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Tschaikowskys "Pique Dame" an der Oper Stuttgart Im Labyrinth des Verfalls

Frei nach Alexander Puschkins gleichnamiger, düsterer Erzählung schrieb Peter Tschaikowsky seine vorletzte Oper "Pique Dame" - ein Drama über einen jungen Mann, der seine Chance auf Liebe und Glück verspielt. Auf der Stuttgarter Opernbühne, die für ihre wagemutigen Inszenierungen bekannt ist, wurde aus der Geschichte eine kühle, sehr unromantische Gegenwartsbetrachtung.

 Szenenbild aus der Tschaikowsky Oper "Pique Dame" an der Oper Stuttgart | Bildquelle: © A. T. Schaefer

Bildquelle: © A. T. Schaefer

Dieser Opernabend ließ einen völlig kalt, was in diesem Fall nicht ganz so schlimm ist, wie es sich zunächst anhört. Denn auch der Dichter Alexander Puschkin und der Komponist Peter Tschaikowsky gingen zur "Pique Dame" auf kühle Distanz. Bei Puschkin war diese scheinbare Seelenkälte ein raffinierter literarischer Kunstgriff, ein bewährtes Stilmittel, Tschaikowsky dagegen hatte es einfach nur eilig: Die Oper musste rasend schnell fertig werden und war ihm von Anfang an keine Herzensangelegenheit, sondern ein mehr oder weniger willkommenes Auftragswerk.

Einmal mehr ein schäbiges Russland

 Szenenbild aus der Tschaikowsky Oper "Pique Dame" an der Oper Stuttgart | Bildquelle: © A. T. Schaefer Bildquelle: © A. T. Schaefer Insofern passte die gänzlich unromantische, fast mit journalistischem Eifer recherchierte, aber leider alles andere als originelle Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper perfekt zu den merkwürdigen Entstehungsbedingungen dieser düsteren Geschichte. Einmal mehr war auf der Bühne ein aggressives, verkommenes, schäbiges Russland zu sehen, ein Land zwischen Gewalt, Elend und Mafia. Das Regieteam Jossi Wieler und Sergio Morabito war mit Ausstatterin Anna Viebrock eigens nach Sankt Petersburg gereist, um sich dort vor Ort inspirieren zu lassen. Was sie gesehen haben, war nicht etwa die schönste Stadt des Nordens, sondern Treppen ohne Geländer und einstmals prächtige Villen, die jetzt vor sich hin bröckeln und als Krankenhäuser genutzt werden. Folgerichtig baute Anna Viebrock für diese "Pique Dame" einmal mehr ein Labyrinth des Verfalls, ein verwinkeltes Treppenhaus, Wände, von denen der Putz platzt, Hauseingänge, in denen Obdachlose hausen, sich prügeln und beschlafen, wenn sie nicht gerade saufen oder tanzen.

"Pique Dame" - die Premiere in Bildern.

Mit diesen Russland-Klischees mühen sich deutsche Theaterbühnen nun leider schon seit mehr als zwanzig Jahren ab. Das Volk ist grundsätzlich geschmacklos gekleidet, alkoholisiert und brutal - es gilt das Gesetz des Stärkeren. Nur die Narren haben gegen die Mächtigen eine Chance.

Zarin in Reizwäsche und Badvorleger

Ärgerlich, dass die eigentlich für ihre sehr gescheiten, wagemutigen Inszenierungen bekannte Stuttgarter Staatsoper diesmal keine anspruchsvollere Deutung anzubieten hatte. Gezeigt wurde der Abstieg des deutsch-russischen Offiziers German, der aus unerfindlichen Gründen mit einem Rucksack herumläuft und von Anfang an wahnsinnig ist. Er hat die fixe Idee, am Spieltisch mit drei Karten zu gewinnen, die ihm eine grauhaarige, aber lüsterne Gräfin - eben die titelgebende "Pique Dame" - verrät. Zwischendurch lässt sich Zarin Katharina die Große blicken, nur mit Reizwäsche und einem Badvorleger bekleidet, eine gewisse Lisa trägt als Playgirl ein Minikleid mit Katzen-Motiven herum und ein Zigarren rauchender Oligarch Tomski lässt die Puppen tanzen. Viel Trash, wenig Verständnis für die Abgründe des russischen Seelenlebens.

Von allem zuviel im Orchester

 Szenenbild aus der Tschaikowsky Oper "Pique Dame" an der Oper Stuttgart | Bildquelle: © A. T. Schaefer Erin Caves als German und Rebecca von Lipinski als Lisa | Bildquelle: © A. T. Schaefer Im Programmheft war mehr von Dostojewski als von Puschkin die Rede; beide hätten anspruchsvollere, vielschichtigere Bilder verdient gehabt. Dirigent Sylvain Cambreling präsentierte einen Hochdruck-Tschaikowsky und verwechselte Lautstärke mit Intensität. Das schepperte und dröhnte, knallte und dräute massiv, monströs, überbordend. Von allem viel zu viel, vom Blech, von den Streichern, was es den Sängern nicht leicht machte. Erin Caves als German meisterte seine Partie dennoch beachtlich, stimmgewaltig, energiegeladen, aber viel zu wenig innerlich zerrissen. Rebecca von Lipinski war eine sehr kontrollierte, fast gelangweilte Lisa, Helene Schneiderman eine Gräfin völlig ohne Geheimnisse, eher fidele Sozialrentnerin als Gespenst. Einzig Vladislav Sulimsky als Oligarch Tomski sang und spielte eine echt lebenspralle Puschkin-Figur. Der Chor hatte nicht nur zu singen, sondern musste nebenbei auch noch Papier-Kostüme basteln, ein besonders alberner Regie-Einfall. Schade, Russland ist allemal für spannendere Geschichten bekannt, damals wie heute.

"Pique Dame" an der Oper Stuttgart

Oper von Peter Tschaikowsky in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Regie und Dramaturgie: Jossi Wieler, Sergio Morabito
Musikalische Leitung: Sylvain Cambreling, Frank Beermann

Weitere Termine:
Mittwoch, 14. Juni, 22.30 Uhr
Samstag, 24. Juni, 22.30 Uhr
Dienstag, 27. Juni, 22.30 Uhr

Sendung: "Leporello" am 12. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.

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