Regisseur Robert Borgmann gibt drei Stunden lang Rätsel um Rätsel auf. Die Stärke des Abends ist das junge Gesangsensemble.

Von Felix Stephan

Mozarts’ letzte komische Oper „Così fan tutte“ wirft noch immer unlösbare Fragen auf: Da sind einerseits diese drei Stunden Musik übernatürlicher Schönheit, diese Musik scheinbar ohne einen Hauch von Ironie und Hinterlist, die schon so manchen Zuhörer sanft in den Schlaf gewiegt hat. Und da ist andererseits Lorenzo da Pontes launisches Libretto, das unaufhörlich Haken schlägt – und zwei Liebespaare durch ein fieses Treue-Experiment an den Rande des Wahnsinns bringt.

Wahrlich keine leichte Aufgabe für einen Regisseur, diese beiden so unterschiedlichen Ebenen – die Musik und den Text – auf überzeugende Weise zu kombinieren. Robert Borgmann, der bisher nur fürs Theater gearbeitet hatte, wählt bei seinem Operndebüt an der Deutschen Oper nun den einfachen Weg: Der Erfurter, Jahrgang 1980, inszeniert vorwiegend das Libretto und entwirft dazu Bilder, die als Störfaktoren in Mozarts Musik hineinwirken. Borgmann schwebt ein schmerzlicher Prozess der Erwachsenwerdung vor, aber auch ein Prozess der Entfremdung und zunehmenden Ratlosigkeit. Und diese Ratlosigkeit betrifft nicht zuletzt das Publikum. Denn der Regisseur gibt im Laufe des Abends Rätsel um Rätsel auf, die sich auch nach über drei Stunden kaum lösen lassen.

Das Bühnenbild wird immer hässlicher, bis es am Ende ganz fällt

Zu Beginn scheint allerdings alles noch überdeutlich klar. „Youth“ prangt zu Beginn der Oper in schwarzen Lettern auf gelbem Vorhang. Der Stoff reißt bedeutungsvoll zu Boden, bevor die beiden Jünglinge Guglielmo und Ferrando als betont naive Witzbolde in bunten Harlekinkostümen auftreten. Der ältere Don Alfonso dagegen zeigt sich in stattliches Schwarz gehüllt, mit fettigem grauen Langhaar und gelben Stiefeln. Er wirkt wie ein halbseidener Strippenzieher, der nur schwer zu durchschauen ist. Das Treue-Experiment, das Don Alfonso seinen unbedarften Freunden schmackhaft machen kann und ihre Verlobten Fiordiligi und Dorabella ebenso wie sie selbst betrifft, offenbart trotz aller komödiantischer Verwirrungen schon bald seine dunkleren Seiten – vor allem in Form von atmosphärischen Störbildern und diffuser Bühnenbeleuchtung. Was im ersten Akt noch unterschwellig anmutet, verstärkt sich im zweiten Akt: Das Bühnenbild wird immer hässlicher, bis es am Ende ganz fällt.

Eine unablässig arbeitende Ölpumpe und mehrere große Spiegel stehen da nach der Pause zunächst auf der Drehbühne, die wiederum äußerst langsam ihre Kreise zieht. Warum eine Ölpumpe? Man weiß es nicht genau. Warum die Spiegel? Man weiß es auch nicht genau. Auf einer Leinwand dahinter werden Bilder von Windrädern, von einem Vulkan, von steinigem Gebirge projiziert. Je weiter die Entfremdung der Liebespaare Fiordiligi-Guglielmo und Dorabella-Ferrando durch Partnertausch voranschreitet, desto ungemütlicher wird das Umfeld der Akteure. Und plötzlich, bei der Doppelheirat der „falschen“ Paare, brechen die Kulissen ganz weg. Der Chor verwandelt sich in fleißige Bühnenhandwerker, Fiordiligi und Dorabella tragen Jeans und Pullover. Für die Zuschauer kommt das einem kleinen Schock gleich: Egal wie schön alle Beteiligten nun noch weiterhin singen und musizieren – irgendetwas ist unrettbar kaputt gegangen, das Prinzip „Theater im Theater“ entlarvt das Bühnengeschehen, raubt die Publikumsillusionen, demaskiert die Sänger.

Ein junges Sextett, das Spielfreude und Musizierlust ausstrahlt

Dabei war dieser Coup eigentlich vorherzusehen. Von Anfang an nämlich deutet Regisseur Borgmann, der als gelernter Bildender Künstler auch für das Bühnenbild verantwortlich ist, dieses doppelte Spiel an: Am rechten Bühnenrand postiert er ein zweites Publikum im Rokoko-Stil, das nicht nur interessiert das Bühnengeschehen verfolgt, sondern zuweilen auch die realen Premieren-Zuschauer mit Operngläsern mustert. Es ist ein Rahmen, der zusätzliche Distanzen zu den Figuren schafft und es dem realen Publikum erschwert, den Sängern ihre Gefühle zu glauben. Auch einige klamaukige Einfälle der Regie ändern daran wenig. Im Gegenteil: Sie lenken von der Musik ab. Was zum Beispiel sollen die albern blinkenden Zauberhandschuhe der Despina bezwecken außer ein paar Publikumslacher? Jene Handschuhe, mit denen die durchtriebene Kammerzofe und Gehilfin Don Alfonsos angeblich zwei vermeintliche Selbstmörder ins Leben zurückholt? Auch dass Despina später als peitscheschwingende Lack-Domina auf Don Alfonsos Rücken reitet, ist eher ein müder Gag als eine Aussage über die komplexe Beziehung zweier Verschwörer.

Glücklicherweise kann Borgmann auf ein Gesangsensemble von hohem Niveau zurückgreifen. Ein junges Sextett, das Spielfreude und Musizierlust ausstrahlt. Besonders hervorstechend: die australische Sopranistin Alexandra Hutton als Despina. Im recht statisch-abstrakt wirkenden ersten Akt ist sie die erste, die das Publikum auf erfrischend authentische Weise hinzureißen vermag. Die Paare Fiordiligi-Dorabella und Guglielmo-Ferrando brauchen dagegen länger, um auf musikalische Hochtouren zu kommen. Doch dies scheint durchaus beabsichtigt. Es ist, als erwachten sie erst im Laufe des Treue-Experiments zu individueller Größe, während sie sich zuvor in ihrer naiven Oberflächlichkeit klanglich stark ähneln. Paolo Fanale entpuppt sich schließlich als ein verführerisch dahinschmelzender Ferrando, der dem frühen Verdi näher zu stehen scheint als dem späten Mozart. Und Nicole Cars Fiordliligi verfügt alsbald über kerngesunde, bewegliche Höhen und eine berührend intensive Mittellage. Das einzige Manko des durchgängig hochklassigen Ensembles: Die Schwestern Fiordiligi und Dorabella bleiben sich in Timbre und Stimmtechnik so ähnlich, dass man für Stephanie Lauricellas Dorabella eigentlich nur die gleichen lobenden Worte finden kann wie für Nicole Car.

Derweil pflegt Generalmusikdirektor Donald Runnicles einen routiniert begleitenden Mozart. Der vibratoarme Streicherton des Orchesters der Deutschen Oper erinnert an Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis, doch ohne jenes Überraschungspotential musikalisch-rhetorischer Zuspitzungen aufzuweisen, das so manches Alte Musik-Ensemble auszeichnet. Mozarts Musik bleibt unter Runnicles Händen auf pauschale Weise schön – und bietet den Sängern dadurch umso mehr Raum zur Entfaltung.