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Kommt eine Blondine aus der Kiste
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Bettina Stöß Man muss den Barbier nicht neu erfinden. Rossinis spritzige Musikkomödie bietet ja auch nicht allzu viel inszenatorisches Potenzial, das entdeckt werden müsste. Da ist es nicht falsch, wenn Regisseur Jan Philipp Gloger in erster Linie die Mechanismen der Komödie bedient, die Stereotypen auskostet und im abstrakten Bühnenbild auf Requisiten weitestgehend verzichtet. Das Verfahren ist vielfach erprobt und funktioniert auch in dieser Neuproduktion. Am Ende der hier besprochenen zweiten Aufführung wurde die Produktion von Teilen des Publikums frenetisch bejubelt, wenn auch nicht einhellig. Mancher Besucher wird sich schlichtweg gelangweilt haben. Oper aus der Kiste: Dieses Geschenk hat Figaro dem Publikum mitgebracht
Um dem Spiel einen Rahmen und auch so etwas wie eine übergeordnete Regie-Idee zu geben, macht Gloger den Figaro zum Regisseur und Dirigenten der Handlung, ein allmächtiger Impulsgeber. Ob das vom Libretto getragen wird, darüber lässt sich durchaus streiten, denn es läuft ja ständig schief mit den Intrigen dieses allgegenwärtigen Faktotums der schönen Welt, und zu guter Letzt ist es das Vermögen des Grafen Almaviva, das die entscheidende Wendung zum glücklichen Ende bringt. Aber das mögen Spitzfindigkeiten sein, auf die es nicht so ankommt. Figaro jedenfalls fährt zur Ouvertüre eine Holzkiste herein, und in solchen Holzkisten ist offenbar das puppenhafte Personal der Oper gelagert. Fortan bestimmen eben diese Holzkisten in diversen Größen das Bühnenbild (Ben Baur), Allzu zwingend ist das nicht, aber auch das stört nicht weiter. La calunnia: So stellt sich Musiklehrer Basilio den Verlauf einer Intrige vor
Zur Komödie dieses Schlages gehört die Typisierung der Figuren, nur ist die hier allzu holzschnittartig geraten. Die hübsche Rosina (Katrin Strobos singt mit viel Energie und gestochen scharfen Koloraturen, könnte aber an Leichtigkeit und Esprit noch zulegen) ist sehr blond, sehr sexy, ausgesprochen liebestoll - und ziemlich doof. Da sie sich immer wieder bewusst in Positur setzt und mit Schleife wie ein Geschenk an die Männerwelt ausstaffiert ist, darf man das wohl als klischeehafte Männerphantasie auffassen. Aber die Figur wird dadurch unnötig um ihre Gewitztheit und auch um ihren Charme gebracht.) Statt dessen zeigt sie viel Bein und lässt sich allzu bereitwillig und allzu oft vom Grafen Almaviva begrapschen. Im Grunde erzählt Gloger einen dreieinviertelstündigen Blondinenwitz. Finale des 1. Aufzugs
Es gibt noch ein paar gegenwartsbezogene Anspielungen in den Kostümen (Marie Roth). Die Musikanten, die Almaviva (Juan José de León mit beweglichem, aber monochrom metallischem Tenor) bei seinem Ständchen vor Rosinas Fenster begleiten, könnten den Essener Philharmonikern angehören (ohne dass daraus weiteres komödiantisches Kapital geschlagen würde), die trottelige Wache trägt, warum auch immer, die altmodischen grünen Uniformen der bundesrepublikanischen Polizei (der Herrenchor des Aalto-Theaters singt und spielt zuverlässig). Das mag man als Verspottung der Obrigkeit leidlich lustig finden; wenn aber Almaviva, der sich als betrunkener Soldat ausgibt, in moderner Kampfuniform sein Feldbett aufbaut, ist nach meinem Empfinden ein unsensibler Fehlgriff angesichts einer Realität, in der so etwas zum (wenn auch regelmäßig verdrängten) Alltag der Bundeswehr im Auslands- und Kriegseinsatz gehört. Fast bestürzend harmlos dagegen der Chor der Lagerarbeiter in Warnwesten zum Finale (klar, es müssen Kisten gepackt werden). Und alle tragen in dieser Friseuroper hellblonde Perücken. Glogers Humor ist ein wenig bieder. Alles steht im Zeichen der Kiste: Almaviva als vermeintlicher Musiklehrer, Bartolo, Rosina und Figaro
Es kommt bei einer solchen Sichtweise auf Spielwitz und das richtige Tempo an, und das gelingt Gloger, sagen wir mal: mittelprächtig. Vor allem im eindreiviertel Stunden langen und ziemlich zähen ersten Akt sind viele Details zu ungenau. Im zweiten Akt funktionieren die Pointen besser, werden auch gröber. Der Musiklehrer Basilio (mit dröhnendem Riesenbass ist Till Faveyts keine sehr glückliche Besetzung) ist ohnehin als schwarz gekleideter Gothic-Rocker ziemlich schrill, wenn Almaviva sich als dessen Schüler und Vertreter ausgibt, übertrifft er das mit schräger Hippie-Attitüde noch, bleibt aber jenseits dieser Verkleidung als Charakter blass - wie auch der kaum greifbare Figaro (Georgios Iatrou singt spritzig und zupackend, die Stimme ist aber in der hohen Lage farblos. Nach der Pause ließ der Sänger eine erkältungsbedingte Indisposition ansagen, ob es daran gelegen hat?) Differenzierter ist der Doktor Bartolo (musikalisch solide: Baurzhan Anderzhanov) gezeichnet, der auch eine gefährliche Seite erahnen lässt. Giacomo Sagripanti dirigiert vom Cembalo aus und gibt jeden noch so kleinen Einsatz mit großer Geste. Die Rezitative begleitet er geschmackvoll, ein wenig mehr Variation im Tempo und Zug nach vorne täten der Aufführung gut. Mit den Essener Philharmonikern, bis auf ein paar Ungenauigkeiten in der Ouvertüre und der Sturmmusik ganz ausgezeichnet, hat er sehr genau gearbeitet. Die Steigerungen sind sorgfältig disponiert und bis ins Detail sorgfältig gestaltet. Anders die Sänger: Die lässt Sagripanti oft im pauschalen und undifferenzierten Dauerforte über das Orchester hinweg singen.
Alles in allem solide Hausmannskost, szenisch wie musikalisch eher deftig als raffiniert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht-Design
Dramaturgie
Choreinstudierung
Solisten
Graf Almaviva
Figaro
Bartolo
Rosina
Don Basilio
Fiorillo
Berta
Ambrogio
Ein Offizier
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