Romeo Castelluccis Münchner Venus (Elena Pankratova) will es Tannhäuser schwermachen, dem Sinnlichen zu entsagen.


Foto: Bayerische Staatsoper / Wilfried Hösl

"Elisabeth" könnte Wagners Sängerkrieg diesmal heißen. Denn die nicht erreichte Liebe des begehrenden Sängers Tannhäuser ist die großartige Anja Harteros. Ihre Elisabeth unterschlägt kein Piano, leuchtet und schwebt vokal immer über den anderen Sängern. Immerhin bietet man in München neben Klangmagier Kirill Petrenko tollste Sänger – also Georg Zeppenfeld (als Landgraf) und Christian Gerhaher (als Wolfram). Dazu präsentiert man Elena Pankratova als Venus im Powerformat und Klaus Florian Vogt als Tannhäuser.

Auf theatralischen Eigensinn setzt Regisseur und Ausstatter Romeo Castellucci: Mit seinem Brüsseler Parsifal hatte sich der Italiener als Wagner-kompatibler Gesamtkunstwerker gezeigt. Es wurde Wagners reiner Tor zur Operneinstiegsdroge für einen Theatervisionär jenseits der Pfade des interpretierenden Erzählens und ohne deren vertraute Insignien. Dafür setzte der Regisseur auf ein Wechselbad von überschießender Opulenz und radikaler Reduktion.

So ähnlich geht es jetzt auch in seiner Tannhäuser-Installation in München zu. Dabei lässt Castellucci vor allem Assoziationen von der Leine. Und die kommen schnell mal vom Weg aus dem Venusberg, dem Pfad zur Wartburg oder gar dem Pilgerweg nach Rom und zurück ab, sie entschweben quasi in die assoziativen Extremhöhen.

Die Oper im Kopf

Wer so agiert, darf sich irgendwie ja durchaus auf den notorischen Grenzüberschreiter, also Richard Wagner selbst, berufen. Anders als in seinem Parsifal setzt der Regisseur aber nicht so sehr darauf, dass aus der Opulenz seiner Kunsträume und Bilder eine autonome Theaterwahrheit erwächst. Diesmal muss auch die pure szenische Verweigerung – zusammen mit der Musik – im Kopf der Zuschauer etwas freisetzen. Beispielsweise beim Sängerwettstreit: Selbst vom Blatt gespielt ist dieser mit seiner Spannung und einem herrlichen Eklat eine sichere Theaternummer – in München wird daraus ein Liedvortrag im Wagner-Spa.

Dabei streckt sich der Landgraf auch noch wie bei einer Priesterweihe auf dem Boden, während jede Handlung von einem dauerbewegten, luftig transparenten Gardinenlabyrinth verweht wird. Wenn dann auch noch Klaus Florian Vogt – wie auch Christian Gerhaher – den glockenklaren Liedton pflegt, dann ist auch Tannhäuser gänzlich im Castellucci-Universum entschwunden, in dem die Geschichte eines Mannes zwischen zwei Idealen oder eines Künstlers im Ringen mit sich selbst erzählt wird.

In der Rom-Erzählung bewährt sich Vogt dann nicht nur durch die Schwanenritter-Reinheit seiner Stimme. Er berückt auch mit konditionsstarker Eloquenz. Der ideale Tannhäuser ist er irgendwie dennoch nicht.

Dazu aber Dirigent Kirill Petrenko und sein Orchester: Musikalisch liefert man einen Wohlfühl-Wagner. Petrenko erweist sich auch bei Tannhäuser (in der Wiener Fassung von 1875) als akribischer Klangmagier mit großer Liebe zum Detail und subtilem Gefühl für Leidenschaften, denen er allerdings auch ihre ruhigen Momente gönnt.

Von Pfeilen verfolgt

Dass die Protagonisten streckenweise auch wie beim Spa-Besuch aussehen, Tannhäusers erste Worte "Zu viel" ein zu viel an puren Fleischmassen mit Venuskopf meint, sich das Pilgermotiv in lauter abgetrennten Füßen findet, auch Tannhäuser selbst von symbolhaften Pfeilen verfolgt und getroffen wird und einer davon gleichsam im Flug stehenbleibt, während die vergehenden Jahre aufs Unendliche zulaufen, all das gehört zu den szenischen Herausforderungen, denen sich nicht jeder stellen mochte. Nebst viel Applaus auch Buhs für die Regie. (Joachim Lange, 22.5.2017)