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Kampagnenfoto der Oper Gent.
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David Alden präsentiert an der Flämischen Oper in Gent einen düsteren „Lohengrin“

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Bei diesem Lohengrin-Vorspiel an der Flämischen Oper in Gent geht es mitunter arg laut zu. Der Argentinier Alejo Pérez und das Orchester der Oper brauchen bei der Premiere schon eine Weile, um den manchmal vorwitzigen Ehrgeiz von Blech und dunklen Streichern zu zügeln. Vor allem im zweiten Aufzug beweist er dann aber, dass die Musiker sich auch zurücknehmen können, ohne den Verwandlungsszenen und Aufmärschen ihre opulente Wucht zu nehmen.

Die Bühne von Paul Steinberg ist eine wuchtige Ecke aus zwei dunklen mehrstöckigen Fassaden, die deutlich aus dem Lot kippen. Hier wird ziemlich klar, dass die Zeit aus den Fugen ist. Dazwischen Menschen, die Gideon Davey in der Mode aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts gekleidet hat. Dazwischen in Uniformen hektisch – jedoch nicht immer sofort logisch – agierende Soldaten des Königs. Der ist zunächst in einem Priestergewand hat einen so ängstlich traumatisierten wie fanatischen Blick. Von oben ragen vier Riesenlautsprecher in alle Richtungen… es dauert nicht lange bis sich eine Atmosphäre wie in Orwells 1984 vermittelt. Alptraumdüster. Surreal. 

Alptraumdüster. Surreal.

Wenn der König Ortrud erblickt, schreckt er instinktiv vor ihr zurück. Bei der Premiere teilen sich der eindrucksvoll (nur) spielende Thorsten Grümbel und der von der Seite singende, die Vorstellung rettende Wilhelm Schwinghammer die Rolle des Königs (was beide professionell meistern). 

Von der herbeizitierten Elsa sieht man zuerst eine Hand, die aus einem Loch im Boden auftaucht. Eine Gefangene unter verschärften Bedingungen mit ziemlich abgerissenen schwarzen Klamotten und mit Löchern in den Strümpfen. Keine Spur von respektierter Thronerbin in Schwierigkeiten. Eher abservierte Konkurrentin, die zum Abschuss freigegeben ist. 

Elsa kommt erst in die aufrechte Lage, wenn sie dem Retter, den sie herbeiruft, sich selbst und ihr Erbe als Gewähr anbietet. Noch während über den eventuellen Verteidiger ihrer Unschuld geredet wird, legen die Soldaten des Königs auf sie an, um sie zu liquidieren. Das ist freilich genauso übereilt und wenig nachvollziehbar wie das Kokeln mit dem Scheiterhaufen in der blauen Märchenstunde in Neo Rauchs Optik in Bayreuth diesen Sommer. Dieser Eifer widerspricht jedenfalls dem Mitgefühl, das König Heinrich bei seiner Frage – „Was hast du mir zu vertrauen?“ ausstrahlt. Und der soll ihr die Augen verbinden und sie dann sofort erschießen lassen? Wer soll das glauben? Dieses halbe Dutzend Personenschützer des Königs sind dem Regisseur auch sonst etwas entglitten. Die setzen musikalische Wendungen meist zu zackig in ruppige Beweglichkeit um.  

Aber das Wunder passiert zuverlässig. Man sieht die Schattenspiele, die die Flügel des Schwans auf die Fassaden werfen, die Fassadenfront teilt sich und Lohengrin taucht auf. Zwar nicht in strahlender Rüstung und mit den Insignien seines Heldentums geschmückt. Die hat er erst – woher auch immer – parat, wenn er wieder ziehen muss. Aber im weißen Sommeranzug mit passendem Hut und ohne Schuhe. So als wäre er geradewegs aus einem Tschechow-Stück entwischt. Er hat jedenfalls Mühe, sich über das Personal zu orientieren, mit dem er es ab jetzt zu tun haben wird. Wundert sich über das, was der König da Zackiges auf dem Kopf hat. Hält für ein paar Sekunden gar Ortrud (in strengen grauen Kostüm und mit Aktentasche) für die Zielperson seines Rettungsauftrags. Immerhin macht er so viel Eindruck, dass die aufgeregten Soldaten Heinrichs bei seinem Erscheinen ihre Waffen fallen lassen. Die pflanzen sie dann für den Kampf zwischen Lohengrin und Telramund als Abgrenzung in den Boden. 

Bei diesem Kampf hat Lohengrin seine übernatürlichen Kräfte im wahrsten Sinne des Wortes voll zur Hand. Es genügt nämlich, seinem wild mit dem Schwert herumfuchtelnden Gegner einfach die ausgestreckte Hand entgegen zu strecken, um ihn auszuschalten. 

Was dann passiert, gehört zu den starken Seiten von David Aldens Inszenierung. Aus den staunenden Bürgern wird eine wütende Masse, die ohne Hemmung und die Erinnerung an die Verdienste, die Friedrich Telramund und den Rang, den seine Frau Ortrud haben, auf beide losgehen und sie körperlich attackieren. Telramund reißen sie das Hemd kaputt und beschmieren ihn mit weißer Farbe. Ortrud zwingen sie zu Boden. Das ist besonders deshalb so beklemmend, weil die Brabanter keine fernen Statisten sind, sondern deutlich an unsere Gegenwart herangezoomte Bürger – nicht wie Du und Ich, aber doch wie Er und Sie….

Wieso Elsa und Lohengrin in dieser Versammlung Anlauf nehmen und nach hinten zu aus dem Bild springen, als wären sie Siegmund und Sieglinde, bleibt ein Geheimnis. 

