Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

In der Zeitschleife

UN BALLO IN MASCHERA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
6. März 2016
(Premiere)

 

 

Bayerische Staatsoper, München

So mancher Regisseur tut sich schwer mit dem Maskenball, dem zensurgeschändeten, handlungsarmen Verdi, der wenig Deutungsspielraum lässt und eher als Fingerübung gilt. In Wien wird noch immer die gobbelinlastige Museumsinszenierung gespielt, das Salzburger Roboterexperiment vor einigen Jahren fiel krachend durch. Johannes Erath, der Musiker und Opernmann, wurde nun erstmals für die Bayerische Staatsoper verpflichtet und debütiert mit einem sauberen, unaufgeregten und der Ästhetik verpflichteten Maskenball.

Wahrlich nicht als neuer Einfall verlegt er die Handlung die zwanziger Jahre, will den Tanz auf dem Vulkan vor drohendem Umbruch erzählen und lässt die Geschichte in einem metaphorischen Treppenhaus spielen, das sich geschickt ab der Mittelachse in der Decke spiegelt. Heike Scheele wird mit dieser raffinierten Konstruktion ihrem Ruf gerecht. Doppelgänger-Puppen hängen im Bettduplikat von oben herab, reduzierte Formen und der sinnvoll eingesetzte Vorhang samt bespielbaren Wänden wirken hochwertig und kunstvoll. Ebenso verhält er sich mit den edlen, historisch detaillierten Kostümen von Gesine Völlm, die ebenfalls hochdekoriert hier als Glücksfall neben Scheele tritt. Der nicht gerade spannungsreiche Verdi gerät zum schicken Kammerspiel mit großen Tableaus und rein optischen Schauwerten. Die Verlagerung der Handlung in ein Schlafzimmer widerspricht teils dem Libretto. Tiefere Deutung wird nicht versucht, die Figuren stehen im Vordergrund. Ansehnlich ist das auch dank des versteckten, teils dezenten, teils dramaturgischen Lichts von Joachim Klein und den zurückgenommenen Videoanimationen von Lea Heutelbeck.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Spaß hat Erath mit den Gruppen. Die Verschwörer nähern sich rückwärts und durchtrieben, der Chor tanzt wohlangeleitet. Ins Zentrum rückt der Regisseur seine offensichtliche Lieblingsfigur Ulrica, die weniger Wahrsagerin als taktierende femme fatale ist, die Figuren zueinander führt und anhand der Voraussagen deren Lebensweg bestimmt. Im Finale doppelt Erath Riccardo, der mit Ulrica durch die Treppen entschwindet, während sein Statistendouble auf dem Bett verendet. Erzählt hat er damit eine kleine Ehegeschichte ohne politische Aussage, eine Eifersuchtsmoritat im schicken Design.

Foto © Wilfried Hösl

Das kleidet freilich Anja Harteros, die erneut mit einer führenden Verdi-Figur am Haus debütiert. Nach beiden Leonoras ist die Amelia keine große Herausforderung mehr, was nicht bedeutet, dass das große H, so der Spitzname der Harteros in München, die Rolle galant ausfüllt. Das Misere klingt unangestrengt. Erneut nutzt die Sängerin ihr Können, zwischen Oktaven zu schweben, mühelos die Register zu wechseln und langen, klar definierten Klang zu produzieren. Die Stimme sitzt, und ihre Darstellung erneuert den Ruf einer angekommenen, dramatischen, sicheren Sopranistin. Mehr aus sich heraus muss Piotr Beczala, der ebenfalls debütiert und dessen Aufregung anfangs hör- und spürbar ist. Adrett gibt er den Dandy im Morgenmantel, stimmlich passiert ihm ein unglücklicher Kaltstart, der der Premiere geschuldet sein muss, da in seiner großen Schlussarie vor dem Ball alles sitzt, Belcanto in Reinform gelingt, die Höhe wohldosiert und vollmundig klingt, dabei schöne Phrasierungen entstehen. Die Leistung des Abends liefert Kraftbariton George Petean als Renato mit einer eindringlichen Eifersuchtsarie. Das runde, nuancierte Organ schafft die geforderten Spitzen ebenso wie wohltemperierten Körper. Dieser Renato bleibt in Erinnerung. Ebenso wie die Ulrica von Okka von der Damerau. Noch nie so lasziv und so frivol war die vom Publikum geliebte Sängerin zu sehen und nach ihren anwachsenden Erfolgen mit immer größeren Partien im Ring krönt sie die bisherige Karriere jenseits von Suzukis und Zofen als gestandene Sängerin mit ausdrucksstarker, sich weiter steigernder Stimme und dramatischem Potenzial. Schön auch die auserzählte Travestie von Oscar Sofia Fomina, die Verdis einzige Hosenrolle füllt, Freude an kecken Tönen hat und frischen, motivierten Klang offenbart.

Dieser kommt auch vom gerade dem Holländer entstiegenen Chor. Sören Eckhoff probte genau und verweist auf Zubin Mehta am Pult, der aufgrund seiner Fidelio-Verpflichtung eine länger als übliche Probenzeit mit Sängern und Orchester genoss. Das hört man. Er genießt das Anfangsadagio, lässt den Chor präzise wirken, sucht die pathetischen Momente und gestaltet die Duette ebenso gefühlvoll wie etwa Amelias Arien. Den besonderen Klang seines ehemaligen Orchesters schätzt der Altmeister, der mit diesem Maskenball nach einer einmaligen konzertanten Aufführung sein spätes Debüt gibt.

Das goutieren die Münchner Premierengäste und feiern Harteros, Beczala, Mehta und von der Damerau mit warmem Applaus, dem sich einige Buhs für die Regie anschließen. Dabei lebt diese Inszenierung von den großen Schauwerten, der Ausstattung, die optisch wie klanglich gelingt. Da braucht es gar keinen großen Regie-Maskenball drum herum.

Andreas M. Bräu