„Faust“: Schwarz-weiß, teurer Freund, ist alle Theorie

 Haus und Kirchturm kommen auf Leiterwagen daher, und Marguerites Kind ist eine ominöse Schachtel mit Geschenkband: Vor lauter Konsequenz verliert sich von der Thannens Inszenierung im Schematischen. Im Bild: Ildar Abdrazakov als Méphistophélès (l.), Piotr Beczała als Faust.
Haus und Kirchturm kommen auf Leiterwagen daher, und Marguerites Kind ist eine ominöse Schachtel mit Geschenkband: Vor lauter Konsequenz verliert sich von der Thannens Inszenierung im Schematischen. Im Bild: Ildar Abdrazakov als Méphistophélès (l.), Piotr Beczała als Faust.(c) APA/BARBARA GINDL
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Gounods „Faust“ mit strahlendem Piotr Beczała: Bravos und Buhs für von der Thannens Inszenierung zwischen Psychologie und Plastik, höfliche Zustimmung für die Philharmoniker und eine mehr brave als eindringliche Besetzung.

„Rien!“, lautet Fausts erster Ausruf: Nichts! Als Schriftzug hängt das Wörtchen zu Beginn über der Szene. Da verrenkt sich der alte, glatzköpfige Gelehrte in seinem Sorgenstuhl, umringt von Papierstapeln sowie vier Raben, die skeptisch mit den Köpfen wackeln. Und auch pünktlich zu den letzten Takten des Finales senkt sich das „Rien“ wieder vom Schnürboden herab – wenn Marguerite tot auf dem Boden liegt. Sie sei gerettet, beteuert der hier gar nicht himmlisch imaginierte, sondern im Gegenteil höchst irdisch eingesetzte Chor. Nachdenklich, vielleicht gar hämisch gibt sich das uniforme Kollektiv, das sich zuletzt halb aus seinen Flughund- oder Erdmännchenoveralls herausgeschält hat und mehr von seiner anderen Hälfte zeigt: geschminkte Clownsgesichter, Zylinder, schwarze Unterhemden.

Nichts also. Jedenfalls nichts Übersinnliches, Magisches, Religiöses: Bühnenbildner und Ausstatter Reinhard von der Thannen, der in der langen Zusammenarbeit mit Hans Neuenfels etwa durch den Bayreuther Laborratten-„Lohengrin“ Furore gemacht hat, verneint die Gretchenfrage und schneidet als sein eigener Regisseur seinen „Faust“ konzeptuell auf die Psychologie zu. Zwei Seelen wohnen, ach! in Faustens Brust – und die zweite, böse heißt Méphistophélès. Ein Kleiderschrank mit integriertem Schminktisch ist sein Symbol und ein leuchtendes M sein Designerlabel: Der Schein bedingt das Sein. Er ist kein unabhängig existierender Gottseibeiuns, sondern der höchstpersönliche Mr. Hyde zum eigenen Dr. Jekyll, das hemmungslos-lebenslustige, letztlich über Leichen gehende Pendant zum braven, schüchternen Bücherwurm: Teufelskerl statt Teufel.

Eine Bühne wie aus dem 3-D-Printer

Erzählt wird das Ganze in einem vielfach farblos-aseptischen Ambiente, das von einem riesigen Augensymbol beherrscht wird und eine Manege andeutet, in welche die Pierrots- und Colombinengesichter des Chors passen: Das Bühnenbild wirkt wie das überdimensionale Erzeugnis eines 3-D-Printers. Schwarz-Weiß-Kontraste dominieren, zumindest bei der Einkleidung der Protagonisten, während die fleischfarbenen Chorkostüme irgendwo zwischen Pyjama, Plastik und Latexanzug angesiedelt sind. Von der Thannen hat konsequent gedacht. Nur: Vor lauter Konsequenz verliert sich die Deutung im Schematischen. Von Momenten wie der halb geglückten Peinlichkeitskomik des Quartetts abgesehen, erscheinen die Figuren zu typisiert, geraten ins Hintertreffen bei der Fülle anspielungsreicher, aber manchmal platter oder weit hergeholter Symbolik: Beim Soldatenchor marschiert, siehe Egger-Lienz, ein Skelett (als Lacherfolg!) mit, später senkt sich eine Margerite herab, Haus und Kirchturm kommen auf Leiterwagen daher, schwarze Kugeln werden bedeutungsschwanger durch die hell erleuchtete Kerkerszene gerollt, denn Marguerites Schlafzimmer ist eine viel engere „Zelle“ als das Gefängnis – und ihr Kind eine ominöse Schachtel mit Geschenkband.

