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  4. „Würgeengel“ in Salzburg: Thomas-Adès-Oper sperrt die Gegendwart aus

Bühne und Konzert Oper „Würgeengel“

Der Untergang wird freundlich abgenickt

Freier Feuilletonmitarbeiter
Würgeengel in Salzburg Würgeengel in Salzburg
Das sieht alles sehr schick aus, doch der neuen Oper „Würgeengel“ fehlt die Beklemmung des Films
Quelle: Monika Rittershaus
Die in Salzburg uraufgeführte Thomas-Adès-Oper „Der Würgeengel“ hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Die jedoch freut sich nur unbeeindruckt, obwohl sie doch eigentlich beklommen zweifeln müsste.

Es ist keine gute Zeit. Doch man sitzt bei gepflegten Getränken in eleganter Umgebung und unterhält sich über dies und das. Selbstreferenzielle Plappermaschinen, die perfekt in ihrer sozialen Konnotation funktionieren. Und dabei das Draußen völlig ausblenden. Auf einer doppelten Ebene. Um dann doch mit dem banalen Satz „Frau Gräfin, das Souper ist serviert“ dieses „Konversationsstück für Musik“ zu beenden. So geschehen immer wieder mal in Salzburg.

Es ist neuerlich keine gute Zeit. Doch man sitzt bei edlem Essen und gepflegten Getränken in einem noch eleganteren Sixites-Salon und lässt den kulturgesättigten Abend Revue passieren, klatscht. Jeder kennt seine Rolle in dieser subtilen Hierarchie und füllt sie perfekt aus.

Auch als rundherum nichts mehr stimmt, der blanke Horror herrscht. Denn Übermächte sind im Spiel. Mit den im Requiem-Ritus wie im Te Deum enthaltenen Worten „Libera de morte aeterna, et lux aeterna luceat“ leuchtet hier im Finale kein ewiges Licht, sondern es verlischt. Beifall brandet auf. So geschehen jetzt erstmals in Salzburg bei einer neuen „Opera“.

Eine eigentlich noch fürchterlichere Ablenkungsoper

Seltsame Parallelität. 1942 wird mitten im Zweiten Weltkrieg in München „Capriccio“ von Richard Strauss uraufgeführt. Am Vorabend der Französischen Revolution diskutiert man in einem Pariser Landschloss darüber, wem in der Oper der Vorrang gebührt, den Worten oder den Tönen. Gerade in Salzburg wurde dieses graziöse Werk vollendeten Eskapismus’ gern gespielt.

Zwanzig Jahre später bringt der Meisterfilmregisseur Luis Buñuel in Mexiko „El ángel exterminador“ heraus – mit „Der Würgeengel“ etwas schief übersetzt. Den liest man schnell als Parabel auf das faschistische Franco-Spanien. Eine Gruppe der Oberschicht wird von einer übersinnlichen Macht in einem Musikzimmer festgehalten, Konventionen entgleiten. Eine passive Gesellschaft ist sich selbst ausgeliefert. Bis irgendwann der Bann wieder durchbrochen wird. Und trotzdem pflanzt sich vor der Tür die Revolte auf.

Im Salzburg des bis jetzt ziemlich schrecklichen Jahres 2016 steht zu den Festspielen zwar nicht „Capriccio“ auf dem Programm, aber eine eigentlich noch fürchterliche Ablenkungsoper von Richard Strauss: „Die Liebe der Danae“, eine „heitere Mythologie“, im Sommer 1944 von Joseph Goebbels anlässlich der Ausrufung des „totalen Krieges“ nur noch zu einer „Generalprobe“ zugelassen. Die echte Uraufführung 1952 erlebte der greise Komponist nicht mehr.

Ein prophetisches Meisterwerk wird adaptiert

Davor aber, als Musiktheaterauftakt, ist eine international von London, New York und Kopenhagen mitproduzierte Opernuraufführung gesetzt, eben jener als Konversations- und Ensemblestück „Capriccio“ so ähnelnde, aber eine ganz anderen Verlauf nehmende „The Exterminating Angel“. Komponiert hat ihn der Brite Thomas Adès, der auch selbst am Pult des großartig präparierten ORF-Radio-Symphonieorchesters steht.

Doch, man könnte diesen erfolgsverwöhnten, brillant instrumentierenden Komponisten durchaus den Strauss unserer Zeit nennen. Aber auch sonst schweifen, Sinn der komplexen Vorrede, die Gedanken unwillkürlich immer wieder zu Strauss und „Capriccio“ – je länger sich dieser Dreiakter hinzieht, den der Komponist und der präzise seine Personenführungsfäden ziehende Regisseur Tom Cairns als Libretto aus dem Filmdrehbuch verdichtet und ein wenig variiert haben.

Denn während Strauss und sein Textlieferant Clemens Krauss ein Original erfunden haben, wird in Salzburg ein gar nicht alt gewordenes, in seinem kühlen Surrealismus prophetisches Meisterwerk lediglich adaptiert. Mit erstaunlich wenig Opernmehrwert. Ob Buñuel klar war, warum sein Film keine eigenständige Musik enthält?

