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Finale in Salzburg: Wunschkonzertknaller bis zur Hörgerätschmelze

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Sie und die Wiener Philharmoniker erinnerten an Otto Nicolai: Alois Glaßner, Juan Diego Flórez, Clémentine Margaine, Luca Salsi, Kristiane Kaiser, Andrés Orozco-Estrada, Adrian Sâmpetrean, Armando Piña und Franz Supper (v.li.) . Foto Marcio Borrelli/ Festspiele
Sie und die Wiener Philharmoniker erinnerten an Otto Nicolai: Alois Glaßner, Juan Diego Flórez, Clémentine Margaine, Luca Salsi, Kristiane Kaiser, Andrés Orozco-Estrada, Adrian Sâmpetrean, Armando Piña und Franz Supper (v.li.). © Marcio Borrelli/ Festspiele

Salzburg - Mit „Il templario“ von Otto Nicolai gehen die Salzburger Festspiele mit einem ambitionierten Vorhaben zu Ende. Lesen Sie hier unsere Kritik.

Ein Tempelritterschicksal, dazu eine Vierecksbeziehung, alles überwölbt von einem politischen Konflikt: Wer Klarheit will, muss sich eine andere Oper suchen. Aber Otto Nicolai ist da – man denke nur an Verdis „Macht des Schicksals“ und ähnlich verknäulte Stücke – in bester Gesellschaft. Überhaupt Italienisches. Die deutschen Tonschöpfer, auch das zeigt dieser Nachmittag im Großen Festspielhaus, können hier wunderbar mithalten. Vorausgesetzt, sie reisen zu Studienzwecken über die Alpen und lassen sich nicht nur vom dortigen Stil beeinflussen, sondern eignen ihn sich gleich an.

Was für ein Festspielfinale also unterm Mönchsberg, und das ganz ohne Regisseur. „Il templario“, der Tempelritter, ist von den drei konzertanten Salzburger Festspiel-Opern in diesem Sommer das ambitionierteste Vorhaben – nach dem Schmachtfetzen „Thaïs“ für den betagten Domingo und die ohne Szene nicht funktionierende „Manon Lescaut“ für Frau und Herrn Netrebko. Man hört und ist verblüfft. Nicolai, den alle Welt nur unter den „Lustigen Weibern von Windsor“ abgebucht hat, beherrscht das Vokabular der Italianitá. Die innigst bis süffigen, weit gespannten Melodien, die Stretta-Sprints, die Chor-Herrlichkeit (vom Salzburger Bachchor prachtvoll gesungen): Verständlich, warum das 1840 in Turin uraufgeführte Werk auf Wohlgefallen stieß und Nicolai unter anderem den Weg an die Spitze der Wiener Hofoper ebnete.

In Salzburg, wo die Wiener Philharmoniker in diesem Sommer eine Reihe mit „ihren“ Komponisten aufgelegt haben, ist „Il templario“ Platzhirschsache – zumal Otto Nicolai auch noch als Gründer des Ensembles gilt. Kaum Ersatzleute also im Orchester, fast alles auf professoraler Ebene bis hin zum legendären, aus der Pension geholten Ex-Konzertmeister Rainer Küchl. Jung-Dirigent Andrés Orozco-Estrada lässt sich von diesem Angebot hinreißen: Statt sorgsam abzuschmecken, gibt es Nicolai als explodierten Donizetti. Das ist schon effektvoll, treibt das Stück aber in eindimensionale Wunschkonzertknaller, bei denen die Hörgerätschmelze droht.

Vor allem müssen jedoch die Sänger dagegen ackern. Ausgerechnet Juan Diego Flórez, der Stilist mit Stratosphärenstimme, ist zum Dauerforte gezwungen. Seine Figur ist der unbesiegbare Ritter Vilfredo, der in Rovena verliebt ist, aber eigentlich (und vergeblich) von der Jüdin Rebecca begehrt wird, nachdem sie ihn einst gesund gepflegt hat. Das ist zwar nicht die Mittelpunktspartie, aber eine, die mit einer höllisch schweren Arie von Null auf 250 startet. Flórez geht dabei beherzt und nimmermüde auf Gipfeltour, darf erst nach der Pause etwas von seinen Mezzavoce-Qualitäten zeigen. Luca Salsi als Vilfredos Widersacher Briano bietet nicht nur das Muster, auch das Klischee eines italienischen Opernbaritons: mit dezibelstarker Expansion und ausgestellter Emotion, trotz allem eine imponierende Vorstellung. Sopranistin Kristiane Kaiser darf in die Rovena viel von ihrer Belcanto-Sensibilität legen, Clémentine Margaine singt die Rebecca wie eine Frühform der Eboli – eine starke, raumgreifende Tragödin, der dadurch auch kleine Verhärtungen unterlaufen.

Eine Ehrenrettung also fürs Repertoire? Eher nicht, wohl aber, wie hier geschehen, eine Aufgabe für den Ausnahmefall Festspiele. Der Regisseur, der den wuchernden Zweieinhalbstünder in den Griff bekommt, muss erst noch gebacken werden. Feinfühligere Interpreten, die Nicolais Scharnierfunktion zwischen Belcanto und frühem Verdi begreifen und daraus die Konsequenzen ziehen, sollte es dagegen geben. So musiziert, könnte man nämlich auf einen lästerlichen Gedanken kommen: dass der Gründervater seinen Wiener Philharmonikern ein dickes, lautes Ei gelegt hat.

Weitere Aufführung:

30. August (15 Uhr);

Telefon 0041/ 662/ 8045-500.

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