Außerdem funktionierte beileibe nicht alles reibungslos in dieser Premiere. Gerade beim tadellos singenden (sowie merkwürdig uneins, aber mehrheitlich auf Rechts-zwo-drei-vier marschierenden) Philharmonia Chor hatte man manchmal den Eindruck, als seien etliche Mitglieder zwischen Tür und Angel in eine Inszenierung von anno dazumal eingewiesen worden. Leider setzte sich der Eindruck einer braven Repertoirevorstellung auch im Graben fort: Unter der Leitung des gewiss hochbegabten Alejo Pérez machten die Wiener Philharmoniker einen maßvoll inspirierten Eindruck und waren nur jeweils so gut, wie sie sich zu persönlicher Motivation hinreißen ließen – bei schönen Klarinettensoli zum Beispiel. An einem packenden Opernabend vergisst man kleine Ausrutscher im Nu, zieht es sich dagegen so gefährlich träge dahin wie diesmal, schüttelt man über Fehleinsätze wie etwa in Mephistos Serenade doppelt den Kopf. Der Strich der Walpurgisnacht kam da wirklich gelegen.

Was rechtfertigt hier die Kartenpreise?

Rien – nichts: Böse Zungen könnten behaupten, das sei zugleich die Antwort auf die Frage, was es musikalisch nun wirklich gebracht habe, Charles Gounods „Faust“ bei den Salzburger Festspielen herauszubringen. Das wäre zwar höchst ungerecht, trüge jedoch, wie Goethes Pudel, einen wahren Kern in sich. Warum gerade dieses Stück jetzt in dieser Besetzung, das erfährt man drei Stunden und 40 Minuten lang nicht. Freilich ist Piotr Beczała ein hervorragender Interpret des Faust: Sein modulationsfähiger Tenor verbindet lyrischen Schmelz mühelos mit heldischem Aplomb, er phrasiert mit Hingabe und Geschmack, und das hohe C entfaltet sich zwar im Forte, aber doch ohne störende Kraftmeierei. Um ihn herum jedoch gelingt es niemandem so recht, die Kartenpreise zu rechtfertigen. Ildar Abdrazakov fehlt als Méphistophélès die schwarze, satte Tiefe, er fühlt sich in der Höhe wohler, weiß aber weder mit dämonischer Hintergründigkeit im Klang (womit nicht banales Outrieren gemeint ist!) noch mit teuflischer Eleganz des Vortrags seiner Rolle stärkeres Profil zu verleihen. Ihrem etwas reif tönenden Sopran zum Trotz trifft Maria Agresta als Marguerite die Schlichtheit der Ballade am besten, für die Juwelenarie fehlt es ihr jedoch an glitzernder Leichtigkeit sowie einem sauberen Triller. Und Alexey Markov will als viril tönender Valentin doch allzu vordergründig und pathosgetränkt Eindruck schinden – freilich mit Erfolg.

Salzburger Festspiele in Radio und TV: „Faust“: 13. August, 19.30 Uhr, Ö1, 27. August, 20.15 Uhr, 3sat und Classica. „Die Liebe der Danae“: heute, Freitag, 21.20 Uhr, ORF2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2016)

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