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Mit „Lohengrin“ fallen die Schranken

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Ihre kurzen Ausbrüche werden zu Nadelstich-Überfällen: Sarah Maria Sun in „Lohengrin“.
Ihre kurzen Ausbrüche werden zu Nadelstich-Überfällen: Sarah Maria Sun in „Lohengrin“. © Creutziger/OFS

Salzburg - Mit Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“ öffnen die Salzburger Osterfestspiele die Tür zur musikalischen Moderne. Lesen Sie hier unsere Premierenkritik:

Ganz vorsichtig wurde das Publikum schon einmal getestet. Vor zwei Jahren war das, mit einer „szenischen Collage“ über Schostakowitsch. Aber Musiktheater aus der Endphase des 20. Jahrhunderts ist neu für ein Festival, wo manch Gala-Gast einst sogar bei Brittens „Peter Grimes“ zurückzuckte. Die Schranken fallen also – und locken mit dieser Premiere auch noch auf die falsche Fährte: „Lohengrin“ bei den Salzburger Osterfestspielen, das hat nichts zu tun mit Rausch und Blechpanzerfeldzügen eines Richard selig, sondern mit Erkundungen im leisen Zwischenreich aus Geräusch, Ton, Sprechen und Gesang. Oper als Noch-nicht-Musik, als fragmentierte, intimste Klangäußerung in Grenzbereichen an der Schwelle zur Stille, zum Nichts.

Selbstgespräch einer Schizophrenen

Salvatore Sciarrino brachte seinen „Lohengrin“ 1983 in Mailand heraus. Eine Variation des Wagner-Stoffes, ein 50-minütiges Selbstgespräch Elsas auf Italienisch über ihr gescheitertes Zusammentreffen mit dem Schwanenritter. In der Universitätsaula baut Regisseur Michael Sturminger mit dem Ausstattungsteam von „dommartin supersets“ dem Publikum goldene Brücken. Was Sciarrino als „unsichtbare Handlung“ definierte, wird hier zur sehr konkreten, sehr fassbaren, klassischen Theatersituation. Sturminger, vor einigen Tagen kurzfristig mit der Neuinszenierung des Salzburger Sommer-„Jedermanns“ betraut, zeigt das Selbstgespräch einer Schizophrenen. Im schicken Loft mit Meerblick sprechflüstert eine Frau mal als Elsa, mal – Mütze auf – als Lohengrin.

Sarah Maria Sun ist eine Virtuosin des Pianissimo

Die Bilanz einer Entrückten, Enttäuschten, Vereinsamten ist das. Und Sarah Maria Sun beherrscht die große Kunst, kein einziges Mal in pathologische Klischees zu driften. Eine Virtuosin des Pianissimo, deren kurze Ausbrüche zu Nadelstich-Überfällen werden. Als sie die Ankunft Lohengrins imaginiert, erscheint im grellen Gegenlicht auf der Terrasse ein Bub: Gottfried, der Bruder, den diese Elsa (vielleicht geht Sturminger in der Konkretisierung da zu weit) mit dem Kissen erstickt – und damit jene Tat vollbringt, die ihr bei Wagner von Gegenspielerin Ortrud vorgeworfen wird.

Peter Tilling und das Österreichische Ensemble für Neue Musik tasten sich behutsam durch Sciarrinos fragiles Partiturgerüst. Als Ouvertüre gibt es sein kurzes Orchesterstück „La spazia inverso“, seine Bearbeitung eines verblüffend avancierten Gesualdo-Werks und Monteverdis „Lamento della Ninfa“ – zum 450. Geburtstag des Meisters und als Vokalporträt einer ebenfalls Verlassenen. Aufregende 70 Minuten sind das, der Kontrapunkt zum Getöse nebenan im Festspielhaus. Ein Dutzend Besucher sahen sich um die Kulinarik gebracht und gingen. Fünf Minuten vor Ende. Die Schampus-Zeitspanne zur abendlichen Mahler-Symphonie war wohl zu kurz.

Lesen Sie auch unsere Geschichte zum 50-jährigen Bestehen der Salzburger Osterfestspiele sowie unser Interview mit Christian Thielemann zur Rekonstruktion von Karajans „Walküre“-Inszenierung.

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