Auch gemordet wird im Takt

Giacomo Meyerbeer wurde von Wagner geschmäht, dann dauerhaft verfemt: Mit einer Neuinszenierung von «Les Huguenots» treibt die Deutsche Oper Berlin nun die überfällige Renaissance seiner Werke voran.

Georg-Friedrich Kühn, Berlin
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«Die Hugenotten» in der Deutschen Oper Berlin. (Bild: Bettina Stöss / Deutsche Oper Berlin)

«Die Hugenotten» in der Deutschen Oper Berlin. (Bild: Bettina Stöss / Deutsche Oper Berlin)

Eine Lagerhalle, Scheune, offenes Dachgebälk, frisch errichtet. Der Kasten, der darin steht, wird zu der anfangs von tiefen Bläsern intonierten Luther-Reformations-Hymne «Ein' feste Burg» seiner Seitenwände entkleidet. Eine mannshohe Glocke kommt zum Vorschein und wird von den hereinströmenden Männern unters Dach gehievt. Das an eine Missionsstation erinnernde Gebäudedach ist der wesentliche Blickfang im Bühnenbild für Giacomo Meyerbeers «Hugenotten» an der Deutschen Oper Berlin.

Giles Cadle hat es entworfen für David Aldens Neuinszenierung des Stücks, mit dem der Komponist 1836 ein sinnenfrohes Plädoyer für Toleranz und gegen religiösen und ideologischen Fanatismus setzen wollte, indem er den Kampf der protestantischen Hugenotten gegen die Macht der römischen Kirche zum Thema machte.

Bekanntlich gipfelte dieser Kampf in der «Bartholomäusnacht» 1572, als auf Geheiss der Königinmutter Katharina von Medici die anlässlich der Hochzeit ihrer Tochter Marguerite von Valois in Paris weilenden Hugenotten hingeschlachtet wurden. Mit der Historie gingen Meyerbeer und sein Librettist Eugène Scribe allerdings recht frei um, wobei Meyerbeer auch selbst ins Libretto eingriff. In episierender Breite zeigt er das Umfeld einer Liebesbeziehung, die ein kleiner Hugenotten-Offizier, Raoul von Nangis, mit Valentine, der Tochter eines der Katholiken-Anführer, anzubahnen versucht. Valentine ist freilich dem libertären katholischen Grafen von Nevers versprochen.

Verdrängt, verfemt

Aber auf Wunsch der Königin Marguerite soll sie Raoul heiraten, um eine Versöhnung der konfessionellen Lager herbeizuführen – was an Raouls Blindheit zunächst scheitert. Erst im Schlussbild werden Raoul und Valentine ein Paar, nachdem Valentine zum Glauben ihres Geliebten konvertiert ist. Da hallen schon von überall her Schüsse. Das Dach ist abgesenkt auf den Boden. Es bildet einen rampenartigen Wall, auf dem die beiden jungen Leute sterben. Fragmentiert ertönt von hinten noch der Luther-Choral. Zu spät erkennt Valentines Vater Saint-Bris, dass er die eigene Tochter hat ermorden lassen.

«Les Huguenots» ist das heute wohl interessanteste Werk dieses erst von Wagner diffamierten und in der Gunst des Publikums verdrängten, dann von den Nationalsozialisten endgültig ins Abseits geschobenen jüdischen Komponisten. Wie sehr man, befördert auch durch Neueditionen der Werke, den verfemten Meyerbeer heute wiederzuentdecken sucht, zeigt ein Blick auf die Spielpläne.

Gleich zwei Opernhäuser in Deutschland, Kiel und Würzburg, haben die «Hugenotten» kürzlich wieder ins Programm gehoben. In Berlin gab es in den achtziger Jahren an der Deutschen Oper eine Inszenierung, die den Widerstreit der konfessionellen Lager, Katholiken und Protestanten, als Widerstreit der beiden ideologischen Systeme Ost und West sehr eindrücklich interpretierte.

