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  4. Bregenzer Festspiele 2017: Carmen geht doppelt baden

Bühne und Konzert Open-Air-Festival Bregenz

Dieses Mega-Bühnenbild soll „Carmen“ retten

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Carmen Gaëlle Arquez | Lena Belkina | Annalisa Stroppa Don José Daniel Johansson | Martin Muehle | Arnold Rawls Escamillo Andrew Foster-Williams | Scott Hendricks | Kostas Smoriginas Micaëla Cristina Pasaroiu | Melissa Petit | Elena Tsallagova Frasquita Jana Baumeister | Soniá Grané Mercédès Marion Lebègue | Judita Nagyova Zuniga Yasushi Hirano | Sébastien Soulès Moralès Rafael Fingerlos |Wolfgang Stefan Schwaiger Remendado István Horváth | Peter Marsh Dancaïro Adrian Clarke Carmen Gaëlle Arquez | Lena Belkina | Annalisa Stroppa Don José Daniel Johansson | Martin Muehle | Arnold Rawls Escamillo Andrew Foster-Williams | Scott Hendricks | Kostas Smoriginas Micaëla Cristina Pasaroiu | Melissa Petit | Elena Tsallagova Frasquita Jana Baumeister | Soniá Grané Mercédès Marion Lebègue | Judita Nagyova Zuniga Yasushi Hirano | Sébastien Soulès Moralès Rafael Fingerlos |Wolfgang Stefan Schwaiger Remendado István Horváth | Peter Marsh Dancaïro Adrian Clarke
Schlechte Karten, aber wenigstens sehen sie cool aus: Die neue Bregenzer "Carmen" wird zwei Saisons lang gespielt werden
Quelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster
Die Seebühne der Bregenzer Festspiele ist berühmt für spektakuläre Riesen-Kulissen. Auch die neue „Carmen“ sieht überwältigend aus. Leider droht das Festival trotzdem zum Musikantenstadl zu werden.

Hier wurde Carmen dem Genius Loci geopfert. Rücksichtslos traktiert auf dem Altar des lokalen Geistes. Denn die ach so feurige Zigeunerin, die nach wie vor statistisch die internationalen Opernhitlisten anführt und auch hier schon zweimal (1974 und 1991/92) gesichtet wurde, sie findet auf der schwimmenden Bregenzer Freiluftbühne ein unerwartet feuchtes Ende: Sie wird von ihrem Don José nicht erdolcht (oder läuft selbst ins offene Messer), sondern nach spritzwassersattem Zweikampf im Bodensee ertränkt.

Für was hat man schließlich so viel Wasser? Carmen entflieht (als Stuntfrau) durch die Wogen kraulend zu Lillas Pastias Kneipe, draußen am Wall von Sevilla, der hier ein Haufen (56 Stück) übergroßer, schwebender Spielkarten ist. Außerdem kann man in der Schmugglerspelunke, wo optisch gerade Gipsy-Kings-Fashion in Mode ist, mit wild wallender (und feucht klatschender) Leidenschaft herrlich Wasserballett tanzen.

Auch das Bötchen, in dem einen Akt später der Torero Escamillo (jovialer Macho: Scott Hendricks) im Gebirge andockt, putzt ungemein. Dumm nur, dass es auch noch während zwei Dritteln des Stücks von oben herabprasselt. Da konnte man sogar auf die geplante Regenwalddusche verzichten, die das monströse Skatspiel (Herzdame und Pikbube sind – wie in der Oper – als fatalistisches Paar hervorgehoben) in einer Videosequenz optisch zum Zerfließen bringt.

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Was man mit Wasser alles machen kann: Balletteinlage auf der Seebühne in Bregenz
Quelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Dabei hatte der Tag so gut begonnen. 31 Grad, leicht glasig-dunstiger Himmel, aber nicht schwül, mit guter Dreiländereckfernsicht. Doch in wahrlicher Windeseile zog ab halb acht von der bösen Schweizer Seite schwarzdunkles Gewölk in Richtung Pfänder und regnete sich unter heftigen Böen und Temperatursturz ab. Dann schien mit ein paar Minuten Verspätung die Galapremiere samt TV-Übertragung doch möglich. Alles saß brav im raschelnden Regencape da, sogar der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen, doch mit Auftritt Moralès setzte der Regen wieder ein: stoisch, nicht zu viel, aber eben auch nicht zu wenig, windstill, 90 Minuten lang.

