Dortmund. Ein Gleichnis über wahre Größe: Die Familienoper „Gullivers Reise“ in Dortmund zeigt, wie Freundschaft größte Unterschiede überwinden kann.

Zur Königsdisziplin der Bühnenbildkunst gehört es, unterschiedliche Größenverhältnisse glaubhaft darzustellen, Riesen und Liliputaner zum Beispiel. Entsprechend gespannt ist die Erwartung, wie wohl die Dortmunder Oper „Gullivers Reise“ szenisch umsetzen würde. Dem Regieteam um Marcelo Diaz und Tatjana Ivschina gelingt in dieser Familienoper eine fröhlich-bunte Simultanerzählung, die geschickt mit unterschiedlichen Perspektiven und ­­Se­h­-Erwartungen spielt. Das junge Publikum ist fasziniert von dieser Uraufführung nach dem Buch von Jonathan Swift, für die John von Düffel das Libretto und Gerald Resch die Partitur geschrieben haben.

Im Herbst am Rhein zu sehen

Die Kooperation Junge Oper Rhein/Ruhr der Häuser Düsseldorf/Duisburg, Dortmund und Bonn vergeben gemeinsam Kompositionsaufträge für Kinderopern. Die Ergebnisse sind meist spannend, verraten aber auch einiges über die Zielgruppen-Problematik. So ist „Gullivers Reise“ von Haus aus eine Satire, Libretto, Partitur und Regie überspitzen das noch. Aber Kinder verstehen keine Ironie. Gerald Resch schrieb für „Gulliver“ eine farbenreiche und intelligente Orchesterpartitur, deren Emotionalität, Humor und Signaleffekte Dirigent Ingo Martin Stadtmüller mit den Dortmunder Philharmonikern voller Herzblut umsetzt. Aber den Stimmen gönnt der Komponist über weite Strecken lediglich durchkomponierte Deklamation.

Die Unarten der Charaktere karikieren

Arien dienen hier dazu, die Unarten der Charaktere zu karikieren: den König (Oliver Weidinger), der um sein Frühstück gebracht wird, die verwöhnte Prinzessin (Tamara Weimerich), die natürlich ein Sopran ist und scharfkantige Spitzentöne um sich schleudert, der unfähige Minister (Fritz Steinbacher), der wie ein Operettentenor sülzt. Erst ganz zum Schluss kommt ein bisschen Wahrhaftigkeit in den Gesang, denn dann darf die kluge Vaniliput richtig loslegen und dem scheidenden Gulliver „gute Reise / guter Riese“ wünschen. Das Singen wird hier hauptsächlich über die Chöre transportiert, welche die Situation zusätzlich ironisch brechen.

Der schiffbrüchige Gulliver ist noch ein Junge, aber auf der Insel Liliput erscheint er riesengroß. Während er unbehaglich zwischen den Minihäuschen der Liliputaner hockt, erblicken die nur einen monströsen Arm, einen berghohen Kopf oder einen gigantischen Schuh. Die kluge Vaniliput alias Almerija Delic ist die Einzige, die erkennt, dass es sich bei dem Besucher um einen Menschen wie sie selber handelt, mit dem man über alle Unterschiede hinweg befreundet sein kann. Joshua Whitener singt den Gulliver in einer sympathischen Mischung aus ungeschickt und neugierig.

Echtes Einsteiger-Theatererlebnis

Die Perspektivwechsel sind nicht nur optisch gelungen, sie transportieren zugleich die Botschaft, dass das, was man selber für normal hält, in den Augen der anderen ziemlich schräg sein kann – und umgekehrt. Um Familien ein richtiges Einsteiger-Theatererlebnis zu servieren, gibt es einen wunderschönen Rundhorizont, dazu kommen die Flugmaschinen zum Einsatz.

Termine: 25. u. 30. Mai, 7., 11., 16., 18., 20. und 21. Juni (jeweils 16 Uhr); Karten: 0231/50 27 222. Ab 3. Oktober im Theater Duisburg.