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Norma

Tragische Oper in zwei Aufzügen
Dichtung von Felice Romani
Musik von Vincenzo Bellini



in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 8. Oktober 2016
(rezensierte Aufführung: 1. November 2016)


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Theater Essen
(Homepage)
Oper, die die Menschen zum Weinen bringt

Von Thomas Tillmann / Fotos von Matthias Jung

Was hatte man nicht alles gehört über diese neue Norma, wie altmodisch sie sei, wie uninspiriert, wie daneben. Und tatsächlich war ich auch ein bisschen erschrocken, als ich vor Beginn der Vorstellung die Probenfotos betrachtete und Kostüme ausmachte, die verdächtig an Märchenfilme oder Kinderbibeln erinnern, ich war auf das Schlimmste gefasst, als ein Erdhügel in der linken Bühnenhälfte zum Kultort ausstaffiert wurde und als Mistelzweige und Sicheln bemüht wurden. Doch alle Skepsis erwies sich bei wohlwollendem, genauen Zuschauen als unangebracht, denn schon nach kurzer Zeit passierte das, was sich der Komponist gewünscht hatte: "Die Oper muss die Leute zum Weinen bringen, ... sie durch Gesang sterben lassen ... Die Poesie und die Musik brauchen Natürlichkeit und sonst nichts."

Vergrößerung in neuem Fenster Pollione (Gianluca Terranova) plagt das schlechte Gewissen: Er hat sich in die junge Priesterin Adalgisa (Bettina Ranch) verliebt, ...

Und tatsächlich: In dieser Repertoirevorstellung weinen neben mir Menschen, sie sind angerührt von den Konflikten dieser Figuren, die grundsätzlich auch unsere sein könnten und die versierte, gut geführte Darstellerinnen und Darsteller wunderbar natürlich und vielschichtig zum Leben erwecken. Nichts lenkt ab von dem zentralen Geschehen, von der wunderbaren Musik Bellinis, keine Horden von Statisten oder Tänzern (eine häufig verwendete Taktik von Regisseuren, die der Geschichte misstrauen, die zu erzählen sie vertraglich zugesichert haben, die nicht mit Sängern arbeiten können oder wollen), keine schnell geschnittenenen Videoinstallationen, da reibt man sich nicht die Augen, weil das Geschehen in einer Raumstation (Mond!), in einem Lazarett (Krieg!) oder in einer Filiale eines Discounters spielt, der sich mit Bellinis Meisterwerk den Namen teilt, da wird das Ganze nicht als Backstagestory in einem Opernhaus im Italien der fünfziger Jahre erzählt (weil die Kostümbildnerin die Zeit so mag), da ist Norma nicht in Adalgisa oder Flavio, Pollione nicht in Oroveso oder Clotilde verliebt.

Szenenfoto

... obwohl er mit Norma (Katia Pellegrino) zwei Kinder hat.

Hoheisel, der auch das Bühnenbild entworfen hat, gibt keinen konkreten Ort vor, riesige Bretterwände mit ineinander verlaufenden Farben und ebenso gestaltete Bühnenelemente werden verschoben und erlauben den Zuschauerinnen und Zuschauern eigene Assoziationen. Der Versuchung, die Drehscheiben des Aaltotheaters zu bemühen, haben wenige Regisseure widerstehen können, das atmosphärische Licht von Wolfgang Göbbel verfehlt seine Wirkung nicht, könnte aber natürlich von manchem als kitschig wahrgenommen werden.

Vergrößerung in neuem Fenster Norma (Katia Pellegrino) liebt ihre Kinder, aber sie sind auch Polliones Kinder, und die verdienen ihrer Meinung nach den Tod.

