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Salzburger Festspiele

20. Juli bis 31. August 2023

Kritik - "West Side Story" in Salzburg Musical mit Cecilia Bartoli als Fremdkörper

Noch einmal in die Rolle eines Mädchens schlüpfen, das war wohl der Traum von Cecilia Bartoli. Und so gibt es in der "West Side Story" bei den Salzburger Festspielen gleich zwei Marias: die Operndiva, die singt - und die junge Schauspielerin, die spricht. Die Regieidee von Philip WM McKinley war schon bei den Salzburger Pfingstfestspielen heftig umstritten. Und auch jetzt ging das Konzept einfach nicht auf.

Koloratur-Mezzosopran Cecilia Bartoli | Bildquelle: © Uli Weber

Bildquelle: © Uli Weber

Kritik von den Salzburger Festspielen

Bernsteins "West Side Story" mit Cecilia Bartoli

Keine Frage, diese Inszenierung ist ein glatter Fehlschlag. Zu plump wirkt die Idee von Regisseur Philip WM McKinley, gleich zwei Marias auf die Bühne zu stellen: einmal als über beide Ohren verliebtes Mädchen und einmal als gereifte Frau, die wehmütig auf ihr Leben zurückblickt. Zu offensichtlich ist dieser Kniff ein bloßer Vorwand, um Cecilia Bartoli den Traum zu erfüllen, als erfahrene Sängerin noch einmal in die Jungmädchenrolle der Maria zu schlüpfen und die großen Hits der West Side Story zu schmettern.

Cecilia Bartoli mit opernhaftem Vibrato

Solange die Diva bloß als stummer Schatten hinter der temperamentvollen jungen Schauspielerin Michelle Veintimilla hergeistert, stört das nicht mal allzu sehr. Aber wenn Cecilia Bartoli dann zu singen beginnt, mit leuchtendem Pianissimo, aber opernhaftem Vibrato, wenn sie dann wie ein Fremdkörper unten auf der Musical-Bühne steht, während die eigentliche Maria oben auf der Feuerleiter stumm ihren Tony anschmachtet, dann bekommen die Duette der West Side Story eine zusätzliche, eine leicht peinliche Note.

Bernsteins Musical zeitlos aktuell

Liebe über ethnische Grenzen hinweg - ein Musical, das Migration und Integration thematisiert: eigentlich könnte die "West Side Story" aktueller kaum sein. Doch in der biederen Salzburger Inszenierung, wo Petticoats den altbackenen Charme der 50-er Jahre versprühen, ist von dieser Brisanz nichts zu spüren. Warum also feiert das Publikum diesen Abend der verpassten Chancen mit Standing Ovations? Vielleicht, weil die Musik auch nach fast 60 Jahren noch so frisch wirkt wie am ersten Tag. Weil Leonard Bernstein das Einfache und das Tiefgründige so frappierend miteinander verknüpft. Weil er Beethoven-Zitate auf den Broadway bringt und sogar die Ohrwürmer voller Tonsymbolik stecken. Weil die Bläser und Schlagzeuger des Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela erst mit messerscharfen Riffs einheizen und uns dann lässig bei der coolsten Fuge der Welt mitschnippen lassen. Weil bei Dirigent Gustavo Dudamel die schmachtenden Songs zwar süffig klingen, aber niemals kitschig.

Standing Ovations nach der Premiere

Mit vollem Einsatz und Mut zum Risiko hat sich auch Tony die Standing Ovations redlich verdient: der Tenor Norman Reinhardt kann glutvoll schmettern, nahtlos zwischen Sprechgesang und Kantilene wechseln, schauspielert aber auch überzeugend und fügt sich bruchlos in das eigens gecastete Musical-Ensemble ein. Die jungen Darsteller, teils mit Broadway-Erfahrung, können einfach alles: singen, fighten, tanzen, nach einer perfekt abgestimmten Choreographie von Liam Steel, und mit Wortwitz für Lacher sorgen. Herausragend: Karen Olivo als Anita, frech, selbstbewusst und noch am Abgrund voller Würde – sie zeigt, wie Musical geht. Und Cecilia Bartoli? Sie hätte vielleicht vorher mal bei Leonard Bernstein nachlesen sollen. Denn der schrieb, als er an der West Side Story arbeitete: "Dieses Stück kann man natürlich nicht auf Stars aufbauen, da es von ganz jungen Leuten handelt."

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Alle Infos zu Terminen und Besetzung der Salzburger "West Side Story" finden Sie hier.

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