Ein bühnenhohes Skelett, das im Rhythmus schreitet. Orgelpfeifen, die vom Schnürboden herunter schweben. Ein Haus und eine Kirche im Bollerwagenformat, die von Mephistopheles und Faust über die Bühne gezogen werden. Das Volk in Clownskostümen und eine Margarete, die in einem mittig platzierten, runden Ei haust, das von außen mit großen Glühbirnen bestückt ist. Reinhard von der Thannens Faust-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen hat optisch einiges zu bieten, lässt dafür aber auch manches ausgeklammert.

Der alte Faust ist gefangen in seiner eigenen selbstkritischen Lebensbilanz und fristet seinem Dasein in einem großen Ohrensessel dahin, umgeben von all seinen unbrauchbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen in Form von Papierstapeln. Mephistopheles erscheint darauf mit zwei Helferlein, die seinen Schrankkoffer immer im Schlepptau haben. Es gehört sich nun mal für einen richtigen Showman, jederzeit alles parat zu haben, und genau das verkörperte Ildar Abdrazakov in seiner Rolle als Mephisto, ständig in bester Laune, im Rampenlicht und leichtfüßig unterwegs. Dieses Bild hätte in die Walpurgisnacht und Hexenküche zu Beginn des fünften Aktes nicht gepasst; jene drei Bilder wurden jedoch ohnehin gestrichen.

Auch stimmlich fügte sich Abdrazakov in die Rolle des schmeichelnden Mephisto, der jeden durch seine süßen Worte verführen mochte. Diese Worte gelangen ihm in mittlerer und hoher Lage besser und glaubwürdiger als im tiefen Register, welches teils etwas dünn klang. Piotr Beczałas Faust befolgte Mephistos Ratschläge dennoch nur allzu bereitwillig mit hellem, klarem Ton. Wirkliche innige Gefühlsregungen zeigte er dann im dritten Akt, wenn er seine Liebe zu Margarete besingt, mit lieblicher Stimmfärbung, im Kern jedoch fest.

Margarete selbst blühte erst nach der zweiten Pause im vierten Akt so richtig auf. Maria Agresta konnte dabei aller Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ihrer Figur Raum geben. Ihre Darbietung war technisch tadellos, besonders im dritten Akt allerdings fehlten mir die nuancierten Gefühlsregungen noch und er blieb im Ausdruck etwas blass, berührte nur bedingt. Stimmlich präsenter und ausdrucksstärker waren an diesem Abend die beiden Mezzosopranistinnen: Marie-Ange Todorovitch in der kleineren Rolle der Marthe agierte mit ihrem tief dunklen Timbre sehr herrisch, wenn es um die Verführung des Mephistopheles ging. Schroff und geschmeidig zugleich behielt sie die sprichwörtlichen Zügel in der Hand. Tara Erraught dagegen war ein freundlicher und eher nichtsahnender Siébel, der mit kecker, heiterer und offen heller Stimme Blumen für Margarete pflückt, die wunderlicherweise auf weißen Stühlen wuchsen.

Insgesamt waren Bühnenbild und Dekoration in weißer Farbe gehalten; somit spielte sich die ganz und gar nicht sündenfreie Handlung um den Mord des unehelichen Kindes von Margarete und Faust in einem scheinbar unschuldigen Rahmen ab. Dieser Raum war durch gotisch anmutende Arkaden an den Seiten abgesteckt, was die große Bühne geschickt minimierte. Ein futuristisches, ebenfalls weißes Halbrund komplementierte das wandelbare Bühnenbild, welches die meiste Zeit in ein grelles Licht getaucht war. Dazu gesellten sich immer wieder diverse Elemente wie der Blumengarten auf Stühlen oder lange Tische, die aus dem Halbrund gezogen und für Tänze der Jahrmarktszene genutzt wurden. Lange, herabhängende Orgelpfeifen deuteten die Kirche an, in der Margarete Trost sucht, und das für Effekt sorgende, überdimensionale Skelett zog zusammen mit den heimkehrenden Soldaten ein.

Ein wirkliches Highlight der Vorstellung bot der Chor, wobei sich besonders die Männer stimmgewaltig zeigten. Zusammen mit Tänzern und Statisten formte der Philharmonia Chor Wien eine lustige Masse an Kirmesbesuchern und Soldaten, die in aufwendigen Formationen Leben ins Bühnengeschehen brachten. In den ebenfalls schlicht gehaltenen, gelben Clownskostümen hatte der Chor eine eigene Choreographie zu bewerkstelligen, die von Synchronität und Geradlinigkeit bestimmt war und von der der Gesang nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Akrobatische Kunststücke und wirbelnde Drehungen oblagen den Tänzern in den gleichen Clownskostümen.

Alejo Pérez hatte dabei am Dirigentenpult einiges zu tun, meisterte die Koordination jedoch souverän. Mit größter Präzision erhielt jeder Musiker, auf der Bühne und im Orchestergraben, seinen Einsatz; daneben kitzelte er jede kleinste Melodielinie heraus und gestaltete ein ausgewogenes Zusammenspiel von Orchester, Chor und Solisten. Der differenzierte, weich umschließende Klang aus dem Orchestergraben malte zudem musikalische Farben im Kontrast zur nüchternen Bühne.

Zum Schluss hielten sich Applaus und Buh-Rufe die Waage. Der Versuch, das kühle Bühnenbild mit vielen Aktionen und Kostümwechseln zu beleben, ist nicht immer aufgegangen, doch Solisten, Chor und Orchester überzeugten weitestgehend mit hervorragenden Leistungen.

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