Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Alle Fotos © Wilfried Hösl

Aktuelle Aufführungen

Der Apfel der Verführung

ALBERT HERRING
(Benjamin Britten)

Besuch am
5. April 2016
(Premiere)

 

Bayerische Staatsoper München,
Opernstudio im Cuvilliès-Theater

Einmal jährlich präsentiert das Opernstudio der Staatsoper eine eigene Produktion. Neben der Ausbildung übernehmen die Nachwuchssänger dabei regelmäßig Partien am großen Haus, nicht selten wechseln sie erfolgreich danach ins Ensemble. Schwer fällt dabei freilich die Stückwahl, die genügend erwähnenswerte Solorollen in jugendlichem Ambiente liefern, Experimentelles bieten und die Chance zum Glänzen ermöglichen soll. Dabei bietet sich Brittens frühes Schelmenstück, das als Kammerklamauk im Cuvilliés-Theater aufgeführt wird, mehr als an. Die Bearbeitung von Mautpassants Sittlichkeitsscherz benötigt allerlei skurrile Kleinstadtgeister, den überforderten Maienkönig und erzählt die Geschichte eines Erwachsenwerdenden, der sich zwischen Exzess und familiären Banden orientieren will.

Róbert Alföldi inszeniert dabei vornehmlich die komischen Elemente. Sanft überzeichnet und in Gruppen choreografiert, kuschen die Ortshonorationen vor der Tugendmäzenin Lady Billows, die wahrlich präsent und schreiend komisch ins Zentrum gerückt wird. Die keusche Zofe, der schwafelnde Bürgermeister, der überforderte Albert, diese Elemente zünden, schwer tut sich der Schauspielmann mit dem Dramolett um das Verschwinden des Titelhelden, um die nebenbei erzählte Familien- und Liebesgeschichte. Brittens Kammeroper schwadroniert zwischen Boulevard und ernsten Miniaturen. Dieser Widerspruch wird nicht gelöst. Dabei hilft auch das triste Ambiente, das Ildikó Tihanyi erzeugt, wenig. In einem grauen Keller spielt sich die Handlung ab. Eine Telefonzelle, eine Treppe, wenig Licht, mehr ist da nicht. Nur für den Krämerladen schweben Äpfel ein, die Alföldi aus zwei Librettozeilen zum Motto des Abends macht. Wann beißt der brave Bub in den Apfel der Verführung, begeht den über ihm schwebenden Sündenfall, wann bricht er aus? Das bietet wenig Schauwerte, gibt jedoch den spielfreudigen Darstellern Raum, die passender von Fruzsina Nagy eingekleidet werden. Biederer Kleinstadtschick, Kinder in Strümpfen, englischer Unterstufenschick, das passt in die zeitlose Handlung, die hier vor allem im zweiten Teil schleppend erzählt wird. Erst zum Finale gewinnt die Geschichte an Fahrt, als der verschollene Sittenstrolch für tot erklärt und darauf als sündiger Wiederkehrer ausgestoßen wird.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Getragen wird das mitunter von den arrivierten Gästen, die die Eleven unterstützen. Hingucker des Abends ist Miranda Keys, die als polternde, blütenweiße Lady, Sittenwächterin und Ortsmatrone, stimmlich wie szenisch abendfüllend. Die Brüche in Brittens Nummern, karikierte Ausschläge in die Höhe und männliche Tiefe, selbst die schweren Sprünge meistert sie mit gewandter Attitüde. Stimmlich ebenfalls stark und szenisch selten so reduziert und zurückgenommen steht ihr der Gast vom Gärtnerplatztheater, Ann-Kathrin Naidu, zur Seite, die nach Peter Grimes erneut ihr Talent für Britten und ihre komische Ader eindrücklich beweist. Als einziger glaubt man dieser weinenden Mutter die Angst um ihr Kind.

Foto © Wilfried Hösl

Vom alten Faktotum zur jungen, frigiden Haushälterin umgedeutet, überzeugt und amüsiert Deniz Uzun als Florence mit lyrischen Anklängen, todernstem Blick und Potenzial für musikalische Komödie. Der junge Petr Nekoranec gibt einen unbedarften, fröhlichen Albert, der sich mit Charme und Präsenz bereits bei seiner Vorstellung beliebt macht. Stimmlich wirkt er trotz der großen Verantwortung sattelfest. Für Rossini hat er hörbaren Sinn, bei Britten bremsen ihn Tempo und Diktion nicht. Prächtig klingt der Pastor von Johannes Kammler und auch das runde, kraftvolle Organ von Joshua Owen Mills als Upfold. Alle Sänger folgen dem Konzept, tänzeln über die Bühne, versprühen frischen Charme und ergötzen sich an ihren Momenten wie die chorleitende Lehrerin Leela Subramaniam. So auch die warm klingende Mezzosopranistin Marzia Marzo, die als Nancy vielschichtig erscheint.

Am Pult steht Hausprotegé Oksana Lyniv, die die kleine Besetzung des Staatsopernorchesters stramm führt. Auch die Kindersolisten bieten beachtliche Nummern, ihnen gelingen die liedhaften Zitate ebenso wie die kommentierenden Passagen. Lynie hilft ihnen sichtbar und freundlich. Brittens gesellige Einsprengsel, das durchblinzelnde spätere Pathos, die musikalischen Gags klingen süffig, wirken im passenden Cuvilliés-Theater und bieten den Sängern genügend Chancen für Achtungserfolge.

Die goutiert das amüsierte Publikum mit motiviertem, lautem Applaus für Regie und Darsteller.

Andreas M. Bräu