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Kritik - Brittens "Death in Venice" an der Deutschen Oper Berlin Stilleben des Verfalls

Benjamin Brittens letzte Oper "Death in Venice" nach Thomas Manns Novelle "Tod in Venedig" hatte am 19. März in einer Neuninszenierung Graham Vicks an der Deutschen Oper Berlin Premiere. Ein gelungener Abend, in dem sängerisch alles stimmte, das Bühnenbild begeisterte und das Orchester über die gelegentlichen Längen der Paritur souverän hinwegsteuerte.

Szenenbild Deutsche Oper Berlin Brittens "Tod in Venedig" | Bildquelle: © Marcus Lieberenz

Bildquelle: © Marcus Lieberenz

Als Benjamin Britten 1976 starb, geschah etwas bis dahin Ungeheuerliches. Königin Elizabeth II. hat seinem Lebenspartner Peter Pears kondoliert und damit die Verbindung der beiden Männer anerkannt. Ist Homosexualität in den aufgeklärten Kreisen der westlichen Welt heute weitgehend enttabuisiert, zeigt Brittens Alterswerk nach der Vorlage von Thomas Manns Novelle noch alle innere Zerrissenheit, die homoerotisch Liebende vor 40 Jahren durchlitten.

Geschwätzige Friseure und brutale Strassenjungs

Szenenbild Deutsche Oper Berlin Brittens "Tod in Venedig" | Bildquelle: © Marcus Lieberenz Szenenbild aus der Berliner "Death in Venice"-Inszenierung | Bildquelle: © Marcus Lieberenz Aschenbach, den erfolgreichen Dichter, zieht es in einem heißen Sommer nicht in die kühlen Berge, sondern ins schwüle, stinkende, verfallende Venedig. Ihn ekeln derbe Späße, ein Gondoliere, der den Tod bringen könnte, ein schleimiger Hotelier, ein geschwätziger Friseur, brutale Straßenjungs, bis er schließlich IHN sieht. Einen Jungen. Tadzio. In unser aller cineastischem Gedächtnis auf ewig verbunden mit Viscontis hinreißendem Meisterwerk. Der blonde, ätherische, überirdisch schöne Junge am Lido, dem der alternde Dirk Bogarde als Aschenbach zu Mahlers Adagietto aus der 5. Symphonie verfällt. In Brittens Oper inszenieren Regisseure den Tadzio oft als Tänzer. Der britische Regisseur Graham Vick hingegen wählt einen eher unscheinbaren, sehr zarten, gerade erst der Kindheit entwachsenden Jungen, der verspielt und sportlich mit seinen Kumpels durch Stuart Nunns grandioses Bühnenbild tobt.

Stilleben des Verfalls

In einem überdimensionalen Goldrahmen verwittert, von Papierfrass halb zerstört: Ein Porträt von Aschenbach, der hier - jünger wirkend als im Film - ein wenig an Thomas Mann selbst erinnert. Riesige müde-violette Tulpen liegen quer über der Bühne, als Felsen, als Stilleben des Verfalls, als Mahnung der Vergänglichkeit. Türen öffnen sich verheißungsvoll und bringen neben Leidenschaft doch Elend und Tod. Die Cholera grassiert. Aschenbach, verzweifelt in seinem lästerlichen Begehren, kostet schließlich von den verseuchten Erdbeeren und geht durch eine der Türen in den Tod, Tadzios Name auf den Lippen.

Paul Nilon, einer der führenden lyrischen Tenöre Europas, gibt diesen lebensmüden Dichter, hin und her gerissen zwischen den Ansprüchen an seine eigene Bürgerlichkeit und dem letzten Aufbäumen hormoneller Gelüste mit höchster Intensität. Überstrahlt nur noch von Seth Carico, dem Bassbariton aus Chattanooga, Tennessee, der in sieben Rollen brilliert: als Reisender, als alter Geck, Gondoliere, Hotelier, Straßenjunge, Friseur und Dionysos.

Sensible Orchesterbegleitung

Das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles hat Erfahrung mit Brittens Musik und begleitet die oft spröde Komposition sensibel und sublim. Die Oper hat musikalische Längen, die die Inszenierung allerdings auffängt. Ein gelungener Abend an der Deutschen Oper Berlin.

Die Termine

Benjamin Britten:
"Death in Venice"

Deutsche Oper Berlin

Mittwoch, 22. März 2017, 19.30 Uhr
Samstag, 25. März 2017, 19.30 Uhr
Sonntag, 23. April 2017, 18.00 Uhr
Freitag, 28. April 2017, 19.30 Uhr

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