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Bayreuther „Meistersinger“: Täter der Klamotte

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Handwerklich brillant gearbeitete Aufführung: Renaissance-Volk im Saal der Nürnberger NS-Prozesse.
Handwerklich brillant gearbeitete Aufführung: Renaissance-Volk im Saal der Nürnberger NS-Prozesse. © Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Barrie Koskys Bayreuther „Meistersinger“ sind eine brillant gearbeitete, übertourige Komödie mit nicht ganz schlüssigen historischen Anspielungen. Hier die Premierenkritik:

Bayreuth - Irgendwann wird es passieren, dass alle in den „Meistersingern von Nürnberg“ sitzen und durchlachen. Keine Reichs- oder sonstige Flagge wird sein, nichts Hypergermanisches, keine Pogromstimmung, kein sonstiger Kommentar auf die Wirkungsgeschichte. So, wie sich das Richard Wagner einst gedacht hatte. Eine lichte Humoreske hatte er im Sinn, erwachsen ist aber, daran sind auch übereifrige bis missbrauchende Werkverweser schuld, ein deutscher Repräsentationspopanz, bestens geeignet für Hitlers Parteitage wie für Opernhaus-Eröffnungen der Nachkriegszeit. Mit diesem Ballast im Kreuz gäbe es also die radikalste Lösung überhaupt: die „Meistersinger“ als Komödie.

Insofern ist da Barry Kosky ein gutes Stück vorangekommen. Ihn zu verpflichten für diese Festspiel-Premiere, war schon Programm genug. „Befrei’ uns“, schien Bayreuth gen Berlin zu rufen, und der Chef der Komischen Oper lieferte. Richard im großen Salon von Wahnfried, gerade zurück vom Gassi mit den Neufundländern Molly und Marke, Cosima von Migräne gepeinigt, eilfertige Dienstmädchen, Schwiegerpapa Liszt präludiert wirren Haares am Klavier, Dirigent Hermann Levi sitzt linkisch in der Sofa-Ecke. Zu Wagners Choral-Fantasie knien alle sich bekreuzigend nieder, nur Levi kneift – er ist Jude, was er als Verehrer des antisemitischen Meisters gerade wohl am meisten bedauert. Ein Störfaktor im Privatparadies.

Barrie Kosky als hinterfotziger Personenbeschäftiger

In der ersten Viertelstunde spielt Kosky sein Können als genialer, hinterfotziger Personenbeschäftiger aus. Richard ist Sachs, Lehrbub David in der Jugendausgabe ebenfalls, Cosima ist Eva, Pogner ist Liszt, Levi ist Beckmesser. Die Villa am Bayreuther Stadtpark als Schauplatz einer Wagner-Oper, neu ist das alles nicht. Stefan Herheim hat, ausgerechnet in Bayreuth, dieses Ambiente für seinen epochalen „Parsifal“ gewählt. Immer outrierter wird Koskys erster Akt, auch musikalisch. Eine Wahnfried-Klamotte, über- und durchgedreht bis zur Penetranz, die irgendwann ein Ventil braucht. Und das ist dann doch die böse Politik, ohne die selbst Kosky nicht auskommt.

Als der Villa-Salon nach hinten fährt, findet sich der aus seiner Imagination geflüchtete Hans-Richard Sachs-Wagner im Saal der Nürnberger Nazi-Prozesse wieder. Der Rahmen bleibt, auch wenn den Kosky und Bühnenbildnerin Rebecca Ringst im zweiten Akt mit Wiesenmatten auslegen lassen und im Finale das Volk die Holzbänke entert. Zu 80 Prozent sieht diese Produktion so aus, als habe sich kreuzbrave und -fidele Konvention ins Regietheater verirrt. Wolfgang Wagner im Zeitraffer als Imitat einer Herheim-Produktion. Nur: Ob man diese historischen Anspielungen wirklich braucht?

