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Brittens „Tod in Venedig“ an der Staatsoper Stuttgart inszeniert

Kultur / Lesedauer: 4 min

Der Choreograf Demis Volpi hat Brittens „Tod in Venedig“ an der Staatsoper Stuttgart inszeniert
Veröffentlicht:08.05.2017, 18:29

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Als Co-Produktion der Staatsoper Stuttgart mit dem Stuttgarter Ballett hat dessen junger Hauschoreograf Demis Volpi jetzt Benjamin Brittens letzte Oper „Death in Venice“ inszeniert. Damit steht erstmals seit mehr als 40 Jahren wieder ein Bühnenwerk des berühmtesten britischen Komponisten jüngerer Zeit auf dem Spielplan des Stuttgarter Opernhauses. Die Ausstattung stammt von Katharina Schlipf. Nach der von Kirill Karabits souverän dirigierten Premiere gab es tosenden Applaus für alle Mitwirkenden.

Myfanwy Pipers Libretto für Brittens Adaption basiert auf Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig “ (1911). Luchino Visconti hat sie 1971 unter Verwendung des Adagiettos aus Gustav Mahlers Fünfter verfilmt. Zwei Jahre später stellte Britten seine Oper über den alternden Dichter Gustav von Aschenbach fertig, der in einer Schaffenskrise nach Venedig fährt, dort neue Inspiration sucht, sich in einen schönen Knaben vernarrt und schließlich an Cholera stirbt. Wie schon bei Mann und bei Visconti finden sich auch in Brittens Adaption viele autobiografische Elemente.

Großartige Hauptdarsteller

Vor zehn Jahren beeindruckte in Bregenz Yoshi Oidas Inszenierung von Brittens spätem Meisterwerk. Die von Daniela Kurz choreografierte Produktion strahlte mit ihrer starken Stilisierung große Ruhe aus. Vier Jahrzehnte nach Brittens Tod war es Zeit, dass das Stück nun endlich auch in Stuttgart auf die Bühne kam, wo derlei Musik in Kreisen dogmatischer Avantgardisten lange als hoffnungslos überholt abgetan wurde. Volpi hat Elemente von Musiktheater und Tanz auf Kosten jener Ruhe noch intensiver verschränkt als Oida seinerzeit in Bregenz.

Szenisch und sängerisch großartig bewältigen Matthias Klink als Aschenbach und Georg Nigl als dessen mephistophelischer Gegenspieler ihre Rollendebüts. Im fast leeren Raum seiner Fantasie wacht Aschenbach zwischen Bücherstapeln auf und räsoniert über seinen Zustand. Befindet er sich noch in seiner Schreibstube oder bereits in einer Klinik? Letzlich erleben wir das ganze Geschehen aus seiner Sicht, mit seinen Empfindungen, schauen quasi in seinen Kopf, folgen seinen Tagträumen, Phantasmagorien und Halluzinationen.

Stets bleibt offen, ob etwas real passiert oder nur immaginiert wird. Manisch steigert sich der vom Fieberwahn gebeutelte Egozentriker hinein in Grübeleien, Rechtfertigungen und Launen, projiziert seine Wünsche nach außen, spekuliert zu Klavierbegleitung über Zusammenhänge von rein ästhetischer Anbetung der Schönheit eines Körpers, Sinnlichkeit, Erkenntnis und Leidenschaft, die letztlich in den Abgrund führt. Nach anfänglicher Verdrängung gesteht er sich homoerotisches Lustverlangen ein.

Surreale Bildsprache

Denkbar wäre gewesen, diesen stets subjektiven, hermetisch abgeschirmten Blickwinkel durch eine objektive Ebene oder ein Szenario à la Odenwaldschule zu „brechen“. Volpi und Schlipf bleiben konsequent bei einer surrealen Bildsprache, die ihre eigene poetische Atmosphäre entfaltet. Durch Milchglasscheiben einer hohen Fensterfront sieht man reizvoll unscharfe Konturen von Personen. Livrierte Hotelangestellte lassen goldverzierte Rollwägen auf großen Gummirädern lautlos dahingleiten wie Gondeln auf der Lagune.

Plötzlich fliegt eine lebende Apollo-Statue durch den Raum. David Moore vom Stuttgarter Ballett begeistert als antiker Gott ebenso wie Joana Romaneiro (Tadzios Mutter) durch phänomenale Körperbeherrschung. Gabriel Figueredo (Tadzio) und weitere Knaben von der John-Cranko-Schule werfen sich Bücher zu wie Bälle. Morbide Klänge begleiten eine Prozession mit Sarg. Düstere Schattenriss-Szenen zu bedrohlicher Musik wechseln mit ordinären Liedchen (Lauryna Bendziunaite und Kai Kluge). Auch sonst wird hervorragend gesungen.

Chaotisch lärmende Touristen (Choreinstudierung: Christoph Heil) drängen zur Abreise, während Männer in Schutzanzügen zur Desinfektion des Hotels schreiten. Als Dionysos mit Stiermaske lässt Aschenbachs Einflüsterer alle Zurückhaltung fallen, die er zuvor in zahlreichen Bariton-Rollen walten ließ. In karnevalistischer Zügellosigkeit zelebriert er ein blutiges Ritual mit Tadzio als Opfer. Aschenbach verzehrt die angefaulte Erdbeere der Lust und der Erkenntnis, gibt sich seiner pädophilen Begehrlichkeit hin und empfängt von seinem Verführer den Todeskuss.

Weitere Vorstellungen: 11., 14., 18. und 25. Mai, 5. und 18. Juni,

7. und 19. Juli. Information und Karten: www.oper-stuttgart.de