Katia Pellegrino ist natürlich kein dramatischer Sopran, auch wenn die Liste der von ihr gesungenen Rollen dies suggeriert, aber sie ist eine intelligente Interpretin, die sich die Partie geschickt einzuteilen weiß und die in großen, dramatischen Momenten mit fulminanten Spitzentönen ihre Dominanz auf der Bühne unterstreicht (das hohe D am Ende des ersten Aufzugs ist eben doch faszinierend, wenn es gut gelingt). Sicher, da gibt es auch fahle Töne in der Mittellage und Tiefe, man muss sich auch an die flackernde Höhe gewöhnen und ein eher scharfes als liebenswertes Timbre, aber dafür hat man auf der Habenseite eine wirklich berührende Art zu singen, fein ausgesponnene Legati, wunderbar verinnerlicht präsentierte Momente, zusammen mit dem sensiblen Dirigenten ausgedachte, überzeugende Steigerungen und Tempowechsel (leider auch einige sehr zweifelhafte Auszierungen in der Wiederholung der Auftrittscabaletta, mit denen sie mich bereits auf einem früheren YouTube-Mitschnitt irritiert hatte). Und natürlich hat eine Priesterin, die einem Volk vorsteht und über Krieg und Frieden entscheidet, manch große Geste im Repertoire, die solchen ähnelt, die man aus vergangenen Zeiten von der Opernbühne kennt. In der ersten Szene mit Adalgisa gibt sie eindringlich die ältere Frau, die den Vater ihrer Kinder an eine Jüngere verliert. Vielleicht hätte die erfahrene Schauspielerin Imogen Kogge der Sopranistin noch mehr helfen können, die Zerrissenheit Normas zu Beginn des zweiten Aufzugs darstellerisch eindringlicher zu illustrieren. Insgesamt aber zeichnet diese Inszenierung aus, dass das Bühnenpersonal sich wirklich auf die Figuren einlässt, dass die Darsteller miteinander spielen, sich aufeinander beziehen, und das dazu nicht eine Flut von überflüssigen Mätzchen und Aktivitäten nötig sind, wie man sie aus anderen, vermeintlich modernen Produktionen kennt.

Bettina Ranchs prächtiger Mezzosopran hat einen faszinierend dunklen Klang, ist beweglich und sehr präsent, hat aber hörbare Grenzen in der oberen Lage, so dass hier mancher Ton unter der geforderten Höhe blieb oder einmal sogar wegbrach - vielleicht hätte man nach machbaren Punktierungen suchen sollen. An sich aber war auch sie eine wunderbare Besetzung der jüngeren Frau, darstellerisch sehr involviert und präsent, so dass man auf ihre Carmen - auch wegen der passenderen Tessitura - sehr gespannt sein darf. Auch Gianluca Terranova hinterließ einen sehr guten Eindruck als Pollione, auch wenn ich bei meiner nach dem Düsseldorfer Don Carlo geäußerten Einschätzung bleibe, dass die Spintopartien etwas zu früh kommen. Herzblut für sie hat der Sänger genug, aber die zeitweise Überbeanspruchung ist mitunter hörbar, die Stimme verliert im Laufe des Abends an Glanz, ist aber immer noch einer der interessanteren dieser Tage und auch in den verzierten Passagen nicht überfordert. Eine wirklich pralle, ebenmäßig-tonschöne, kraftstrotzend-warme Bassstimme allererster Qualität besitzt Insung Sim, der mir als Oroveso ganz ausgezeichnet gefiel, und auch Liliana de Sousa empfahl sich als Clotilde für größere Aufgaben, anders als der mit grellem Tenor nicht gerade positiv auffallende Daniel Kluge, der keine Zeit mehr für den Schlussapplaus hatte. Und auch der Chor des Aalto-Theaters präsentierte sich in großer Form (Einstudierung: Jens Bingert).

Szenenfoto

Am Ende bittet Norma (Katia Pellegrino) ihren Vater Oroveso (Insung Sim), sich der Kinder anzunehmen.

Spiritus rector der Aufführung war der junge Italiener Giacomo Sagripanti, der offenkundig über jedes Tempo intensiv nachgedacht hatte, ohne dabei allzu akademisch oder unflexibel zu werden, und Bellinis Partitur am Pult der glänzend aufgelegten, auch flotte Passagen problemlos bewältigenden Essener Philharmoniker aufs Schönste zum Klingen brachte. In der Sinfonia hätte ich mir mehr Ruhe gewünscht, eine Kleinigkeit angesichts der vielen mitreißenden rhythmischen Akzente, die nicht zuletzt die Sängerinnen und Sänger anspornten und das Publikum ganz unmittelbar erreichten. So muss eine Belcantooper klingen!


FAZIT

Allen Unkenrufen zum Trotz ist diese Norma der szenischen Reduktion eine wirklich gelungene Neuproduktion, die zeigt, dass diese Belcantooper zu den Meisterwerken der Gattung gehört und Menschen unmittelbar erreicht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giacomo Sagripanti

Inszenierung
Tobias Hoheisel
Imogen Kogge

Bühne und Kostüme
Heike Vollmer

Kostüme
Tobias Hoheisel

Licht
Wolfgang Göbbel

Choreinstudierung
Jens Bingert



Opernchor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters


Essener Philharmoniker


Solisten

Pollione
Gianluca Terranova

Oroveso
Insung Sim

Norma
Katia Pellegrino

Adalgisa
Bettina Ranch

Clotilde
Liliana de Sousa

Flavio
Daniel Kluge






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Aalto Musiktheater
(Homepage)




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