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Foto: © Annemie Augustijns
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Siehst du den Mond über Nowgorod … – Nikolai Rimsky-Korsakovs „Sadko“ in Gent

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An der Flämischen Oper in Gent haben Regisseur David Kramer und Dirigent Dmitri Jurowski mit „Sadko“ eine außerhalb Russlands nahezu unbekannte Oper von Nikolai Rimsky-Korsakov ausgegraben. Joachim Lange berichtet.

Mit Aviel Cahn kann man derzeit schon genauso gut über Genf reden wie über seine Flämische Oper mit ihren beiden Häuser in Antwerpen und Gent. Darüber, wie er mit seinem designierten GMD Jonathan Nott Genf wieder zum führenden Haus der Schweiz machen will. Wobei es ja wie in Belgien auch dort zunächst mal um die Region oder den Sprachraum geht. Und wie in Flandern auch um ein Stagione-Haus. Stagione Deluxe – die Schweizer rechnen zwar auch genau nach, was sie für Kultur ausgeben, aber sind dann am Ende doch keineswegs knauserig. 

Die laufende Saison schließt Gent mit einer Ausgrabung ab. „Sadko" gehört außerhalb Russland zu den unbekannten der 15 Opern von Nikolaj Rimsky-Korsakov. Obwohl er auch da der Meister der Instrumentierung ist, wie bei denen seiner Kollege, die er bearbeitet hat. Der Effekt ist so ähnlich wie bei den Opern von Korngold, Schreker oder in letzter Zeit von Weinberg. Man staunt, dass sie in der Versenkung verschwunden sind. Was freilich auch bei dem Russen mehr an den Eigengesetzlichkeiten des Opernbetriebs mit seinem immer engeren Kanon, als an der Qualität der Werke liegt.  

Sadko (1895-96), die siebente von Rimsky-Korsakovs 15 Opern, ist eine Entdeckung mit musikalischem Genussfaktor. Die Flämische Oper hat sie als Koproduktion mit der Oper Bratislava auf die Bühne. Dort im Slawischen hat es sicher auch das Libretto, das auf der russischen Märchen- und Sagenwelt beruht leichter. Wobei in dem Falle die Melange erstaunlich ist, wie die Welt der Nixen und des Meer- Zaren und das Streben nach Konsum aufeinandertreffen. 

Sadko ist als Kaufmann und Sänger an Öffnung und am Aufstieg des heimatlichen sehr mit sich zufriedenen Nowgorod interessiert. Er unternimmt (oder „träumt“) einen Ausflug in die Welt der Nixen und des Meer-Zaren, wo er vor allem dessen Tochter Wolchowa näher kommt. Für die lässt er gar seine Frau Ljubawa zu Hause sitzen. Jedenfalls eine zeitlang. 

Erst verspottet und vermöbelt man ihn ziemlich drastisch für seine hochfliegenden Pläne. Doch als er dann ein Dutzend Jahre (mit Nixenhilfe – hier einem metaphorischen Goldener Handschuh – sehr erfolgreich zur See fährt und dann allerlei Konsumwohlstand auf seine Landsleute regnen lässt wendet sich das Blatt für ihn. Zumindest vorübergehend. Am Ende wird seine surreale oder Traum-Geliebte Wolchowa ein Fluss, der den Aufschwung und die Anbindung an die Welt gleichsam unumkehrbar macht. Er selbst kehrt an den heimischen Herd und den immer brav gedeckten Tisch zu seiner Frau zurück. 

Regisseur Daniel Kramer (der auch künstlerischer Leiter der English National Opera ist) und seine Bühnenbildnerin Annette Murschetz riskieren es, dieses Märchen mit modernen Mitteln, als die Art von Wirklichkeit zu erzählen, die sich hinter der Oberfläche verbirgt. Mit einer Melange aus Rusalka-Nixenzauber, Goldenem-Kalb und Mahagonny-Ehrgeiz beim Entlarven der falschen Götter und Untergangs – Atmosphäre a la Lars von Triers Melancholia. Über einer mit Erde bedeckten Schräge schwebt eine ebenso geneigte Projektionsfläche für Zeitgeist-Videoschnipsel (TV-Müll von „Tom und Jerry“ über Fußball- bis Kriegsbilder), vor allem aber einen Mond, der sich bedrohlich der Erde nähert, dann aber auch wieder entfernt, sich mal verfinstert und dann wieder aufhellt.

Sadko hat eher einen Buchhalter Habitus, die Nowgoroder sitzen am liebsten in ihren Sofas vor der Glotze (Chorleitung: Jan Schweiger). Da kann man bei etwas Ehrgeiz nur weg wollen…. Die Zauberwesen marschieren gleichwohl wie Geister mit weißen Gewändern in einer mondbeschienenen Märchennacht auf. Am Ende sind sie alle schwarzgekleidete Bewohner eines düsteren Wasserreiches von denen sich Sadko dann doch nicht vereinnahmen lassen (bzw. für den Wohlstand aller opfern) will. Wenn seine Traumfrau schließlich märchenhaft zum Fluss mutiert teilt sich Bühne, wie bei einem Erdbeben. Bei diesem Alles auf Anfang freilich hat sich mit der Anbindung der Stadt an die Welt doch etwas geändert.

Die szenische Deutung ist ein Versuch Opulenz und Diskurs der Fragen, die hinter dem Märchen stehen, zu verbinden. Dass es um das Verhältnis der Geschlechter, um das von Natur und Konsum ebenso geht wie um das von Traum und Wirklichkeit wurde jedenfalls klar. Das gelingt, weil an der Vlaamse Oper nicht nur spielfreudige Protagonisten, sondern auch ein ebensolcher Chor zur Verfügung stehen. Die anspruchsvolle Titelrolle bewältigt Zurab Zurabishvili mit bewundernswerter Kondition (er ist fast immer auf der Bühne und gefordert). Betsy Horne vermag als Nixe Wolchova geheimnisvoll leuchtend zu verführen. Als Sadkos Ehefrau Ljubawa kann Victoria Yarovaya überzeugend leiden, aber auch mezzoeloquent auf den Tisch hauen. Raehann Bryce-Davies gönnt sich zu ihren Auftritten als Volksmusikant Nezjata, der hier zu einer schwarzen Nachtclubschönheit mutiert, den großen souligen Auftritt. Im vierten Bild verpassen Bass Tijl Faveyts, Tenor Adam Smith und Bariton Pavel Yankovski ihren „Werbeauftritten“ für ihre Heimat (Venedig gewinnt!) den rechten Drive.

Da es bei dieser spätromantisch schwelgerischen Musik, aus den Tiefen der russischen Seele und melodisch durchwebt letzten Endes auf das Orchester ankommt, verschafft Dmitri Jurowski am Pult dem Symphonischen Orchesters der Flämischen Oper einen quasi idiomatischen Standortvorteil. Die Musiker machen das großartig. Sie lassen die Farben leuchten, illuminieren die metaphorische Dunkelheit auf der Bühne gleichsam in einem ganz eigenen Licht. 

Sicher macht man solche Ausgrabungen in der Hoffnung, dass sie Nachahmer finden. Für die Slowakai ist das schon mal sicher. Und wer in Deutschland überlegt, der kann sich ab dem 2. Juli 2017 bei  www.theoperaplatform/eu selbst ein Bild machen.

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