. Koskys Inszenierung folgt der Logik des Traums. Den Bayreuther Festspielen ist endlich wieder ein Triumph gelungen mit dieser Premiere.

Die Bayreuther Festspiele sind eigentlich kein Ort des fröhlichen Gelächters. Aber Barry Kosky bringt bereits nach zwanzig Sekunden das Premierenpublikum im Festspielhaus zum Lachen. Auf der Bühne geht es schnell zu wie bei Hempels unterm Sofa. Man ist im Haus Wahnfried, dem Bayreuther Wohnsitz von Richard Wagner. Im holzvertäfelten Salon haben es sich Schwiegervater Franz Liszt und der jüdische Kapellmeister Hermann Levi bereits auf dem Sofa gemütlich gemacht.

Hausherrin Cosima hat Migräne, wie eine Schriftzeile auf einem Gazevorhang verrät, der die Szenerie anfänglich noch verschleiert, und Wagner kommt gerade mit den beiden Hunden Marke und Molly vom Gassigehen zurück. Wer den Berliner Regisseur Barrie Kosky kennt, der selbst ein Hundeliebhaber ist, ahnt bereits, dass sein Operndebüt in Bayreuth eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Wagner werden wird.

Der gesamte erste Aufzug seiner „Meistersinger von Nürnberg“ spielt im Setting jener häuslichen Privataufführungen, die Wagner von seinen Werken gerne mit Freunden und Familienmitgliedern veranstaltete. Liszt gibt den Veit Pogner, der seine Tochter Eva als Trophäe des großen Meister-Wettsingens ausgeschrieben hat. Eva wird von Liszts Tochter Cosima gespielt und der egomanische Richard Wagner taucht selbst in multipler Vervielfältigung auf - ganz so, wie sich der Komponist in mehreren seiner Rollen selbst portraitiert hat.

Aus dem Flügel krabbeln Wagner-Nachfahren

Er steckt im Gewand des erfahrenen Hans Sachs, dem Bewahrer deutscher Kultur, wie später auch in jenem des stürmischen Revoluzzers und jugendlichen Liebhabers Walther von Stolzing. Aus dem Flügel krabbeln zudem noch die Wagner-Nachfahren als kleine Doubles des Komponisten heraus. Der verlotterte Sängerbesuch, der die Meistersinger mimt, ist eher wegen der großen Dose mit Nürnberger Lebkuchen gekommen, die zum Tee herumgereicht wird. Levi sitzt daneben und packt sein mitgebrachtes koscheres Butterbrot aus.

Ihn drängt Wagner als Regisseur der häuslichen Aufführung in die Rolle des Stadtschreibers Sixtus Beckmesser, die in den „Meistersingern“ alle Insignien seines Judenhasses trägt. Im Haus Wahnfried ist er der schrullige Sonderling, den Wagner demütigt und vorführt, so wie er den Dirigenten Levi regelmäßig lächerlich machte und ihn zur Taufe nötigen wollte.

Kosky spielt hier zunächst so subtil mit den antisemitischen Stereotypen, dass der Zuschauer mit Wagner und den Meistersingern über Levi-Beckmesser lachen kann, wenn der Bariton Johannes Martin Kränzle die Hände klagend zum Himmel erhebt, wild gestikulierend auf- und abrennt oder plötzlich in ein meschuggenes Kichern ausbricht. Ebenso raffiniert überlagern sich in Koskys Inszenierung die Bilder, die auf die Verstrickung der Bayreuther Festspiele ins Nazi-Regime und auf die Rolle der „Meistersinger“ als „Soundtrack“ zum „Dritten Reich“ anspielen, wie Kosky es nennt.

Kein Gerichtsprozess mit klarem Ausgang

Wenn zwei der kleinen Wagner-Doubles sich in Wahnfried auf den Schoß von Liszt und Levi setzen, evoziert das unweigerlich die bekannten Bilder von den Wagner-Enkeln Wieland und Wolfgang anlässlich der Besuche von „Onkel Wolf“, wie der Hausfreund Adolf Hitler im Haus Wahnfried genannt wurde. Wenn am Ende des ersten Aktes der gesamte Wagnersche Privatsalon wie eine Puppenstube ans hintere Bühnenende gefahren wird und die Bühne zum leeren Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse mutiert, inklusive eines amerikanischen GI, dann ist das ein unglaublicher Überraschungseffekt. Mit dem Bild wird das Publikum in die erste Pause entlassen.

