Der verkrachte Student German (Erin Caves) würde alles tun, um Lisa (Rebecca von Lipinski) zu erobern. Foto: Schmidt
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Letzte Premiere von „Pique Dame“ in der Staatsoper Stuttgart fasziniert
  • Ulf Mauder

Stuttgart. Mit einer leidenschaftlichen „Pique Dame“ in einem St. Petersburger Hinterhofmilieu hat die Staatsoper Stuttgart die letzte Premiere vor der Sommerpause bestritten. Das Regieduo um Intendant Jossi Wieler und den Dramaturgen Sergio Morabito brachte die Oper von Peter Tschaikowsky zur Freude der Zuschauer am Sonntagabend mit modernem Anstrich auf die Bühne. Auch nach Meinung russischsprachiger Besucher meisterte das üppige Ensemble – einschließlich des stark geforderten Chors unter Johannes Knecht – das russische Libretto mit Präzision.

Etwa ein Jahr haben die rund 100 Akteure des Spektakels den russischen Text einstudiert. Einziger Muttersprachler dieser in Deutschland vergleichsweise selten aufgeführten Oper war der famose Bariton Vladislav Sulimsky. Er spielt Tomski, einen reichen Emporkömmling, der dem verkrachten Studenten German einen verhängnisvollen Floh ins Ohr setzt: die Legende der alten Gräfin mit dem Spitznamen „Pique Dame“. Sie soll in Paris das Geheimnis dreier unfehlbarer Karten – 3, 7, Ass – erhalten und so ihr ganzes Vermögen beim Spiel zurückgewonnen haben. Die US-Amerikanerin Helene Schneiderman (Mezzosopran) stellt die ergraute Venus im Pelz im Stil einer Stadtstreicherin dar – und sie vertraut German (Erin Caves) letztlich die Glücksformel an. Der rundliche Habenichts ist besessen davon, mit dem Spiel reich zu werden und so die von dem Fürsten Jeletzki (Shigeo Ishino, Bariton) begehrte Lisa (Rebecca von Lipinski) für sich zu gewinnen. Das alles ist großartig gesungen – und spritziger inszeniert und gespielt, als an manch russicher Bühne, wo bisweilen düstere Behäbigkeit herrscht.

Bühnenbildnerin Anna Viebrock verlegt das Drama, dem die gespenstische Erzählung Alexander Puschkins zugrunde liegt, in einen wenig glanzvollen Teil der früheren Zarenmetropole. Die St. Petersburger sind nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf der Suche nach Liebe und Glück. So auch der Hasardeur German, der kaum am Leben hängt und am Ende im Rausch die falsche Karte – die „Pique Dame“ – spielt und alles verliert: auch sein Leben.

Es ist nicht das St. Petersburg aus der Zeit von Peter Tschaikowsky (1840–1893), das hier lebendig wird. Viebrock bringt vielmehr durch Anleihen bei der Architektur der Hinterhöfe und Treppenhäuser, durch versiffte gelbe und grüne Pastelltöne eine aktuelle Atmosphäre nach Stuttgart. Hier und da bröckelt der Rokoko-Stuck der vorrevolutionären Zeit, blättert die Farbe – es ist der morbide Charme, der sich abseits der Hochglanzprospekte breitmacht. Dazu bringt Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling in bewährter hochkonzentrierter Bestform alles zum Klingen.

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