Der iranische Regisseur Amir Reza Koohestani inszeniert...

Deniz Yilmaz (links) als Tannhäuser, David Pichlmaier als Wolfram von Eschenbach in Darmstadt.Foto: Wolfgang Runkel  Foto: Wolfgang Runkel
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Für den iranischen Regisseur Amir Reza Koohestani, der erfahren hat, in jeder Gesellschaft fremd zu sein, ist „Tannhäuser“ eine persönliche Geschichte. Er zeigt bei...

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DARMSTADT. Für den iranischen Regisseur Amir Reza Koohestani, der erfahren hat, in jeder Gesellschaft fremd zu sein, ist „Tannhäuser“ eine persönliche Geschichte. Er zeigt bei seinem Opern-Debüt in Darmstadt einen Wanderer, der nie ankommt, und versucht, eine Brücke in unsere Zeit zu schlagen, die mittelalterliche Wartburg in ein islamisches Land zu verlegen: Der Sängersaal ist ersetzt durch ein Etablissement mit Revuetreppe und Polstersitzgruppen, orientalische Ornamentik und europäisches Bar-Outfit mischend (Bühne: Mitra Nadjmabadi). Die Wartburggäste mutieren zu einer Kopftuch-Gesellschaft (Kostüme: Gabriele Rupprecht), die durch den Zuschauerraum hereinströmt, fröhlich in den Rang emporwinkt und sich an der Rampe zu einem prächtigen Tableau postiert.

Hier zeigt sich der über sechzigköpfige Opernchor und Extrachor des Darmstädter Staatstheaters (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint), beidseitig flankiert von sechs Trompeten, in Hochform. Der Sängerwettstreit ist als Casting-Event aktualisiert: Grell und kitschig blinkt in allen Regenbogenfarben die Disco-Treppe, wenn den wettstreitenden Sängern das christlich-ritterliche Epos im Halse stecken bleibt bei dieser Suche nach dem Super-Star.

Tannhäuser ist es nicht. Der aus der Türkei stammende Tenor Deniz Yilmaz, der sein Rollendebüt gibt, scheint den Anforderungen dieser Partie noch nicht gewachsen. Seiner schönen, aber angestrengt wirkenden Stimme fehlt es an Durchschlagskraft, und die Übertitelungen sind bei seiner mangelnden Textverständlichkeit mehr als hilfreich. Vor allem darstellerisch wirkt Yilmaz blass: Bei den begeisterten Lobpreisungen für Venus, der Wiedersehensfreude mit Elisabeth oder den verzweifelten „Erbarm dich mein“-Rufen bleibt die Mimik stets unverbindlich. Zu Beginn teilt sich Tannhäuser mit der „Göttin der Liebe“ ein übergroßes Bett, das den Venusberg symbolisiert. Beleuchtungseffekte (Heiko Steuernagel) und rastlos flimmernde Projektionen auf der rückwärtigen Videowand (Philipp Widmann) ersetzen die Bacchantinnen. Tuija Knihtilä stattet Venus mit mächtigem Mezzo und prachtvollen Tönen aus.

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Flüchtlingsproblematik scheint mehrmals auf

Tannhäuser treibt es indes hinaus. Wenn er die Maria anruft, verweist wallender Theaternebel auf die Verwandlung: Der Hirte (ohne Schalmei auf der Suche nach klarer Intonation: Amelie Gorzellik) verkündet den „lieben Mai“, doch die Bühne ist dunkel und leer. Die Pilger entsorgen flugs das Himmelbett, indem sie es als Flüchtlings-Floß nutzen. Auch im Schlussakt scheint die Flüchtlingsproblematik auf, wenn die Pilger, ebenfalls auf der Suche nach Halt und Heimat, in Goldfolie stecken, wie man diese als Kälteschutz kennt. Wenn Tannhäuser auf seine Sängerfreunde trifft, kontrollieren blendende Scheinwerfer, wie in einem Überwachungsstaat, das Geschehen. Brav stehen die Akteure im Halbkreis, von einer schlüssigen Bewegungsregie verlassen. Vieles kommt bei Koohestani ins Stocken: Mut zum Stillstand oder Einfallslosigkeit?

Die Solisten lassen sich freilich nicht beirren: Die bayreutherfahrene Edith Haller fokussiert als Elisabeth ihre bewegende Hallen-Arie auf prächtigen Höhenglanz. Innig gestaltet sie ihr Gebet. Noblesse verströmt Martin Snell als Landgraf mit feiner, bis in die prekären Höhen und Tiefen seiner Partie klangschön geführter Bass-Stimme. Neben David Pichlmaier als wohltönendem Wolfram von Eschenbach ist des Landgrafs Minnesänger-Gefolgschaft mit Jun-Sang Han (Walter), Nicolas Legoux (Biterolf), Musa Nkuma (Heinrich der Schreiber) und Thomas Mehnert (Reinmar) zuverlässig besetzt. Will Humburg formt mit dem Staatsorchester Darmstadt die Ouvertüre subtil aus und führt das große Ensemble bis hinein in die mächtigen Klangballungen des Schlusses souverän, dabei Langsamkeit nicht scheuend. Es gab begeisterten Applaus für die musikalische Umsetzung, während sich bei der Regie Zustimmung und Missfallen die Waage hielten.