Cecilia Bartoli erfüllte sich bei den Pfingstfestspielen mit der "West Side Story" einen Wunsch – nun ist sie auch im Sommer Maria.

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Salzburg – Mit den Wünschen ist es so eine Sache: Wenn man sie sich endlich erfüllen kann, ist es oft schon fast zu spät dafür. Der Endsechziger, der sich nur mühsam aus seinem Luxussportwagen schält, den er zuvor mit Tempo 30 durch die Innenstadt gejagt hat, könnte als Beispiel für so ein suboptimales Timing des Schicksals herhalten.

Cecilia Bartoli ist der kulleräugigste Opernstar der Welt, der quirligste, der bestgelaunte. Seit 2012 ist die Koloraturqueen auch künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele und schupft den Laden eigentlich ganz hervorragend: Sie unterhält dort mit klugen Programmen, gewagten, frischen Inszenierungen und musikalischen Höchstleistungen.

Da darf man sich zur Belohnung doch auch mal etwas wünschen: die Maria in der West Side Story zu singen, zum Beispiel. Diese Pfingsten setzte La Bartoli Leonard Bernsteins Meisterwerk auf den Spielplan und besetzte sich selbst in der Rolle der jungen puerto-ricanischen Einwanderin.

Ein kleiner Trick

Da aber selbst Operngöttinnen altern (die Italienerin ist diesen Juni 50 geworden), erdachte sich Bartoli zusammen mit dem Regisseur Philip Wm. McKinley einen kleinen Trick: Sie singt die Maria nur, spielt sie aber nicht. Das heißt, irgendwie doch: Bartoli spielt eine Maria, die sich 20 Jahre nach dem tödlichen Hickhack zwischen den Jets und den Sharks an ihr kurzes Glück mit diesem Tony erinnert.

Er glüht, er singt

Und so sieht man Cecilia Bartoli in der Felsenreitschule also in einem witwenschwarzen Kleid meist am Rand der Szene herumstehen, diese mal romantisch verklärt, mal elegisch, mal mit schreckensweiten Augen betrachtend. Mitunter spiegelt oder doppelt sie die Bewegungen der jungen Maria (charmant und süß: Michelle Veintimilla). Am Schluss steigt sie sogar in den Bühnenhimmel empor, um sich dort oben vor eine U-Bahn (oder O-Bahn?) zu werfen und im Elysium ihren toten Tony wiederzutreffen.

Diesen gibt Norman Reinhardt ganz exzellent: Er glüht, er singt mit endlos langem Atem und bietet wundervolle Pianissimi. Der US-Amerikaner kommt wie Bartoli von der Oper, kann aber mit der Verstärkung virtuoser umgehen. Bartoli trachtet danach, ihren schillernden Mezzo im Zaum zu halten; ihr lautes Einatmen stört mitunter.

Was das zentrale Liebespaar anbelangt, geht die Sache also eher in Richtung der zweiten Bernstein-Aufnahme (mit Tiri Te Kanawa und José Carreras), ansonsten aber herrscht klassischer Musicalgesang vor. Als Juwel der Besetzung funkelt Karen Olivo als Anita. Ihre ungewöhnliche Stimme ist untenrum soulig und oben grell und eng, sie tanzt lässiger und gleichzeitig sexyer als die anderen: kein Wunder, dass sie für die Darstellung der Anita schon einmal einen Tony Award bekommen hat.

Solide George Akram als Bernardo und Dan Burton als Riff. Die Tanzszenen (Choreografie: Liam Steel) haben mehr Power als Präzision, die Bühne von George Tsypin zeigt Graffitis und Feuerleitern, Philip Wm. McKinley inszeniert mit genregemäßer Überdrehtheit und Drastik.

Etwas überexakt

Im Orchestergraben der Felsenreitschule werkt das Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela unter der Leitung von Gustavo Dudamel. Dessen Interpretation des Musicalklassikers ist eher auf der behäbigen, breitbeinigen Seite, mit drastischen, lautstarken Ausbrüchen. Seltsamerweise ist das tänzerische Element oft (etwa bei I Feel Pretty) zugunsten einer melodiösen Glätte und Linearität zurückgefahren. Auch gerät das Dirigat des Lateinamerikaners in toto etwas überexakt; man misst die whiskygeschwängerte Lässigkeit und Sinnlichkeit eines Leonard Bernstein.

Lautstarke Begeisterung am Ende, und inmitten der Musicaldarsteller sieht man eine Künstlerin, die in diesen Minuten wahrscheinlich nur eines ist: wunschlos glücklich. (Stefan Ender, 21.8.2016)