Johannes Martin Kränzle in einer eigenen Liga

Einige Male freilich dockt Koskys munteres, handwerklich brillantes Spiel sehr begründet an der Realität an, da wird es interessant. Am besten in der Figur des Beckmesser. Eine Juden-Karikatur und noch viel mehr. Ein geduldeter Außenseiter, einer, der bei der Reise nach Jerusalem immer zu Beginn rausfliegt und doch jedes Mal ums Mitspielen bettelt. Viel lässt sich da tatsächlich mit Hermann Levi assoziieren, gerade weil mit Johannes Martin Kränzle jemand zur Verfügung steht, der in einer eigenen Singdarstellerliga spielt.

Man merkt Kränzle an, dass er eigentlich Feinmechanischeres liebt. Doch wie er (auch in seiner bestechenden vokalen Nuancierung) zwischen Humorflorett und Slapstick tänzelt, wie bei ihm eine wie absichtslos platzierte Pointe genauso große, genau abgeschmeckte Wirkung entfaltet wie der Brachialmoment, das ist großartig. Umso mehr passt zu ihm ein Kraftpaket wie Michael Volle. Der teilt sich seinen Sachs besser ein als vor einigen Jahren in Salzburg. Wut, Drastik, Enttäuschung, Klamotte, alles umarmende Aktion, das ist bei Volle immer auch stimmlich raumfüllend. Sein Sachs ist ein großes Kind, übervoll mit Emotion, dem man Unerzogenes nur sekundenlang übelnimmt.

Wenig weiterentwickelte Bild-Assoziationen

Überhaupt bieten die Festspiele mit dieser Produktion das beste Personal seit langem auf. Daniel Behle genießt das Aufgekratzte, singt den David so klangschön und reich, als bewerbe er sich für den Stolzing. Klaus Florian Vogt ist in dieser Partie gereift im Ausdruck, tritt auch auf die Bremse, um im Finale den neonstrahlenden Ritter geben zu können. Günther Groissböck ist kein Pogner-Papa, sondern steht in vollem sonoren Saft. Wiebke Lemkuhl ist als Magdalena eine Luxusbesetzung, ebenso Georg Zeppenfeld als eingesprungener Nachtwächter. Einzig Anne Schwanewilms bleibt unter diesem Niveau und trickst sich als (zu) späte Eva mit verhangenem Sopran durch Höhenlagen.

Für Koskys Komödie ist Philippe Jordan der richtige Mann. Deftig und detailscharf lässt er das Festspielorchester musizieren wie ein Viertonner auf Slalomfahrt. Statt „Verweile doch“ gibt es ein stetes Voranschreiten, bei dem zuweilen die Präzision auf der Strecke bleibt. Pathos wird nicht ausgekostet, sondern erwächst ganz natürlich aus dem flüssigen Verlauf. „Tristan“-Nahes darf aufrauschen. Manches ist zu laut, ein paar Mal gibt es – wohl auf Betreiben Koskys – vielsagende, überlange Generalpausen, als habe jemand den Aufführungsstecker gezogen. Jordan macht deutlich, wie viel Lustspiel- und Konversationston die „Meistersinger“ brauchen, und dass sie manchmal klingen müssen, als sei gerade eine Lortzing-Oper explodiert.

Was Wahnfried und der Nürnberger Prozess wirklich mit den „Meistersingern“ zu tun haben, zeigt Barrie Kosky nicht. Fragen, Andeutungen, klug und stückmotiviert, wenig weiterentwickelte Assoziation und einmal ein Zaunpfahl mit einem übergroßen, aufblasbaren Kopf eines jüdischen Mannes: Über mehr geht der Abend, der sich auch als Befreiung von der Stückrezeption geriert, nicht hinaus. Zum C-Dur-Finalbrausen verpufft alles. Eine Tribüne mit Chor und Orchester fährt in Oratorienaufstellung herein, Sachs/Wagner dirigiert den Schluss, verteidigt zuvor flehend und allein nicht die deutsche, wohl aber die Kunst an sich. Wer will da widersprechen.

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