Eher Konversationsstück als große Oper: Uraufführung von Scartazzinis „Edward II.“ an der Deutschen Oper

Es wird viel geredet in dieser neuen Oper. In fast jeder sich auf der Bühne der Deutschen Oper entfaltenden Szene von „Edward II.“, einem Musiktheaterwerk nach Motiven von Christopher Marlowes gleichnamigem Theaterstück, geschieht es wieder – obsessiv fast. Die Opernhandlung geht zurück auf die Geschichte des englischen Königs Edward II., der 1327 angeblich in Gefangenschaft starb, wo ihm seine Ehefrau Isabella als Rache für seine homosexuellen Neigungen einen glühenden Stahl in den After rammen ließ. Es ist vielleicht die beste Regieidee von Christof Loy, diese brutale Szene indirekt in einer touristischen Führung viel späterer Zeiten darzustellen.

In dem einstigen Königsdrama allerdings – das konnte der Shakespeare-Vorläufer Christopher Marlowe weit glaubhafter darstellen als nun der Li­brettist der Uraufführung Thomas Jonigk – ging es auch um ruinös geführte Amtsgeschäfte. Und weniger um einen Streit über sexuelle Orientierung, sondern um einen bis aufs Blut geführten politischen Machtkampf, in dem der selbstsüchtige und grausame Edward seinen Rivalen viel Angriffsfläche bot.

Dem 1971 geborenen Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini ist – daran ist erst mal nichts Schlechtes – die private Katastrophe, die aus den sexuellen Vorlieben Edwards und der Eifersucht seiner Ehefrau erwuchs, genauso wichtig wie der Machtkampf, welcher England seinerzeit erschütterte und bürgerkriegsähnliche Zustände hervorrief. Im Libretto ist von einem anfänglichen Albtraum Edwards zu lesen, worin sein Liebhaber Piers de Gaveston von einer wütenden Menge gelyncht wird. Nach dem Erwachen landet Edward im nicht weniger albtraumhaften, aber sehr realen privaten Dreiecksverhältnis mit eifersüchtiger Gattin und leidendem Liebhaber.

Akademischer Ehestreit eines Herrscherpaares

Hinter der explosiven Spannung, die das Textbuch durchaus eröffnet, bleiben auf der Bühne die blutige königliche Traumwelt und das potenziell ebenso blutige königliche Privatleben weit zurück. Dass Scartazzini die Energie der Handlung nicht ständig – wie es im zeitgenössischen Musiktheater leider oft passiert – mit vordergründiger Dramatik des vollen Orchesters zukleistern will, spricht für seine Sensibilität. Auch verspricht Dirigent Thomas Søndergard zu Beginn aus dem Orchestergraben mit dem geräuschhaften, stotternden Drohen der Bassinstrumente eine ganze Menge an blutvoller Oper. Das gilt auch für den wütenden Auftritt des Chores, welchen Regisseur Christof Loy jenseits aller Opernklischees spannungsvoll zu führen weiß. Aber im Ehestreit des Herrscherpaares wird das Ganze sofort zum akademischen Konversationsstück.

Agneta Eichenholz als Königin Isabella darf in bester Textverständlichkeit dem gemeinsamen Sohn und späteren Thronfolger Prinz Edward einen sexualpädagogischen Vortrag über Liebe und Begehren halten, dann kirchenkritisch den Begriff der Simonie, des Ämterkaufs, erläutern. Und nachdem man den König in den Kerker geworfen hat, preist Bariton Andrew Harris als Hetero-Protz Mortimer und neuer Bettgenosse Isabellas die neuen verwandtschaftlichen Verhältnisse: „Onkel, Mutter und ein altkluges Stiefkind. Wir sind die ideale Familie“.

Vieles wird in unverbindlichem gesanglichen Parlando mit fast auf Null heruntergefahrener Orchesterbegleitung abgehandelt, auch wenn Solo­instrumente wie etwa königliche Blechbläser beizeiten bedeutungsvoll hervortreten dürfen. Die finster und grau emporragende Abtei-Ruine des Einheitsbühnenbildes von Annette Kurz verspricht das, was aus diesem Stoff zu schlagen wäre: in Stein gemeißelte Machtgefüge, welche zu groß und zu starr sind für die Menschen, die, klein zwischen ihnen umherirrend, glücklich zu werden versuchen.

„Warum kann ich kein Baum sein. Ein Ast. Ein Blatt. Irgendein Tier“, singt der von seinem Geliebten Edward mit Privilegien ausgestattete Gaveston in Gestalt des bezaubernd schön klingenden lyrischen Tenors Ladislav Elgr, als die aufgehetzte Volksmenge ihm an den Kragen will. Scartazzini konzen­triert sich in seinen besten Momenten auf die Eigenkraft des Gesangs, doch es ist stets zu viel Textfokussierung, zu viel Wille zur theoretischen Erörterung dahinter.

Die Position von Homosexuellen in der Gesellschaft ist eine solche Erörterung wert – doch um daraus großes Musiktheater zu machen, bräuchte man Figuren, die nicht dauernd parlieren müssen, um interessant zu sein. Michael Nagy mit klangvollem Bariton und starker Bühnenpräsenz bietet alle Möglichkeiten an, um aus dem König, der über die private Lust alle sensiblen Machtbalancen aus den Augen verliert, eine solche Bühnenfigur zu machen.

Deutsche Oper, Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Tel. 34 38 43 43 Termine: 24. Februar; 1., 4., 9. März