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Kritik - Salzburger Festspiele Tenor Piotr Beczala überzeugt als Faust

Gestern Abend hatte Charles Gounods "Faust" bei den Salzburger Festspielen Premiere. Für die Neuinszenierung war ein interessantes Regieteam um den Österreicher Reinhard von der Thannen am Start. Piotr Beczala wirkt als Faust-Interpret wie der legitime Erbe einer schwedischen Legende.

Piotr Beczala (Faust) | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

"Das goldene Kalb steht noch immer aufrecht!" Eine Binsenweisheit, die dem erlauchten Premierenpublikum der Salzburger Festspiele natürlich nicht ins Gedächtnis gerufen zu werden braucht. Gounods Welterfolg "Faust" bietet außer dieser mephistophelischen Paradenummer, dem Rondo "Le veau d’or", eine Vielzahl von Arien, Ensembles und Chören, die das Ohr des musikalischen Kulinarikers einfach nur entzücken! Melomanen, die vor Ort spätestens seit den Tagen Herbert von Karajans traditionell heimisch sind, kommen durch die Salzburger Erstaufführung dieser seit über 150 Jahren populären "Faust"-Adaption logischerweise auf ihre Kosten.

Piotr Beczala mit brillanter Höhe

Der polnische Tenor Piotr Beczala wirkt als Faust-Interpret wie der legitime Erbe einer schwedischen Legende: Nicolai Gedda! Idiomatisch genauso perfekt, geschmackvoll phrasierend, mit brillanter Höhe. Der aus Baschkirien stammende Bassist Ildar Abdrazakov ist ein stimmlich agiler, aber farblich undämonischer Méphistophélès. Marguerite findet durch die Italienerin Maria Agresta zu eindringlicher Intensität: Unangestrengt strömt ihr Gesang, mit kontrolliertem Vibrato, tollem Piano. Der Regisseur und der Dirigent bringen der tragischen Heldin viel Sympathie entgegen: Das sieht man, hört man - und versteht man.

Menschen-Erkenner Reinhard von der Thannen

Um Bühnenfiguren angemessen führen zu können, müssen Regisseure Menschenkenner sein, Menschen-Erkenner: so wie Reinhard von der Thannen! In satanischer Gestalt spaltet sich in Salzburg die personifizierte dunkle Seite Fausts ab, sein triebgesteuertes Alter ego in laboratoriumshafter, futuristischer Bühnenoptik. Eine sterile hufeisenförmige Showtreppe mit vielsagendem Auge im Zentrum dominiert den nur wenig modifizierten weißen Einheitsraum. Akzente setzen dekorative Requisiten: Mehr noch als Bett und Haus und Kirchturm in miniaturisierter Form machen ein riesiges Menschenskelett beim Soldatenchor, silberne Orgelpfeifen in der Kirchenszene, zeitlupenartig bewegte schwarze Billardkugeln im Kerker Effekt.

Verzicht auf Walpurgisnacht

Sozialkritik lässt Reinhard von der Thannen durch Choristen und Tänzer in abgründigen Karnevalskostümen einfließen, spielen sie doch auf die typische Doppelmoral patriarchalischer und christlicher Kulturkreise an. Das Opfer der Gesellschaft diesmal? Marguerite! Ästhetisch bewegt sich Reinhard von der Thannen ungeniert auf den Spuren seines langjährigen Weggefährten Hans Neuenfels. Mutig und richtig ist die aufführungspraktische Entscheidung, die komplette Walpurgisnacht zu streichen: Sonst bremst sie tatsächlich immer die Spannungskurve der Oper aus.

Alejo Perez dirigiert Wiener Philharmoniker

Am Dirigentenpult fordert der junge Argentinier Alejo Perez von den Wiener Philharmonikern mehr Verve als Esprit, betont dabei die energischen Faltenwürfe der überwiegend lyrischen Musik. Manches Emotionsgeflecht wird dadurch zu nachdrücklich dramatisiert. Im Ganzen zweifellos ein sängerisch hochkarätiger, dirigentisch und szenisch eigensinniger, jederzeit kurzweiliger Opernabend.

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