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Bayreuther Festspiele: "Die Meistersinger von Nürnberg"

Foto: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

Festspiel-Premiere in Bayreuth Die Festwiese als Nürnberger Prozess

Alles Wagner oder was? Barrie Kosky inszeniert "Die Meistersinger von Nürnberg" erstaunlich unterhaltsam - und thematisiert statt Wagners Antisemitismus allgemeine Judenfeindlichkeit.

Richard Wagners Antisemitismus, muss man sich damit wirklich noch auseinandersetzen? Meistersinger, die mit verstaubter Kunst und Borniertheit einen jungen Wilden loswerden wollen, stehen die noch für irgendetwas? Wenn jemand wie Regisseur Barrie Kosky mit Wagner eigentlich wenig am Hut hat, wie er einmal sagte, dann ist das offenbar eine gute Voraussetzung, um eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Mit Distanz hat sich der Chef der stets hochgelobten Berliner Komischen Oper an seine Bayreuther Neuinszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" gemacht. Die gelang ihm erstaunlich unterhaltsam und überzeugend.

Mit der Tür ins Haus Wagner fällt Spielleiter Barrie Kosky, kaum dass sich der Premieren-Vorhang bei seiner "Meistersinger"-Inszenierung gehoben hat. Fesch und doppelbödig findet im Hause Wahnfried ein Kaffeekränzchen mit Franz Liszt, Frau Cosima, den monströsen Neufundländern Molly und Marke statt, aber als Chef im Ring steht natürlich Richard - beziehungsweise sitzt er am Flügel und führt Regie.

Aus selbigem Instrument klettern nach und nach Wagner-Lookalikes heraus, leicht am schwarzen Barett erkennbar. Diese multiple Komponisten-Präsenz ist keine ganz neue Idee in Sachen Wagner-Exegese, aber Barrie Kosky konterkariert so das selbstbewusst C-Dur-klare "Meistersinger"-Vorspiel und gibt den immer gebrochenen, ironischen Ton seiner Inszenierung vor. Hierbei unterstützt ihn von Beginn an das forsche Dirigat vom Schweizer Kapellmeister Philippe Jordan, der über die gesamte viereinhalbstündige "Meistersinger"-Distanz diese elegante Kraft und klare Zeichnung des Vorspiels durchhielt. Die ebenso schwungvoll choreografierte Handlung wuselt von nun an permanent über verschiedene Perspektiven, denn Kosky hat einiges mit Wagner im Sinn. Er möchte nur keine flachen Erwartungen erfüllen.

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Merkel bei Bayreuth-Festspielen: Einmal Wagner, immer Wagner

Foto: WITTEK/ EPA/ REX/ Shutterstock

Mit diversen Metaebenen pflügt Barrie Kosky die Story vom verliebten Singer/Songwriter Walther von Stolzing durch, der wegen seiner Liebe zur Handwerkertochter Eva den Song-Contest der Nürnberger Zunftsänger gewinnen muss. Und da gelten Regeln, an die er sich als freier Künstlergeist weder halten will noch kann. Gottlob sekundiert ihm dabei der kluge Schuhmacher und Dichter Hans Sachs (Wagner griff auf eine reale historische Figur zurück) mit allerlei Kniffen und Rankünen.

Als heikle Diskursrolle für jede Inszenierung hat Wagner den Zunftmeister Sixtus Beckmesser eingebaut, der nicht nur den Nörgler vom Dienst gibt, sondern sich auch als antisemitische Projektionsfläche anbietet, Vorurteile und platte Satire illustriert.

Die Regie setzt dies alles als bekannt voraus, malt aber trotzdem, wo notwendig, mit breitem Pinsel. Koskys Beckmesser agiert zwischen Eitelkeit, Bigotterie und schlichter Einfalt, sodass statt des seinerzeit gesellschaftlich akzeptieren Antisemitismus Wagners die aggressive Judenfeindlichkeit generell thematisiert wird. Inmitten der wirbelnden Prügelszene beim Volksauflauf Ende des zweiten Aufzuges entlädt sich Spott und Wut auf den Außenseiter Beckmesser, der zum Schock der ebenfalls bigotten Bürgermeute auch noch ein Auge auf die reine Eva geworfen hat. Beckmesser bekommt einen hässlichen karikaturhaften Judenkopf aufgesetzt, während selbige Karikatur gleichzeitig als riesiger Ballon und Pogrom-Menetekel auf der Bühne aufpoppt. Komisch und schrecklich zugleich: ein Stilmittel des doppelbödigen Kosky-Wagner-Kosmos.

