Spielwiese für das zeitlose Gefühl

Die gelbe Perücke verbirgt nicht länger die wahren Gefühle: David Pichlmaier als Orfeo. Foto: Nils Heck
© Nils Heck

In den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt hat Monteverdis "L'Orfeo" eine umjubelte Premiere gefeiert. Es ist die erste Opernproduktion der Saison.

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DARMSTADT. "Zurück zu den Quellen" hieß es, ganz im Sinne der zu Ende gehenden Renaissance, als Claudio Monteverdi im Februar 1607 seine Favola in Musica "L'Orfeo" in Mantua aufführte. Zurück zu den Quellen ging auch das Darmstädter Opernensemble um den früheren Studienleiter und jetzigen Gastdirigenten Joachim Enders, als es eine auf die Kammerspiele zugeschnittene Fassung erarbeitete und gemeinsam mit dem Regisseur Andreas Bode eine Konzeption entwickelte, die den antiken Stoff auf dem Weg über Monteverdis frühes Musikdrama in Bezug zur Gegenwart setzt.

Dabei sind die Größe der Sängertruppe und des Instrumentalapparats auf ideale Weise den Raumverhältnissen angepasst: Im Hintergrund, breit aufgefächert, das mit zahlreichen historischen Instrumenten besetzte Orchester, links die Blechbläserformation mit zwei Trompeten und fünf Posaunen, in der Mitte eine große Drehscheibe, bestückt mit Felsen und frischem Grün. Geelke Gaycken hat dieser zentralen Spielwiese zwei flache Barken entgegengestellt, sodass die Thematik des Werks von Anfang an ins Auge springt: die tragische Begegnung des irdischen Daseins mit der Totenwelt.

Die Regie macht, unterstützt durch die fantasievollen, von Geraldine Arnold entworfenen Kostüme, den insgesamt gelungenen Versuch, die Handlung ins Allgemeingültige zu wenden, ohne die Sprache Alessandro Striggios, die durch deutsche Übertitel vermittelt wird und die geniale, zukunftweisende Musik Monteverdis zu unterschätzen. Symbolisch die Szene, in der Orfeo seine grell-gelbe Perücke von sich wirft und sich gleichsam als Mensch von heute präsentiert, mit zeitlosen Gefühlen zwischen Glück und Schmerz. Der Regisseur hält das Ensemble in ständiger, manchmal etwas überdrehter Bewegung.

Auftakt-Fanfare im Foyer

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Dass es vor allem um die Musik dieses Epoche machenden Stücks geht, wird schon vor Beginn deutlich, wenn die Blechbläser die einleitende, fanfarenartige Toccata im Foyer intonieren, bevor sie, dann durch Paukenschläge markiert, im Saal erklingt. Joachim Enders versteht es, vom Cembalo aus die im Raum verteilten Sänger und Instrumentalisten zusammenzuführen, die klangliche Balance zu wahren und dabei starkes Temperament zu entwickeln. Die von Monteverdi zur Charakterisierung und Textdeutung eingesetzten Klangfarben lockt er mit sicheren Händen heraus. Und wenn nötig, greift er auch einmal als Bootsmann ein ins Geschehen.

David Pichlmaier verkörpert die Titelrolle mit starker Emphase, seinen hellen Bariton flexibel einsetzend. Überzeugend die Wandlung vom selbstzufriedenen Jüngling zum verzweifelten, besessenen Liebenden. Ein Höhepunkt ist sein arioser Bittgesang vor den Toren der Unterwelt mit fantastischen Echowirkungen des Orchesters. Der Countertenor Robert Crowe ist gleich in vier Rollen zu erleben. Als Musica, Euridice, Speranza und Apollo lässt er seine elegante Sopranstimme scheinbar mühelos schweben. Eindrucksvoll in Erscheinung und Diktion Elisabeth Hornung als Botin beim Verkünden der schrecklichen Nachricht vom Tod Euridices.

Marko Spehar ist der unnachgiebige Fährmann Caronte, Cathrin Lange tritt gewandt als führende Nymphe auf wie später als Göttin Proserpina, ihren Gatten Pluto gnädig stimmend. Dieser wird von Christian Tschelebiew tatuarisch verkörpert. Die beiden flinken Hirten Musa Nkuna und Mark Adler bringen einen Schuss Humor ins tragische Geschehen. Sängerisch auf der Höhe ist der fünfstimmige Madrigalchor, der sich immer wieder darstellerisch einschaltet und nahtlos mit dem Gesang der Protagonisten verbindet.

Für diese erste Opernproduktion der Saison gab es nach knapp zwei pausenlosen Stunden begeisterten Applaus.