Anspruch und Unterhaltung zugleich

Da war die Stimmung irgendwie gleich flöten, falls die brav die Handlung nachbuchstabierende Inszenierung des Regisseurs Kasper Holten je welche gehabt haben sollte. Irgendwie sah das so onduliert und dänisch blond aus wie seine ganze Arbeit bis vor Kurzem als Künstlerischer Leiter der Covent Garden Opera in London. So ist „Carmen“ gleich doppelt, gedanklich wie klimatisch, ins Wasser gefallen. Was hier zu sehen war, reichte als Mainstreammengenspektakel, aber der Bregenzer Ansatz war gerade auf dem See über Jahrzehnte ein anderer.

Ikonengleiche Metaphern – Auge, Gerippe, Bistrotisch, Raffinerie, Marats Kopf – sollten als Signet dienen, in dem populäre Opern größer, aber eben auch anders, modern erzählt wurden. Anspruch und Unterhaltung für 200.000 Zuschauer. Und so wie sich die Tontechnik mit dem aus dem Festspielhaus zugespielten Chor und Orchester immer mehr optimierte, so gelang es auch meistens, sich gerade in der Monstrosität dieser Bilder auf den einen, singenden Menschen zu fokussieren, das Intime auch im Riesenhaften zu entdecken und scheinbar heranzuzoomen.

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Das Bühnenbild von Es Devlin sieht durch die vielen Videoprojektionen immer wieder anders aus
Quelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster

Das vollbringen jetzt in Es Devlins schönem, sinnfälligem, aber wenig spektakulärem Bühnenbild an Schlüsselmomenten Kameras, was man als Bregenzer Armutszeugnis werten muss. Auch wenn ein Videokaleidoskop aus tanzenden lila Muletas oder einem Wasserballett hübsch aussieht – das Musikantenstadl ist nahe.

Die Carmen ist famos

Der Lack ist ab. Zunächst mal nur auf den Arbeiterinnennägeln der zwei Hände, die sich da 20 Meter hoch in die Bodenseeluft recken und die Karten hochfliegen lassen, auf denen sich später per Videomapping auch Sevillapostkarten finden. Tattoos, Dreck, eine Narbe deuten auf wenig pflegliche Behandlung hin. Rechts glänzt ein billiger Ring, links glüht dauerhaft ein Zigarettchen.

Carmen, deren singendes Äquivalent, aber sieht in roter Bluse und abgeschnittener Jeans aus wie ein frisch gewaschenes Ibiza-Girl. Und bewegt sich auch lange so. Obwohl die famose Gaëlle Arquez mit vielen Zwischentönen schnurrt und gurrt und kostbares, so virtuos wie fein dressiertes Stimmmaterial auch unter freiem Regenhimmel vorführt. Da donnert es sogar passgenau bei der „Habanera“, und beim ersten, so gar nicht elektrisierenden Kuss mit dem rollendeckend larmoyanten Don José (solide: Daniel Johansson) zucken die Blitze.

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Lichtblick der Produktion: Mezzosopranistin Gaëlle Arquez als Carmen
Quelle: Bregenzer Festspiele / Karl Forster
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Die Energie überträgt sich durchaus auf das von Paolo Carignani am Indoor-Pult der Wiener Symphoniker straff und tough musikalisch durchtaktierte, auf zwei klofreie Spielstunden gekürzte Geschehen. Die Außenlautsprecher sind diesmal zentral angeordnet und klingen sehr gut. Aber das bleibt trotz Feuerwerk und Flamenco so herzlos sportiv und stuntsolide wie die Klettereinlage der Micaëla (Elena Tsallagova) für ihre Dritte-Akt-Arie in den andalusischen Bergen. Immerhin, jetzt zieht es die Inszenierung wenigstens mal in die Höhe, nachdem lange nur der Boden bespielt wurde.

Bregenz muss aufpassen. Sonst driftet man – auch nach der tranigen „Turandot“-Inszenierung von vor zwei Jahren – immer mehr in das aalglatte Al-Fresco-Opernentertainment à la Römersteinbruch St. Margarethen ab; wo man sich doch in Vorarlberg immer dezidiert von burgenländischen Massenvergnügen distanziert hat, das so flach ist wie der Neusiedler See tief. Hoffentlich gelingt 2019 mit dem „Rigoletto“ auf dem See die Wende. Denn Klasse für Masse, das war hier mal der Genius Loci.

Die ausverkaufte „Carmen“ gibt es am 23. Juli im ZDF als 100-minütiges Best-of, komplett in der ZDF-Mediathek sowie am 26. August auf 3sat.

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