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Bayreuth-Eröffnung: Gral fatal

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Bayreuther Festspiele 2016 - Parsifal
In der ersten Abendmahlsszene wird der verwundete Gralskönig als Gekreuzigter gezeigt: Amfortas (Ryan McKinny) mit einigen der Gralsritter und Knappen (v. li. Charles Kim, Tansel Akzeybek, Timo Riihonen sowie Stefan Heibach). © dpa

Bayreuth - Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit missglückter „Parsifal“-Regie und einem Triumph für Dirigent Hartmut Haenchen.

Jetzt erst einmal kurz innehalten und die Fakten sammeln. 73 Jahre ist er im März geworden. Hat allein in Amsterdam, seinem früheren Stammhaus, knapp 600 Opernvorstellungen dirigiert, hat sich in der früheren DDR mit barocker Aufführungspraxis beschäftigt, als der Musikmarkt die Harnoncourts und Gardiners umhegte. Vor allem aber: Hartmut Haenchen hat sich nicht nur mit Wagner befasst, er ist in diese Partituren hineingekrochen. Dort, wo sich die Noten- und Vortragsfehler verstecken und vermehren. Ein Bereinigungsprozess, ungeheuer genau und wissend, auf den Kollegen mittlerweile gern zurückgreifen. 

Es gibt, die Aussage sei gewagt, derzeit wohl keinen besseren aufführungspraktischen Experten für Richard selig. Und jetzt erst Bayreuth? Der Triumph, den der gebürtige Dresdner bei der Eröffnung der Festspiele errungen hat, von denen er für Andris Nelsons beim „Parsifal“ geholt wurde, ist eine späte Satisfaktion. Zwei Orchesterproben, dann die wenigen Bühnenproben, mehr war nicht drin. Und doch begegnet einem hier, an der Weihestätte des Meisters, der seinen „Parsifal“ in diese Akustik ja hineinkomponierte, ein Novum. 

Das soll Wagner auch komponiert haben?

Gewiss, ein paar Anschlüsse und Übergänge klappern, die Vorbereitung war kurz. Aber die Entschädigung wiegt alles auf: ein Klangbild, so durchlüftet, als sei der Grabendeckel ein Stück geöffnet worden. Dazu eine Eleganz der Agogik, ein Schwung, eine Natürlichkeit in der Detailbehandlung. Und es gibt Momente, Bläsermischungen und gegenläufige, behutsam hervorgehobene Linien, bei denen sogar der Vielhörer stutzt: Das soll Wagner auch komponiert haben? 

Haenchen ist schnell, dirigiert den „Parsifal“ wirklich als Konversationsstück, gönnt sich aber auch große Momente – und schafft das Paradox. In einer Stunde, vierzig Minuten zum Beispiel ist der erste Aufzug vorbei, und trotzdem wurde viel mehr untergebracht im Vergleich etwa zu Levine und seinen zwei Stunden, fünf Minuten. 

Einige Plätze bleiben leer

Eine erfüllte, nie gehetzte Deutung, das ist das eigentliche Ereignis dieser Eröffnungspremiere, die doch unter so vielen Sternen, vor allem den schlechten, stand. In der Mittelloge sitzt, nach all den Attentaten, B-Prominenz, einige Plätze bleiben leer. Viel und unaufgeregt wird kontrolliert. Ruhig ist es draußen, weil kein Auto die Siegfried-Wagner-Allee hinauffahren darf, den roten Teppich haben eigentlich die wenigsten vermisst. 

Und dann ist da noch die Sache mit dem anderen Einspringer. Uwe Eric Laufenberg durfte sein Regie-Konzept anstelle des vor zwei Jahren geschassten Jonathan Meese am Grünen Hügel zeigen. Furchtbar viel „Tagesschau“ muss Laufenberg konsumiert haben. Religion ist hier nicht Volkes Opium, sondern Zuflucht. Für eine Mönchsgemeinschaft, die im Irak, in einer halb zerbombten christlichen Kirche ihre Rituale feiert. Aber auch für einen von ihr abgefallenen Renegaten, Klingsor, der unweit davon in einer Moschee haust. 

In den schlimmsten Momenten bestürzend schlicht

Wo alles spielt, erfahren wir in der ersten Verwandlungsmusik, während der wir per Video ins All und zurück geworfen werden. Doch der Realismus steht Laufenberg im Weg, erst recht, wenn er den Aufklärer und Avantgardisten spielt. Warum ein Bub während Parsifals Schwanenmord an der Rampe stirbt, warum der Titelheld als Söldner in Kampfmontur unterwegs ist, was die hereinwuselnden Damen in der „Karfreitagsaue“ sollen, in der sich Riesenpflanzen à la „Little Shop of Horrors“ nach vorn schieben, all das weiß nur Laufenberg. 