Der zweite Aufzug führt dann musikalisch in die dramatische Dunkelheit einer veritablen Niederlage und atmosphärisch auf die düstere Rückseite der beiden großen Fassadenelemente. Zu seinem „Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!“ muss sich Telramund selbst erst wieder aufrappeln, während seine Frau am Schreibtisch Papiere aussortiert und verschwinden lässt – ganz so einfach war der von ihr geplante Putsch dann doch nicht. 

Hier gewinnen Musik und die Intensität des Kammerspiels deutlich an Überzeugungskraft. Das liegt vor allem an der vokalen Gestaltung und dem darstellerischen Charisma mit dem Craig Colclough seinen Telramund, vor allem aber Iréne Theorin ihre erste Ortrud ausstatten. Theorin lässt es sich nicht entgehen, bei der ersten Erwähnung von Gott, ihrem Mann in die sekundenlange Stille ein abgründiges Lachen entgegenzuschleudern. Beide beziehen ihre Stärke offensichtlich aus einer erotischen Bindung aneinander. Die Art wie sie das körperlich klarmachen, belegt einmal wieder, dass man weder gertenschlank noch blutjung sein muss, um eine Beziehung dieser Art auf der Bühne unzweideutig zu imaginieren, ohne dass es peinlich wird. Dieses, das Ensemble anführende „dunkle“ Paar, Ortrud und Friedrich, animiert schließlich auch das „helle“, Elsa und Lohengrin, zu mehr vokaler Differenziertheit. Liene Kinča findet jetzt zu differenzierteren Tönen für ihre manchmal in der Höhe etwas scharfe Elsa. Zoran Todorovich hat als Lohengrin seine besten Momente allerdings erst im dritten Aufzug. Sicher ist seine schmetternde Höhe – mühsam wird es, wenn es in Richtung der Piani geht. In der Grals-Erzählung ist er beim Optimum seiner vokalen Möglichkeiten. 

Die Verwandlung im zweiten Akt gibt es auf offener Szene. Für den Chor werden Stuhlreihen plaziert von denen aus die vokal fabelhaften Choristen einen großartig choreographierten Auftritt haben. Gelenkte Massen, die an in ihrem Bewegung gewordenen Opportunismus an Nordkorea oder eins von Orwells Staatengebilden erinnern. Immer wenn sie eine ihrer bekräftigenden Gesten hinter sich haben sinken sie wieder kraftlos in sich zusammen. Das gehört zu den stärksten Momenten der gesamten Inszenierung.  

Die große Hochzeitsszene beginnt für Elsa wie ein Traum, den sie gar nicht glauben kann. Bis das weiße Brautkleid aus dem Schnürboden niederschwebt und ein Sockel mit Blumenschmuck für sie bereitgestellt wird. Hatte es vorher zur Festmusik, die aus dem Palast zu den Telramunds herüber klang, immer wieder projiziertes Feuerwerk auf den Fassaden gegeben, wird die Hochzeit selbst von einem gewaltigen Denkmalsockel mit Reichsschwan obendrauf im Hintergrund überstrahlt. Nach dem Staatsstreichversuch von Telramund und Ortrud, der von plötzlich auftauchenden maskierten Anhängern abgesichert wird, aber scheitert, schreitet das Brautpaar schließlich gemessenen Schrittes auf den Zuschauerraum zu, in dem die Lichter langsam hochgedimmt werden. Dazu grüßt Ortrud höhnisch mit einem Glas Champagner in der Hand von der Intendantenloge aus Richtung Brautpaar.

Vom musikalischen Schwung dieses starken zweiten Aktes profitiert dann natürlich auch der musikalische Hit der ganzen Oper. Im Genter Opernhaus ist das ein Rundumklang- Erlebnis, in dem man sich mittendrin befindet. Zumindest für den Auftakt der Brautgemachszene wechselt Alden die Gangart seiner Inszenierung. Die neugierigen Hochzeitsgäste kommen über den Saal, das Brautpaar durchquert ihn einmal und oben auf der Bühne gibt es ein Riesenbett unter einem XXL-Ölschinken mit Lohengrins Ankunft … Klar, dass Telramund für seine letzte Attacke auf Lohengrin einfach durch die Wand bricht und sich Lohengrin nun doch noch die Hände an ihm blutig machen muss. 

Für die letzte Verwandlung schließt sich der Vorhang. Über der (zumindest in Deutschland immer als besonders heikel empfundene) Passage vom „Deutschen Schwert“  und „Deutschen Reich“ ragt ein Meer von Reichsschwanen-Bannern von oben in die Szene. In Form und Farbgebung erinnert sie bei flüchtigem Hinsehen an die Ästhetik der Nazis. Die aufmarschierenden Truppen sind mit ihrer Melange aus Stahlhelmen und Speeren eher Archetypen des Militärischen. So ähnlich wie es bei den Protagonisten vor allem der Heerrufer ist – die eine Hälfte Zivilist, die andere Kriegsversehrter. Unter den herabgefallenen Bannern kriecht dann Gottfried hervor. Elsa schließt ihn in die Arme, wohlwissend was dem „Schützer von Brabant“ in absehbaren Zukunft bevorsteht.  

Neben den Protagonisten der zwei Paare hinterließ vor allem der Heerrufer Vincenzo Neri einen bleibenden Eindruck mit seiner markanten Eloquenz. Auch die kleinen Rollen sind sorgfältig besetzt. Der von Jan Schweiger einstudierte Chor ist sich seiner Hauptrolle durchweg bewusst.

Das Premierenpublikum reagierte auf diesen mit London koproduzierten Lohengrin mit einhelliger Zustimmung.  

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