22.10 Uhr.

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