Wer nun jedoch anschließend einen Gerichtsprozess mit klarem Ausgang erwartet, sieht sich getäuscht. So einfach macht Kosky es dem Bayreuther Publikum nicht. Im Laufe des Abends wird bald klar, dass es Wagner selbst, sein voller Chauvinismen und Ressentiments steckendes Werk, dessen ideologische Vereinnahmung im Nationalsozialismus und die religiös überhöhte Wagner-Rezeption in Bayreuth sind, die in diesem Saal und an diesem Abend auf den Prüfstand gestellt werden.

Im zweiten Akt schlägt das traute Johannistag-Idyll nach einem Picknick im Grünen mit der Prügelfuge in ein Pogrom um. Beckmesser bekommt einen Pappmascheekopf aufgesetzt, der eine antisemitischen Fratze wie aus dem „Stürmer“ zeigt, bevor er zusammengeschlagen wird. Dann bläst sich ein riesiger Ballon mit der gleichen Fratze zu einer Judenkarikatur auf, die fast den gesamten Bühnenraum ausfüllt. Unter dieser allgegenwärtigen Projektion des Hasses bricht der schmächtige Beckmesser zusammen. Und mit diesem verstörenden Bild schickt Kosky das Publikum in die zweite Pause.

Man sieht kein Hakenkreuz, keine Leichenberge

Koskys Inszenierung, für die Rebecca Ringst die Bühnenbilder und Klaus Bruns die Kostüme entworfen hat, folgt der Logik des Traums, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat. Ihre Bilder überlagern einander überdeterminiert, sie folgen nicht nach dem eindimensionalen Prinzip von Ursache und Konsequenz aufeinander, sondern gehorchen den Gesetzen von Verdichtung und Verschiebung. So gelingt es Kosky auf brillante Weise, die Problematik von Wagners Oper nicht nur offenzulegen, sondern als ungelöst im Spiel zu halten.

Denn weder bedient Kosky die deutsche Obsession mit den Bildern und Symbolen der Nazi-Zeit, noch präsentiert er dem Publikum am Ende ein vorgekautes Urteil, mit dem es seinen Frieden machen könnte. Obwohl man kein einziges Hakenkreuz, keine Auschwitz-Leichenberge und keine Nürnberger Parteitage zu sehen bekommt, sind die Schrecken des Nationalsozialismus latent präsent. Am Ende ist Beckmesser aus dem Nürnberger Volk ausgeschlossen,

Insgesamt sind die „Meistersinger“ bei Kosky ein Männerstück

Richard Wagner alias Hans Sachs tritt in den Zeugenstand und dirigiert zu seiner großen Schlussansprache über die Vormachtstellung der „deutschen Kunst“ gegen den „welschen Tand“ ein Statistenorchester auf der Bühne. „Ehrt eure deutschen Meister“, scheint Kosky damit zu sagen, aber vergesst nicht, auf welchem geistigen Boden und um welchen Preis dieses Erbe gewachsen ist. Der säuberlichen Trennung von Kunst und Ideologie, mit der man dem Werk Richard Wagners den Koscher-Stempel aufdrücken möchte, ist in Wahrheit nicht zu trauen.

Koskys „Meistersinger“-Wurf wird von einer großartigen musikalischen Umsetzung befeuert. Philippe Jordan animiert das Festspielorchester zu einem spritzig-leichten und sprühenden Spiel, in dem der polyphone Gestaltenreichtum der Partitur mit viel Witz, Schwung und – man hält es kaum für möglich - beinahe tänzerischer Anmut zur Geltung kommt.

Sängerisch überstrahlen Michael Volle als imposant volltönender Hans Sachs und Klaus Florian Vogt als ein mit infiltrierender Süße sich verströmender Walter Stolzing das bis in die Nebenrollen ausgezeichnet besetzte Ensemble. Großartig wandlungsfähig der Bariton von Johannes Martin Kränzle als Beckmesser. Nur Anne Schwanewilms Sopran konnte sich nicht gegen diese starke Männerbesetzung durchsetzen. Insgesamt sind die „Meistersinger“ auch bei Kosky ein Männerstück. Das Premierenpublikum tobt vor Begeisterung. Den Bayreuther Festspielen ist endlich wieder ein Triumph gelungen mit dieser Premiere.

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