Man schaut sich selbst zu

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Sicher, beide Autoren wissen, wie es geht. Wie man in die langsam merkwürdige Handlung hineinzoomt, nachdem die offenbar instinktsicheren Dienstboten hektisch die Flucht ergriffen haben. Wie man atmosphärische, mal cocktailglasglitzernde, dann unheilbrodelnde Musik verfertigt.

Wie man unter das mustergültig aufgedröselte, trotzdem komplexe Gewirr der verschieden Gesprächsstränge den fremdartigen Horrorsound des unsichtbaren, alle im Raum verharren lassenden Vernichtungsengels durch das dezent jaulende Ondes Martenot andeutet. Wie man jeder der 15 Hauptpartien vom Lied bis zum Lamento ihren eigenen Signaturmoment gibt.

Wie man den Tanzwirbel auf dem Vulkan einer zum Untergang vorgesehenen Gesellschaft mit Glockenschlägen, Trommeln und ziemlich brutal hineinklatschenden Walzertakten beschleunigt.

Thomas Adès hat das alles wunderfein in der souverän dirigierenden Komponistenhand. Und auch Hildegard Bechtlers stoisch kreiselnder Palisandertorbogen – eine Hadespforte als Raumteiler, über deren Schwelle bald keiner mehr kommt – sieht super aus, so wie auch das stylische Restmobiliar und die salzburgschicken Roben. In den nahen Residenzen der hier Hof haltenden und jetzt im längst nicht ausverkauften, nicht einmal ausverschenkten Haus für Mozart sitzenden Superreichen könnte es ähnlich zugehen.

Man schaut sich selbst zu – und ist begeistert. Buñuel-Film wie Adès-Oper halten einer Gesellschaft zwar den Spiegel vor. Die Salzach-Society aber freut sich nur unbeeindruckt und klatscht am Ende mit viel Enthusiasmus. Irgendwie scheint die Botschaft nicht angekommen, ist unter glattglänzender Oberfläche und handwerklicher Konvention erstickt.

Dabei müssten doch die Zeiten da draußen, die abgedrängten Bettler, die Amok laufenden Asylbewerber, das mürbe europäische Gemeinschaftshaus, die sich aufschwingenden Diktatoren an den Außenrändern, das Publikum eher beklommen zweifeln lassen.

Der Dirigent verröchelt auf der Couch

Hier aber huldigt man einer luxuriösen Selbstdemonstration der Leistungsstärke seiner Kulturträger. Die ein wenig an der Selbstgewissheit kratzt, dies aber superglamourös verpackt. Thomas Adès hat bisher nur zwei Opern geschrieben. Seine Shakespeare-Adaption „The Tempest“ ist zwölf Jahre her. Und klingt in ihrer versatilen Vergegenwärtigung von Natur- und Stimmungszuständen auch nicht anders als sein jüngstes Musiktheater. Auf höchstem Niveau wird Erwartung befriedigt, Stimmung gemacht, aber nicht herausgefordert, verstört womöglich. Der Oper fehlt das Klaustrophobische des Films.

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Und so sehen und hören wir nun also zu, was dem adeligen Gastgeberehepaar mit dem sprechenden Namen de Nobile, der unaufdringlich präsenten Amanda Echalaz und dem zurückhaltenden Charles Workman, bei seiner harmlosen Soiree nach einem Opernabend widerfährt. Dessen Primadonna Audrey Luna penetriert nicht nur unsere Gehörnerven, sie wirft auch einen Aschenbecher durchs Fenster, vor dem sich bisweilen eine chorisch grummelnde Menge versammelt.

John Tomlinson führt als Doktor stoisch die zunehmend außer sich geratende Festversammlung, während der Dirigent Thomas Allen schon bald auf der Couch verröchelt und dessen Gattin Christine Rice als Klaviermadame weiterhin mit stoischer Grandezza aufspielt (Adès bringt hier als Insiderjoke noch ein eigenes Werk unter fremden Namensfedern unter). Die sterbenskranke Anne Sofie von Otter wedelt mit komischer Emphase ihre kabbalistischen Hühnerfüße, der hysterische Countertenor Iestyn Davies heult währenddessen seiner Schwester Sally Matthews was vor.

Der Untergang wird abgenickt

Noch zwei weitere menschliche Kollateralschäden sind zu verzeichnen: Die bürgerlichen Verlobten Sophie Bevan und Ed Lyon bringen sich lieber gemeinsam um, als in dämonischer Passivität geistig zu verenden.

Nur der verbliebene Diener Morgan Moody trägt stoisch seine immer leereren Silbertabletts auf. Zuletzt werden auch noch die ursprünglich als Partygag gedachten Schafe als Kotelett über Celloholz gegrillt, während ein ebenfalls für diesen Zweck vorgesehener Bär nur müden Schrecken verbreitet.

22 Sänger sind hier neben vielen anderen aufgeboten. Sie fächern mit all ihrem grandiosen künstlerischen Können das Panorama einer dem Untergang geweihten Gesellschaft auf. In Salzburg wird das freundlich abgenickt und zur Kenntnis genommen. Schließlich wartet schon wieder das Dinner nach der Oper. Nein, es ist wahrlich keine gute Zeit.

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