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Bayreuther Festspiele: "Die Meistersinger von Nürnberg"

Foto: Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

Schon in der vergleichsweise fröhlich-burlesken Darstellung der bürgerlichen Welt des Wagnerschen Märchen-Nürnbergs schloss Kosky den ersten Aufzug mit einem trockenen Verweis auf das reale Nürnberg der Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Bühnenbild rückt nach hinten, was bleibt, ist ein kühler Gerichtssaal mit Flaggen der vier Siegermächte und einem einsamen Soldaten. Ein klares Statement, dass nirgends Idylle herrscht, Wagners Vision nur eine Fiktion von Nürnberg ist und die Stadt lediglich Wagners Deutschland-Ideal entwirft.

Entsprechend zeichnet Barrie Kosky das Nürnberger-Bürgerpersonal konsequent historisch, wenn er auch die Zunftmeister von Konrad Nachtigall bis Hans Foltz mit langen Haaren und Bärten wie fröhliche Heavy-Metal-Freaks aussehen lässt. Die stimmen dann auch jeweils den Meistersinger-Regeln mit heftigem Kopfnicken zu, was nicht nur von Ferne an Headbangen erinnert. Die Outfits entwarf Kostümbildner Klaus Bruns mit Sinn für die neue Üppigkeit.

Die Zeit geht über ihn hinweg - was bleibt, ist Wagner

Diese Gegensätze führt die Regie konsequent bis zur stets problematischen Festwiesen-Szene des dritten Aufzuges fort, die praktischerweise gleich in den Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse verlegt wurde. Hier obsiegt dann durch Sang und Innovation das Neue und Zukunftsweisende in Gestalt des Winners Walther, während der Mahner Hans Sachs ("Verachtet mir die Meister nicht!") am Ende ganz allein am kahlen Rednerpult zurückbleibt und in Wagners Gestalt ein nahezu stummes zeitgenössisches Orchester auf der Bühne dirigieren muss. Seine Warnung vor schädlichen fremden Einflüssen ("Welscher Tand!") verhallt in der Öde, die Zeit geht über ihn hinweg. Was bleibt, ist eben alles Wagner. Der überlebt, wenn's der Kunst gilt.

Diesen Hans Sachs macht Bariton Michael Volle (vor zehn Jahren gab er in Katharina Wagners "Meistersinger"-Inszenierung den Beckmesser) zur absoluten Starfigur der Inszenierung, Volle singt und spielt den Ruhepol mit machtvoller Stimme und Statur, eine Idealbesetzung. Gemeinsam mit Klaus Florian Vogts Walther von Stolzing bringt er die flächige und keineswegs längenfreie Inszenierung souverän über die Distanz. Vogts schmelzender Tenor klingt wie gemacht für den Walther, schon bei seinem Bayreuth-Debüt 2007 gewann der prototypische blonde Wagnertenor Vogt das Publikum mühelos: Seine internationale Karriere konnte starten.

Ein Gewinn für jedes Ensemble

Günther Groissböck als Eva-Vater Veit Pogner agiert mit gewohnter Überlegenheit und Stimmstärke eines Superbasses, der jede Inszenierung zu seiner machen kann, aber auch spielerisch stets auf der Höhe agiert. Ein Gewinn für jedes Ensemble. Dagegen erntete seine Tochter in Gestalt von Sopranistin Anne Schwanewilms, eigentlich Wagner-Expertin, einige Buhs für ihre etwas gezügelte Stimme und ihre Reife-Frau-Version mit Torschlusspanik-Gezappel - was aber auch der fragwürdigen Rollenkonzeption der Regie geschuldet ist. Ihre Zofe Magdalene hingegen fand in Wiebke Lehmkuhl eine quirlige Darstellerin mit klarer, kräftiger Stimme, die voll überzeugte.

Weshalb ausgerechnet Philippe Jordans durchsichtig klares, elastisches Dirigat voller Temperament und Detailfreude ein paar Buhs abbekam, bleibt wohl das Geheimnis der Wagner-Fans, die es gern etwas feierlicher gehabt hätten. Jordans Tempo jedenfalls ging voll in Ordnung.

Ein paar lautstarke Unmutsäußerungen fürs Regie-Team gehören zum guten Ton auf dem Grünen Hügel, ansonsten wurde gejubelt und getrampelt, dass das Haus bebte. Diese "Meistersinger" können als Gewinner verbucht werden.