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Mozarts „Tito“ in Salzburg: Zwischen Willkür und Verismo

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Der engste Freund wird zum Attentäter: Russell Thomas als Kaiser Tito (li.) und Marianne Crebassa als Sesto in der Inszenierung von Peter Sellars für die Felsenreitschule.
Der engste Freund wird zum Attentäter: Russell Thomas als Kaiser Tito (li.) und Marianne Crebassa als Sesto in der Inszenierung von Peter Sellars für die Felsenreitschule. © Foto: Ruth Walz/ Salzburger Festspiele

Mit Mozarts „La clemenza di Tito“ startet Salzburg ins Opernprogramm. Eine Aufführung, die den Start in eine neue Festival-Ära markiert und sich absetzt von der bleiernen Atmosphäre der vergangenen Jahre. Die Premierenkritik:

Salzburg - Die Kugel, abgefeuert vom engsten Freund, ist tödlich. Doch noch lebt der Herrscher, umstellt vom entsetzten Volk, als sich sacht ein Seufzerpochen in den Streichern erhebt. „Kyrie eleison“, „Herr erbarme dich“, klagt nicht nur die Masse, eine einzelne Stimme schwingt sich auf. Ein Trauermoment, schön, engelsgleich, entrückt, als habe eine Macht tröstend die Welt umarmt, um sie für fünf Minuten festzuhalten. Und wie Jeanine De Bique das singt, die Wundersopranistin aus Trinidad, in vollkommenem Einklang mit sich und der Musik, treibt es manchem Tränen in die Augen: Ob man den Beginn aus Mozarts c-Moll-Messe jemals so gehört hat?

Messe, nicht Oper wohlgemerkt. Dabei wird an diesem Abend ja eigentlich „La clemenza di Tito“ gespielt. Es ist, als ob die bleierne Salzburger Atmosphäre der vergangenen Jahre mit nur einer Aufführung verpufft. Jetzt, mit der ersten Opernpremiere in der Intendanz von Markus Hinterhäuser, herrscht wieder Lust auf Offenheit und Diskurs – und dies, obwohl in der Felsenreitschule ein alter Bekannter am Werk ist. Nach einem Vierteljahrhundert, als er mit Messiaens „St. Francois d’Assise“ Legendäres inszenierte, ist Peter Sellars zurück. Nicht, um Mozart einfach wiederzugeben, sondern um ihn weiterzutreiben, aufzubrechen, neu zu sehen – und, sich gegenseitig anstachelnd mit Dirigent Teodor Currentzis, neu zu hören.

Musikalische Implantate aus anderen Mozart-Werken

Auch deshalb also die Implantate aus der c-Moll-Messe plus Adagio und Fuge KV 546 (was die Architektur des ersten Finales zerstört) oder die Maurerische Trauermusik nach dem eigentlichen Opernschluss. Respektlos? Anmaßend? Auch heute wäre der „Tito“ ja ein Skandal. Ein Politboss, Machtspielen nicht abgeneigt, bestellt sich wie Leopold II. Staatstragendes zur Inauguration – und muss in den Spiegel schauen. Humanität, Güte, Liebe, nur das zählt. Auch wenn das Land in Flammen steht, gilt es Tätern zu verzeihen. Mozart und Textdichter Metastasio waren damals schon weiter als die Giftspritzer der Netz-Foren jetzt. Auch Peter Sellars meint das Heute, wenn er Sesto, den radikalisierten Freund des Kaisers, mit Sprengstoff umgürtet. Wenn der Chor zum Flüchtlingskollektiv wird und Vitellia, die Beinahe-Herrscherin, zur Fürsprecherin. Andernorts gerinnt das zum plakativen Nachbeten der „Tagesschau“, hier ist die Zielrichtung eine andere.

