Meditation im Gewusel

Für ihre neue Produktion bringen Sebastian Nübling und der Choreograf Ives Thuwis das Junge Theater Basel mit professionellen Sänger- und Barockmusik-Ensembles zusammen. Kann das gut gehen?

Martina Wohlthat
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Melancholie als Merkmal der Adoleszenz und als Folge des gesellschaftlichen Drucks. (Bild: Sandra Then)

Melancholie als Merkmal der Adoleszenz und als Folge des gesellschaftlichen Drucks. (Bild: Sandra Then)

Zefiro lässt sich Zeit. Der Junge bläht die Backen und macht einen unentschlossenen Hüpfer. Da können die Sänger mit Monteverdis Madrigal «Zefiro torna» noch so eindringlich nach dem lauen Frühlingswind rufen. Der Junge bleibt auf Distanz, sein körperlicher Ausdruck wirkt suchend und etwas linkisch. Vielleicht ist es Sehnsucht, vielleicht nur abwartendes Beobachten, wie bei den anderen Darstellern, die auf Gefühlsausbrüche vorzugsweise mit den Kameras ihrer Mobiltelefone reagieren.

«Zefiro torna» – das gab es schon einmal in einem Musik- und Tanzabend am Theater Basel: 1999 gruppierten der Choreograf Joachim Schlömer und der Dirigent René Jacobs ihre legendäre Produktion «La guerra d'Amore» um ebendieses Madrigal. Nun bringen der Regisseur Sebastian Nübling und der Choreograf Ives Thuwis das Junge Theater Basel mit professionellen Sänger- und Barockmusik-Ensembles zusammen. Resultat der ambitionierten Recherche ist der Abend «Melancholia» mit dem Untertitel «Méditation sur ma mort future». Kann das gut gehen?

Es kann – und es kann nicht. Was die Musik an innerer Spannung aufbaut, vermisst man in der Ausdrucksskala und Körperspannung der Tanzenden. Zu häufig bleibt es beim kuriosen Gewusel, beim Wiederholen von Bewegungsmustern. Es braucht Mut, die frühbarocke Musik so zeitgenössisch zu präsentieren. Nübling und Thuwis vermeiden es, Bewegungen zur Musik zu erfinden. Die musikalische Spur, die das Opernstudio «OperAvenir» und das La Cetra Barockorchester unter Leitung von Andrea Marcon mit grossem Können durch den Abend legen, verläuft also getrennt vom Bewegungsplan. Unter heutigen Choreografen ist das ein verbreitetes Vorgehen: Die Bewegung folgt nicht der Musik, sondern die Musik verändert die Wahrnehmung der zunächst unabhängig entwickelten Bewegungen – hier zum Thema Melancholie. Das Aufeinandertreffen erzeugt Brüche, Disharmonien und unerwartete Gemeinsamkeiten. Die Musik ist an diesem Abend der stärker in sich ruhende Partner.

Melancholie als Merkmal der Adoleszenz, als Folge auch des gesellschaftlichen Drucks, immer das perfekte, erfolgreiche Bild von sich zeigen zu müssen: Das ist gut beobachtet. Auf der Bühne ist eine Menge Scheitern zu sehen, ungeschützt und schmerzlich. Davon erzählen Lieder wie Johann Philipp Kriegers «Einsamkeit, du Qual der Hertzen». Der Countertenor Tim Mead singt es herzerweichend schön, zum Glück bleibt er damit im schwarzen Universum der leeren Bühnen nicht allein. Zwei Lautenspieler kommen zu Hilfe, geben mit ihren Basslinien tröstliche Bodenhaftung. Die Gesichter der jungen Darsteller erscheinen auf einer grossen Videowand. Die mit poetischen Unschärfen arbeitenden Videobilder (Tabea Rothfuchs) drängen durch die ästhetische Überhöhung die realen Personen ein wenig an den Rand. Man wird den Eindruck nicht los, dass jede und jeder mehr von sich zeigen könnte, wenn die erarbeiteten Posen nicht einfach bloss auf die Gruppe verteilt würden.

Es gibt tänzerisches Talent zu entdecken wie jene Slow-Motion-Szene, in der sich ein Junge aus der Tiefe des Bühnenraumes minutenlang konzentriert nach vorne arbeitet. Solchen Augenblicken wünscht man viele, auch junge Zuschauer. Es gibt rohes, ausgelassenes Geheul und handgreiflich Melancholisches, wenn ein junges Mädchen zornig in eine Tafel Schokolade beisst.

Und es gibt den Dirigenten Andrea Marcon, der Johann Jakob Frobergers «Méditation faite sur ma mort future» am Cembalo spielt und danach den Klängen versunken nachlauscht. Ein Moment, der an diesem überschwänglich diffusen Abend erst recht melancholisch macht.