Die Neuinszenierung von David Alden geht es ruhiger, fast oratorisch an, situiert das Stück in der Entstehungszeit. Natürlich werden die vielerlei tänzerischen Einlagen in choreografisch anmutende Bewegungsrituale umgesetzt (Choreografie: Marcel Leemann). Nonnen putzen in der Hocke die silbernen Schwerter für den Endkampf. Marcel, der hugenottische Fundamentalist, von Meyerbeer als abschreckendes Bild eines religiösen Eiferers gezeichnet, poltert als mausgrauer Savonarola.

Sonst ist vor allem Rampensingen angesagt, oder es werden als Blickfang riesige Pferdeskulpturen hereingerollt, auf denen einmal Raoul als sozusagen reitender Bote des neuen Glaubens, ein andermal die Königin und ihr Gemahl, der spätere Henry IV, als blutverschmierte Racheengel des wahren katholischen Glaubens einherreiten.

Alden hat sich für seine Regie offenbar inspirieren lassen von Analysen der Meyerbeerschen Partitur, die das Werk in der Rückschau als einen Vorboten von Brechts epischem Theater sehen wollen – im Kontrast zu Wagners Psychologisieren. Eine halbhohe Courtine trennt denn auch immer wieder die Schauplätze.

Meyerbeers Grand Opéra ist freilich eher zu sehen als Erweiterung der Nummern-Opern-Struktur aus dem 18. Jahrhundert, wie er sie von früh an gepflegt hatte. Elemente des Grotesken und Burlesken im Sinne der französischen Romantik sind eingeschoben. Unterhaltsame Stilbrüche erlauben krasse Schwenks etwa von einem Te Deum zu einem frivolen Trinklied. Weinflaschen und Schampusgläser werden denn auch bei Alden ausgiebig geschwenkt, die Chorus-Line wird nach Musical-Art immer wieder aufgezäumt. Und auch gemordet wird im Takt.

Juan Diego Flórez brilliert

Psychologisierend geht Meyerbeer dagegen vor beim Instrumentieren. Viele Details gibt es da zu entdecken, und man staunt, wie durchhörbar die Stimmen sind. Besondere Akzente setzen auch die vielen a cappella gesungenen Kantilenen und solistische Instrumentalbegleitungen. Bisweilen klingt auch Webers «Freischütz» an. Oder man kann aus den süffigen Chören der französischen Champagnergesellschaft heraushören, wo sich Verdi zumal für seinen «Don Carlo» bedient hat – und dabei diese Muster perfektionierte.

Die Durchhörbarkeit der Stimmen ist wesentlich dem Rossini-erfahrenen Dirigenten Michele Mariotti zu verdanken. Präzise und raffiniert schleust er das Orchester durch die oft abrupten Wechsel von Tempo und Metrum. Juan Diego Flórez als Raoul kann sich in diesem Rahmen bravourös durchsetzen. Eine mondän-kokette Königin Marguerite gibt Patrizia Ciofi. Olesya Golovneva singt mit glockenheller Stimme die vom politischen Handelsobjekt zur mutig Liebenden sich emanzipierende Valentine. Ante Jerkunica ist der raubeinige Marcel.

Höchst präsent sind die von Raymond Hughes einstudierten Chöre, in Meyerbeers Konzept ein für die Handlungsentwicklung zentraler Part. Sie alle wurden vom Publikum mit Beifall, sogar auf offener Szene, überschüttet. Ausgebuht dagegen wurde die Regie. Tatsächlich hätte man für die über fünf Stunden trotz dem eindrucksvollen Schluss mehr erwartet. Und nicht alle Besucher warteten den ab.

«Les Huguenots», begleitet von einem instruktiven Symposion über «Oper und Religion», ist der zweite Teil eines Meyerbeer-Zyklus. Begonnen wurde er im Vorjahr – schwach – mit dem späten «Vasco de Gama». Kommendes Jahr folgt «Le Prophète».