Manchmal holt seine Inszenierung mächtig Luft. In der ersten Abendmahlsszene zum Beispiel, in der Amfortas nicht nur als Gekreuzigter posiert, sondern von den Mönchen tatsächlich angestochen wird, auf dass sie sein Blut trinken. Doch dann: verpufft, nie wieder aufgenommen. 

In den schlimmsten Momenten ist dieser Abend, der mit zunehmender Dauer immer mehr schwächelt, bestürzend schlicht. Bilder und Einfälle werden einfach mal platziert, weil sie „interessant“ wirken. Und manchmal sogar grob falsch sind. Aus Parsifals Lossagung von Kundry macht Laufenberg, dieser versierte Personenbeschäftiger, eine Eifersuchtsszene, weil plötzlich (und stückwidrig) Amfortas auftaucht. Dass der Held aus Erinnerung und Erfahrung der ersten Körperlichkeit zur Einsicht reift – für diesen Regisseur offenbar zu wenig konkret. 

Ein akustischer Unfall

Gisbert Jäkels Einheitskirchenraum ist zudem ein akustischer Unfall. Was Laufenberg offenbar als Schauplatz eines Kammerspiels braucht, sperrt die Musik ein. Viel schlimmer: Die Stimmen werden wie in einem Schalltrichter verstärkt, sind oft, besonders in den Männerchören, zu laut. 

Elena Pankratova muss sich darauf erst einlassen. Eine Kundry mit üppigen Tönen, mächtigem Aplomb und etwas altertümlicher Dramatik. Klaus Florian Vogt wird als Parsifal auch zu Robusterem genötigt. Seinem Tenor, der sich andere Dimensionen erobert, steht das gut, genügend verführerische Lohengrin-Töne kann er trotzdem unterbringen. Ryan McKinny darf als Amfortas seinen McFit-Körper vorführen, klingt kraftvoll, auch mulmig, bleibt im Grauwertbereich, Gerd Grochowski ist als Klingsor nicht formatfüllend. 

Haenchen blieb nur Zeit für einen ersten, starken "Parsifal"-Entwurf

Die Festspielehre rettet, neben Vogt und besonders Haenchen, Georg Zeppenfeld. So klug, wie er die Riesenmonologe von Gurnemanz baut, wie er die Balance findet zwischen dem Mikrokosmos der Textreflexion und großbogigem Wagner-Belcanto, wie er das alles mit charakteristischer, schlanker Eichenborkenstimme singt, all das reiht Zeppenfeld schon jetzt unter Bayreuths legendäre Rollenvertreter ein. 

Einige Risse müssen im Mauerwerk klaffen nach den Ovationen. Hartmut Haenchen, dem nur Zeit blieb für einen ersten, starken „Parsifal“-Entwurf, lenkte den Beifallssturm aufs Orchester. Zumindest hat die Plattenfirma schnell reagiert – und bereits die Premiere mitgeschnitten. Welch Genugtuung.

Die Besetzung

Dirigent: Hartmut Haenchen. Regie: Uwe Eric Laufenberg. Bühne: Gisbert Jäkel. Kostüme: Jessica Karge. Chor: Eberhard Friedrich. Darsteller: Ryan McKinny (Amfortas), Karl-Heinz Lehner (Titurel), Georg Zeppenfeld (Gurnemanz), Klaus Florian Vogt (Parsifal), Gerd Grochowski (Klingsor), Elena Pankratova (Kundry) u.a.

Die Handlung

Klingsor will in den Grals-Orden und wird abgewiesen. Er kann das Keuschheitsgelübde nicht einhalten. Aus Rache schafft er einen Zaubergarten voller Frauen um Kundry. Sie sollen die Ritter verführen. Amfortas will Klingsor mit dem heiligen Speer bekämpfen, Kundry verführt den Gralskönig, Klingsor verwundet ihn mit dem Speer unheilbar. Immer wieder muss Amfortas, der den Tod ersehnt, auf Geheiß der Ritter den lebenspendenden Gral enthüllen. Nur ein Unwissender, der durch Mitleid alles erkennt, kann ihn erlösen. Als Parsifal auftaucht, wird er von Gurnemanz zu Amfortas geführt – doch Parsifal versteht nichts. Er gerät in Klingsors Garten, widersteht der Verführung Kundrys, erringt den Speer, wird Gralskönig und erlöst Amfortas.

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