Sellars überführt alles ins Archaische, auch durch die „neuen“ Nummern. Tito wird sakralisiert und überhöht: Der „Osanna“-Jubel des Chores oder die „Laudamus“-Arie, von der feinlyrischen Christina Gansch als Servilia gesungen, ist doppelter Lobpreis – des himmlischen Vaters und des irdischen Herrschers. Souverän nutzt Sellars den Raum, ein XXL-Kammerspiel, zum „Osanna“ entert der Chor das Parkett. Es gibt eigentlich kein Bühnenbild, die Arkaden der Felsenreitschule dürfen ihre majestätische Wirkung entfalten. Davor lässt George Tsypin eckige Plexiglassäulen als Stadtsymbole auf- und niederfahren, später erheben sie sich wie ausgebrannte Elemente. Zur Trauer um Tito gibt es ein Kerzen- und Blumenmeer. Und immer wieder mündet natürliche Bewegung in choreografierte Gestik: Aktion wird zum Ritual, Emotion zum abgezirkelten Affekt.

Dirigent Teodor Currentzis als Ausdrucksextremist

Nur in diesem Umfeld funktioniert auch die Interpretation von Teodor Currentzis, der alles als dunkle Sonne dominiert. Fast beängstigend ist die Perfektion und Klangschönheit von Chor und Orchester musicAeterna aus dem russischen Perm, auch die Bereitschaft, mit der sie auf seine Forderungen eingehen. Currentzis ist ein Ausdrucksextremist, der in seiner fundamentalistischen Ablehnung der Beiläufigkeit fast jedem Ton einen eigene Atmosphäre geben will. Weniger „La clemenza di Tito“ wird da gespielt, sondern „Wie es mir gefällt“. Das ist aufregend nicht nur, weil man Erkenntnisse über Strukturen gewinnt, sondern auch, weil Mozarts Emotionalität zur Entäußerung wird. Am stärksten in Sestos „Parto, Parto“. Die Zerrissenheit der eigentlichen Hauptfigur treibt Currentzis mit Mezzosopranistin Marianne Crebassa weg vom Arien-Hit in einen vokalen Grenzgang. Eine Frühform des Verismo, mit herber, schonungsloser, bestürzender Intensität gesungen.

Natürlich ist vieles Willkür und erzählt mehr über Currentzis als über Mozart. Nach der Pause verstärkt sich das noch. Außerdem wird munter an der Partitur geschraubt. Arien werden umgestellt, nicht nur Rezitative, auch die wichtigsten Momente des Stücks sind gestrichen: wenn Tito zögert, ob er Sestos Todesurteil unterzeichnen soll. Currentzis nähert sich, das ist sein Grundproblem, der Musik immer von außen, anstatt sie von innen leuchten zu lassen. Ein Schachspieler, ein Stratege. Und doch haben weite Passagen seines „Tito“ etwas Geniales, fordern in ihrer Hyperinterpretation, in ihrer Überreizung heraus. Bestechend ist das und gleichzeitig durchtränkt von Misstrauen – als ob Mozart und sein Drama Nachhilfe benötigen würden.

Ein Wunder, dass die Sänger mithalten können. Nicht nur die überirdische Jeanine De Bique, die Fassbaender-Erbin Marianne Crebassa oder die sehr lyrische, sopransamtige Golda Schultz als Vitellia, auch der heldenstählerne Russell Thomas, dessen Koloraturschwächen genutzt werden für Titos Todeszuckungen. Der Kaiser stirbt, anders als bei Mozart, frustriert vom Verrat reißt er sich Infusionsschläuche aus dem Arm. Clemenza, Milde aus Erkenntnis, das bleibt Behauptung, sagt diese Aufführung. Auch das ist also neu in Salzburg: ein funktionierendes Mozart-Ensemble. Standing Ovations, viel kann und muss nun diskutiert werden. Was für ein Auftakt zu einer neuen Festspiel-Ära.

Weitere Aufführungen: 30. Juli sowie 4., 13., 17., 19. und 21. August; Aufzeichnung auf 3sat am 19. August ab 20.15 Uhr.

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