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Liebestraum. Senta (Ingela Brinberg) will den Fluch des Holländers (Samuel Youn) lösen.

© imago/DRAMA-Berlin.de

Premiere "Fliegender Holländer" an Deutscher Oper: Nebel des Grauens

Viel Schauer, viel Schwank, das aber stets mit dunkelgrauem Ernst: Christian Spuck inszeniert Wagners „Fliegenden Holländer“ an der Deutschen Oper.

Die letzte Wahrnehmung der sonnigen Außenwelt an diesem frühen Sonntagabend ist ein durchdringend fischiger Geruch vom Pausenbüffet her, Parkett links. Ist das jetzt noch ein Lachs-Canapé oder schon der Flusskrebssalat? Oder gar die olfaktorische Hinführung zu jenem nicht mehr ganz frischen Seemann, der als „Der fliegende Holländer“ seit einer halben Ewigkeit über die Weltmeere irren muss, weil keine Frau ihm Treue bis in den Tod zu halten vermag?

Im Zuschauerraum der Deutschen Oper ersterben dann selbst hartnäckige Sinneseindrücke schlagartig. Die unerbittliche Dominanz von Grautönen löscht alle Erinnerungen. Ab jetzt hat man sehr viel Zeit, um darin 50 Schattierungen auszumachen. Dazu senkt sich dichter Nebel vom Bühnenhimmel, und es plätschert mitten in die Ouvertüre hinein. Irgendwo im hinteren Teil der düsteren Spielfläche verläuft eine Wasserscheide. Durch sie muss patschen, wer ins Dämmerlicht treten will. Dunkle Gummistiefel sind da Pflicht. Manchmal fällt einfach nur Regen. Sein Geräusch wird das einzig wirklich Tröstliche dieser Wagner-Premiere bleiben.

Angerichtet hat sie Christian Spuck, im Hauptberuf Chefchoreograf am Opernhaus in Zürich. 2014 bugsierte er Hector Berlioz' „Damnation de Faust“ auf die Bühne an der Bismarckstraße, eine Zusammenarbeit, von der vor allem der Chor des Hauses schwärmte. Dieses nicht eben leicht zu beeindruckende Kollektiv bestreitet auch im „Fliegenden Holländer“ wichtige Auftritte. Und so war die Idee für ein neuerliches Spuck-Engagement geboren. Außerdem galt es, die Scharte auszuwetzen, dass sich Jürgen Flimm die „Holländer“-Inszenierung von Philipp Stölzl aus Basel unter den Nagel gerissen hat, die man auch an der Deutschen Oper gerne übernommen hätte. Nun aber soll die Erneuerung des Repertoires unter vollen Segeln vorangleiten.

Die Deutsche Oper bietet das maritimste Musiktheater dieser Stadt

Die Deutsche Oper hat sich in den vergangenen Jahren viel Spezialwissen über Fische, Schiffe und Wassermassen auf der Bühne angeeignet. Sie bietet das mit Abstand maritimste Musiktheater dieser Stadt. Da kann doch so ein „Fliegender Holländer“ unmöglich zum Schiffbruch führen. Wer sich aber mitten hinein in ein existenzialistisches Unwetter begibt, dabei alle Nebelmaschinen auf volle Last schaltet und sich weigert, selbst minimale Positionslichter zu setzen, der gerät urplötzlich in größte Opernseenot.

Es beginnt damit, dass Spuck die gut abgehangene Sichtweise variieren will, der „Holländer“ sei nur ein Traum Sentas. Durch Erik, den verliebten Jäger, sollen wir das Drama sehen, das sich natürlich längst ereignet hat und nun Gegenstand traumatischer Heimsuchungen ist. Man kann nicht sagen, dass die Wiederholungen Eriks Blick geschärft, ihn einsichtiger gemacht hätten. Auch lässt sich die These, er sei der einzige Liebende in diesem grausam egozentrischen Seestück, zu keiner Sekunde glaubhaft machen. Hocken muss Erik aber trotzdem die ganze Zeit im Grauen. Und darin fühlt man sich ihm dann doch irgendwie nah.

Die Restregie schwankt zwischen Schauerchoreografie mit dämonisch ins Gesicht gezogenen Kapuzen und heillosem Schwank, stets mit dem gleichen dunkelgrauen Ernst feilgeboten. Würde man das frei von jeglicher Ironie nennen, könnte man es beinahe noch als Lob missverstehen. Wie aber lässt sich Wagners krudes Frauenopfer in derart bräsiger Zurichtung ertragen? Im Grunde genommen gar nicht. Es sei denn, die Musik arbeitet sich hingebungsvoll durch das Dunkel und erhellt zumindest schlaglichtartig, was sich hier zu einem mörderischen Wetter zusammengezogen hat.

Leider kann keiner der Solisten zu Hochform auflaufen

Doch dafür erweist sich der Taktstock von Generalmusikdirektor Donald Runnicles diesmal als zu stumpf. An dem Heterogenen in Wagners Frühwerk, wo sich Motive, die bis zum Parsifal führen, direkt neben Gassenhauern à la „Freischütz“ finden, entzündet sich keine musikalische Phantasie. Stattdessen wird der Pinselstrich breiter gesetzt, weil alles akustisch unter einen Hut passen soll. Dies bleibt schon allein wegen des klangschluckenden Bühnenbildes und einem reichlich robust auftretenden (Männer-)Chor Illusion. Die beherzt zu verlieren und dafür neue Einsichten zu gewinnen, dazu fehlen Regie und Dirigat die Freiheit.

Vor diesem unwirtlichen Hintergrund verdienen die Solisten absolute Hochachtung, auch wenn keiner an diesem Abend zu seiner Hochform auflaufen kann: Samuel Youn ist ein klug disponierender Holländer, Thomas Blondelle macht seine Sache als hockender Erik tapfer und zieht aus der Wartestellung einen leicht hysterischen Unterton. Tobias Kehrer ist ein wendiger, auch stimmlich gewinnorientierter Daland, Matthew Newlin muss sich als bebrillter Steuermann vom Chor triezen lassen, schwingt sich aber unaufhaltsam in die Höhe. Ingela Brimbergs Senta bleibt eine Frau ohne wirklich nachvollziehbare Eigenschaften.

Es ist beinahe tragisch, dass der besonnen auftretende Teamplayer Donald Runnicles im Vorfeld der Premiere beklagte, in Berlin würde das Weltniveau der Deutschen Oper nicht ausreichend gewürdigt. Sagen wir es so: Beim „Fliegenden Holländer“ versteckt es sich recht erfolgreich hinter dichten Nebelschwaden.

Weitere Vorstellungen am 11., 16. und 20. Mai sowie am 4. und 10. Juni.

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