Dortmund. . Dortmund bringt Philip Glass und Robert Wilson auf die Bühne: „Einstein on the beach“ heißt ihre gigantische Gemeinschaftsarbeit.

Philip Glass und Robert Wilson sind Namen mit hohem Kultfaktor. Ihre gigantische Gemeinschaftsarbeit, die Oper „Einstein on the Beach“, wurde 1976 als Sensation gefeiert und tourte in Wilsons Inszenierung durch die halbe Welt. An den ersten Versuch einer völlig eigenständigen Realisierung des Stücks wagte sich jetzt die Dortmunder Oper. Und zwar mit viel Ehrgeiz und Aufwand, der allerdings die Patina, die das Stück in den letzten 40 Jahren angesetzt hat, nur mit immensen optischen Spielereien notdürftig übertünchen kann.

Was seinerzeit in Amerika als „sensationell“ oder gar als „revolutionär“ gefeiert wurde, war in Europa längst ein alter Hut. Stücke ohne fassbare Handlung fristeten hier scharenweise ihr Dasein als Eintagsfliegen. Dass die Wahl auf Albert Einstein als „Titelhelden“ gefallen ist, entspringt reinem Zufall und soll keine inhaltlichen Bezüge herstellen. In Dortmund geistert Einstein entweder im Rollstuhl oder Geige spielend durch einige Szenen. Das Programmheft warnt ausdrücklich davor, an irgendwelche Interpretationsversuche auch nur zu denken.

Strukturiert ist das Stück recht traditionell in Prolog, drei Akte sowie drei überwiegend instrumentalen Zwischenspielen und einem Epilog. Die insgesamt 14 Teile füllt Glass mit minimalistischen Glasperlenspielen, die hohe Anforderungen an die Konzentration der Ausführenden stellen und Glass‘ raffinierten Klangsinn eindrucksvoll demonstrieren. Über die Dauer von dreieinhalb Stunden verlieren die endlosen Wiederholungen schlichter Motivfetzen allerdings rasch an Glanz. Zu hören ist letztlich eine ausgedehnte „Symphonie der Banalität“. Die technischen Anforderungen bewältigen Florian Helgath mit dem „ChorWerk Ruhr“, dem exzellenten Solisten- und dem adäquaten neunköpfigen Instrumentalensemble mühelos. Und minimale Ungenauigkeiten störten nicht, sondern gaben den seelenlosen Klangkaskaden einen wohltuend menschlichen Anstrich.

Eine szenische Umsetzung dieser Musik macht eigentlich nur Sinn, wenn der unermüdlichen Motorik auf der Bühne ein zeitliches Gegengewicht gesetzt wird. Wenn also Musik und Darstellung in ein zeitliches Spannungsverhältnis gesetzt werden. Das ist Wilson in seiner eigenen Inszenierung wenigstens teilweise gelungen. In Dortmund verurteilt Regisseur Kay Voges allerdings die Darsteller zu einer fast bewegungslosen Statuarik. Die Figuren stellt er wie Schachfiguren in Position und lässt sie regungslos singen, zählen und absurde Texte rezitieren. Erst in der Schlussszene darf der Chor, in alberne Urmensch-Kostüme gewandet, über die Bühne und durch die Zuschauerreihen hampeln. Allerdings auch hier ohne Kontext zur zeitlichen Struktur der Musik. Was die Personenführung angeht, bietet Kay Voges nicht mehr als ein konzertantes Oratorium, bei dem er sich ausschließlich auf die Musiker und vor allem die visuellen Künstler verlässt. Und die schöpfen aus dem Vollen. Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert, Kostümbildnerin Mona Ulrich, Licht-Designer Stefan Schmidt und gleich sieben Video-Artisten lassen sich die Chance nicht entgehen und sorgen für beeindruckende Bilder, Effekte, Videoeinspielungen und ein Füllhorn fantasievoller Kostüme, die insgesamt die Regie und die Qualität der Komposition in den Schatten stellen.

Für ein Stück Musiktheater, noch dazu von solcher Länge, reichen schöne Bilder allerdings nicht aus. Schade für den Einsatz von Florian Helgath und das fabelhafte „ChorWerk Ruhr“, das vor allem in den wenigen Sequenzen, in denen sich die Musik aus ihren vorgestanzten Schablonen löst, ätherische Klangwirkungen erzielt. Glänzend auch das hervorragend zusammengestellte Instrumentalensemble, u.a. mit Önder Baloglu als virtuos agierendem Geiger im Einstein-Outfit und Kristof Dömötör, der mit seinem Tenorsaxofon-Solo für einen der wenigen Ruhepunkte sorgte. Die vielfältigen vokalen Ansprüche an ihre Partien sind bei Hasti Molavian (Sopran), Ileana Mateesu (Alt) und Hannes Brock (Tenor) bestens aufgehoben. Die Schauspieler Bettina Lieder, Eva Verena Müller, Andreas Beck und Raafat Daboul als überdimensionales Gehirn schlüpften in diverse Rollen und etliche fantasievolle Kostüme.

Angesichts des in 14 meist deutlich voneinander abgegrenzten Teilen zerstückelten Stücks leuchtet es nicht so recht ein, warum der ohnehin immer wieder unterbrochene Fluss der Musik durch eine Pause zerrissen werden könnte. So haben die Zuschauer zwar Gelegenheit, jederzeit den Raum für individuelle Pausen zu verlassen, was aber angesichts der starren Bestuhlung für einige Unruhe sorgt.

Das Premieren-Publikum zeigte sich von der Bilder- und Klangflut überwältigt und reagierte entsprechend begeistert.

Die nächsten Aufführungen im Dortmunder Theater: am 28. April, am 4. und 13. Mai sowie am 4. Juni (Karten-Telefon: 0231 / 502 72 22; www.theaterdo.de).